Interview

Interview zum Barroso-Brief Mehr als nur ungeschickt

Stand: 05.08.2011 12:09 Uhr

Die Motive des Briefs von EU-Kommissionspräsident Barroso zum Euro-Rettungsschirm sind unklar. Möglicherweise sei es Wichtigtuerei, sagt ARD-Korrespondent Krause im Interview mit dem Morgenmagazin. Vielleicht wolle Barroso aber auch Deutschland und Kanzlerin Merkel unter Druck setzen. In jedem Fall entstünden neue Probleme.

ARD-Morgenmagazin: Was hat den EU-Kommissionspräsidenten geritten, so einen Brief zu schreiben?

Rolf-Dieter Krause: Darauf gab es gestern keine Antwort. Diese Frage hätte man aber gerne beantwortet bekommen, zumal er sich über Sachen äußert, die gar nicht sein Geschäft sind. Der Europäische Rettungsfonds EFSF wird nicht von der Kommission verwaltet, sondern hat eine eigene Verwaltung. Er ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Was wir hier sehen, ist vielleicht der neue Höhepunkt eines Missstandes, den wir seit Beginn der Euro-Krise haben: Nämlich, dass mit öffentlichen Erklärungen immer wieder Unsicherheit in die Märkte getragen wird, nachdem wir teure Instrumente genommen haben, um diese Märkte zu beruhigen, um überhaupt Ruhe in das Geschäft mit Staatsanleihen zu bringen. Man sieht, dass hier durch Disziplinlosigkeit, die interessanterweise Barroso selbst in seinem Brief beklagt, immer wieder neue Probleme geschaffen werden.

Zur Person
Rolf-Dieter Krause leitet seit 2001 das ARD-Fernsehstudio in Brüssel. Bereits 1992 veröffentlichte der gebürtige Lüneburger sein Buch "Europa auf der Kippe: Vierzehn Argumente gegen den Vertrag von Maastricht". 2012 wurde er vom Medium Magazin als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet. Er sei im Schicksalsjahr der Eurokrise zum Erklärer Europas geworden.

ARD-Morgenmagazin: Eigentlich müssten die europäischen Regierungen Sturm laufen gegen Barroso. Warum waren die Reaktionen relativ verhalten?

Krause: Vielleicht war es bezeichnend, dass es zum Beispiel aus Berlin gar keine Reaktion gab. Man muss zwei Dinge trennen: Das eine ist, was Barroso in seinem Brief schreibt, das andere ist, dass er den Brief veröffentlicht. Warum tut er das? Das kann Wichtigtuerei sein - die gibt es seit Monaten häufig zu beobachten.

Es kann aber auch sein, dass er Regierungen öffentlich unter Druck setzen will - in diesem Fall eine Regierung. Denn wenn man den Rettungsschirm aufstocken will, ist das eine Frage, die sich vor allem an Deutschland richtet. Sie richtet sich auch an die Niederlande, an Finnland, an Luxemburg und Österreich - aber in sehr viel geringerem Maße. Es geht vor allem um Deutschland. Interessant ist, dass es sich die Kanzlerin schon einige Male hat gefallen lassen, dass sie öffentlich unter Druck gesetzt wurde - und dann am Ende Dingen zugestimmt hat, die sie vorher abgelehnt hatte.

ARD-Morgenmagazin: Es könnte also auf einen Machtkampf hinauslaufen zwischen der Bundeskanzlerin und dem EU-Kommissionspräsidenten?

Krause: Das könnte sich daraus ergeben. Aber die Frage ist, ob wir in einer Situation sind, in der wir uns so etwas leisten können - wenn die Märkte in Aufruhr sind und das Vertrauen in Politik ohnehin schon ziemlich verloren haben. Die Frage ist, ob nicht die Politik durch ruhiges, auch vertrauliches, zielgerichtetes, sehr bewusstes Handeln alles unternehmen sollte, um dieses Vertrauen wiederherzustellen.

ARD-Morgenmagazin: Möglicherweise ist das Vorgehen ungeschickt, aber hat Barroso inhaltlich Recht, dass der Euro-Rettungsfonds aufgestockt werden muss?

Krause: Ich weiß nicht, ob es nur eine Ungeschicklichkeit war. Ich würde es deutlich härter bewerten. Der Rettungsschirm ist noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Er hat einen relativ kleinen Teil seiner Gelder bisher in Irland und Portugal zur Verfügung gestellt - und wird ja künftig auch für Griechenland verantwortlich sein. Das ist bisher alles in einem sehr verkraftbaren Bereich. Selbst wenn Spanien und Italien Hilfe bräuchten, könnten sie diese zunächst noch bekommen.

Ob man die ganze Staatsschuld Italiens und Spaniens finanzieren kann und sollte, ist eine andere Frage. Im Moment stellt sich die Frage nach einer Aufstockung des Rettungsschirms von der Sache her aber eigentlich nicht.