Wie Forscher versuchen, die Wirtschaft vorherzusagen Wettbewerb der Minusprognosen
So einig sich die Wirtschaftsforschungsinstitute häufig sind - allzu oft stellen sich ihre Vorhersagen als ungenau heraus. Trotzdem will in Politik und Wirtschaft keiner auf sie verzichten. Eine falsche Prognose ist vielen lieber als gar keine.
Von Danyal Bayaz für tagesschau.de
Die Meinung der Konjunkturforscher ist gefragt. Politiker, Medien, Unternehmer und Arbeitnehmer möchten wissen, wie es mit der wirtschaftlichen Entwicklung weitergeht, wann die Krise überstanden ist und wann die Wirtschaft wieder zu wachsen beginnt. Bei ihren Prognosen ermitteln die Volkswirte mithilfe von statistischen Modellen sogenannte Frühindikatoren. Diese geben Hinweise auf die künftige Entwicklung von Wachstum, Inflation oder Beschäftigung.
Prognosen auf dem Prüfstand
Die Bandbreite der möglichen Verfahren ist dabei vielfältig: So können beispielsweise historische Entwicklungen oder Wahrscheinlichkeiten herangezogen werden, um Indikatoren zu bestimmen. Wie komplex die Modelle sind, macht das Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) deutlich. Es nutzt Daten zur Produktion, zu Aufträgen und zu Umsätzen und verfügt über 475 Gleichungen und 518 Variablen.
Da Verfahren und Annahmen stark variieren und auch Volkswirte im Wettbewerb untereinander stehen, kommen die verschiedenen Institute auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. So rechnete im Februar 2009 das Kieler Weltwirtschaftsinstitut mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts für 2009 um 2,7 Prozent. Die Bundesregierung, die die führenden Wirtschaftsinstitute mit der Konjunkturprognose beauftragt, ging seinerzeit in ihrem Jahreswirtschaftsbericht von einem Schrumpfen der Wirtschaft um 2,25 Prozent aus. Die pessimistischste Vorhersage lieferte im zum Jahresanfang die Deutsche Bank. Chefvolkswirt Norbert Walter erwartete ein Minus von fünf Prozent.
Rund 1,3 Millionen Euro gibt das Bundeswirtschaftsministerium jährlich für die Anfertigung einer Gemeinschaftsdiagnose zur wirtschaftlichen Lage im Frühjahr und im Herbst aus. Bis 2010 hat die Bundesregierung nach einer Ausschreibung im Jahr 2007 folgende Institute mit der Arbeit beauftragt: Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung mit dem Institut für Höhere Studien in Wien, das Münchner Institut für Wirtschaftsforschnung in Kombination mit der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich sowie eine Zusammenarbeit des Instituts für Wirtschaftsforschnung Halle mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung und dem österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung.
ifo oder ZEW?
Für einfach und zuverlässig halten viele Ökonomen den Geschäftsklimaindex des Instituts für Wirtschaftsforschung in München (ifo). Dabei machen mehr als 7000 Unternehmen Angaben zu ihrer Auftragslage und ihren Erwartungen für die nächsten Monate. Es kommen zu fundamentalen Daten also auch Bauchgefühl und Tagesform hinzu. Das Geschäftklima berechnet sich als Mittelwert aus aktueller Lage und künftiger Erwartung. Steigt der ifo-Index also an, wird eine positive wirtschaftliche Entwicklung erwartet.
Als weiterer beliebter Indikator gilt der Index des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Viele Ökonomen halten diesen für sehr schwankungsanfällig, da bei seiner Ermittlung mit der Realwirtschaft nicht direkt betroffene Finanzanalysten nach der konjunkturellen Situation in sechs Monaten befragt werden. Im Gespräch mit tagesschau.de verteidigt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hingegen die Prognose des ZEW. "Anleger sind natürlich an solchen Indikatoren interessiert, die das Ende einer Rezession möglichst früh signalisieren. Am besten eignet sich hierfür der ZEW-Erwartungsindex, seit 1992 hat er die Tiefpunkte der Industrieproduktion im Schnitt knapp sechs Monate vorher angezeigt", erklärt der Chefvolkswirt der Commerzbank.
Grundsätzlich sind Konjunkturprognosen vergleichbar mit Wettervorhersagen - mit einem Unterschied: Während das Wetter unabhängig von seiner Vorhersage eintritt, können Konjunkturbarometer sich auf die Wirtschaft auswirken. Je häufiger etwa der Bevölkerung gesagt wird, wie schlecht die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Monate sein wird, desto weniger Geld geben sie aus. Die Prophezeiung erfüllt sich also selbst. Deswegen forderte DIW-Chef Klaus Zimmermann jüngst vorerst keine Prognosen zu veröffentlichen.
2009 wird Rezessionsjahr
Darauf wollen die meisten Forscher aber nicht verzichten. Für sie ist eine schlechte Vorhersage immer noch besser als keine. "Da häufig nur Annahmen über Größen wie Welthandel, Rohstoffpreise oder Exportentwicklung getroffen werden können, sind die Prognosen sehr unsicher", erklärt Stefan Kooths. "In der aktuellen Situation ist die Prognosequalität sehr schlecht, weil wir uns in einer außergewöhnlichen Situation befinden. Prognosen beruhen auf Mustern der Vergangenheit, und die kannte eine solche Entwicklung bisher nicht", erklärt der Konjunkturforscher vom DIW im Gespräch mit tagesschau.de.
Was die derzeitigen Konjunkturaussichten angeht, hält Kooths 2009 für ein "Rezessionsjahr". Obwohl einige Konjunkturindikatoren in der letzten Zeit wieder gestiegen sind, zeigt sich auch Jörg Krämer vorsichtig. "Unsere Berechnungen zeigen, dass Frühindikatoren mindestens vier Monate zulegen müssen, bevor sie das Ende einer Rezession halbwegs zuverlässig vorhersagen können. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Frühindikatoren legen häufig in einem einzigen Monat zu, nur um danach wieder zu sinken", schreibt der Volkswirt in seiner aktuellen Wochenanalyse.
Die derzeitige Bankenkrise haben nur die wenigsten Ökonomen vorhergesagt. Als Exot gilt der New Yorker Ökonom Nouriel Roubini, der einmal mehr die Verstaatlichung einiger Banken gefordert hat. Er hat bereits vor einigen Jahren vor dem Platzen der Immobilienblase und der damit einhergehenden Finanzkrise gewarnt. Vorhersagen sind eben ein spekulatives Geschäft. "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen," wusste bereits Mark Twain.