Interview

Interview zum Öl-Gipfel in Dschidda "Spekulanten sind keine Preistreiber"

Stand: 23.06.2008 14:26 Uhr

Auch wenn Saudi-Arabien mehr Öl fördern will - am hohen Ölpreis ändert sich nichts. Sind daran Spekulanten schuld? Der Energie- experte Gern weist diesen Vorwurf im Interview mit tagesschau.de zurück. Die Finanzmärkte machten es möglich, sich rechtzeitig auf knappes Öl einzustellen.

Auch wenn Saudi-Arabien mehr Öl fördern will, den Anstieg des Ölpreises hat das bislang nicht gebremst. Ölproduzenten und Ölimporteure weisen sich für diese Entwicklung gegenseitig die Schuld zu. Wieso also steigt der Ölpreis so rasant an - und welche Rolle spielen dabei Spekulanten? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Kieler Energieexperten Klaus-Jürgen Gern.

tagesschau.de: Was bringt die Erhöhung der Fördermenge um einige hunderttausend Barrel am Tag?

Klaus-Jürgen Gern: Wenig – das zeigt ja auch die Reaktion des Marktes. Das Öl ist derzeit nicht knapp, sondern die Märkte erwarten, dass wir in Zukunft  zu wenig Öl haben werden, um die weiter wachsende Weltwirtschaft mit Treibstoff zu versorgen. An dieser Einstellung ändert sich auch nach der Ankündigung von Saudi-Arabien nichts.

Zur Person
Dr. Klaus-Jürgen Gern ist Mitarbeiter am Kieler Institut für Weltwirtschaft und beobachtet dort die internationalen Rohstoffmärkte.

"Der Höhepunkt der Produktion ist überschritten"

tagesschau.de: Die Konsumenten klagen über die weltweit steigende Nachfrage nach Öl und über knapper werdende Reserven, die Produzenten halten den Markt für ausreichend versorgt. Wer hat Recht?

Gern: Beide haben Recht, denn es geht um Erwartungen. Was das Angebot anbelangt: Derzeit wird am Rande der Kapazitätsgrenzen gefördert. In wichtigen Förderländern und Fördergebieten, in denen günstig gefördert wird, geht die Produktion zurück. Dort ist der Höhepunkt der Produktivität überschritten, die Felder gehen zur Neige – etwa in der Nordsee, in Mexiko oder Saudi-Arabien. Um das Niveau der Förderung zu halten oder zu steigern, müssten zusätzliche Vorräte erschlossen werden. Das ist teurer und zeitaufwändiger, als noch vor wenigen Jahren gedacht. Und dazu kommen politische Risiken. In vielen Ländern kommen internationale Firmen nicht zum Zuge oder haben kein Interesse, weil ihnen Enteignung droht. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die Förderung in den nächsten Jahren ansteigen wird.

tagesschau.de: Gleichzeitig aber wird die Nachfrage – nicht zuletzt in den Schwellenländern – weiter ansteigen.

Gern: Dieser Trend kann sich vielleicht abflachen, aber nicht umkehren. Die Schwellenländer werden voraussichtlich weiter wachsen, und das geht nicht ohne einen steigenden Ölverbrauch. Und es ist schwer vorstellbar, dass sich dort die Energieeffizienz so weit verbessern wird, dass man mit sinkendem Verbrauch zu einem auskömmlichen Wachstum käme. Die Konkurrenz um den Rohstoff bleibt also bestehen. Wir werden in den Industrieländern weiter auf Energieeinsparung setzen müssen.

tagesschau.de: Das deutet nicht darauf hin, dass der Ölpreis sinken wird, obwohl es Experten gibt, die das zumindest mittelfristig für möglich halten.

Gern: Auf kurze Sicht würde ich das auch nicht ausschließen. Auf längere Sicht bin ich aber sehr skeptisch. Der Trend zu steigenden Preisen wird bestehen bleiben, es sei denn, es gäbe Neuigkeiten über bahnbrechende Fortschritte bei energiesparenden Technologien. Das zeichnet sich im Moment aber nicht ab.

"Wachtumsimpulse aus Schwellenländern werden schwächer"

tagesschau.de: Die Konjunktur ist entgegen aller Horrorszenarien der vergangenen Jahre nicht deutlich eingebrochen. Muss man langfristig doch mit massiveren Folgen rechnen?

Gern: Wir sind bislang so glimpflich davon gekommen, weil der Ölpreisanstieg in großen Teilen der Weltwirtschaft nur mit Verzögerung und abgeschwächt angekommen ist. Wenn sich das ändert, müssen wir auch in den Schwellenländern mit einem schwächeren Wachstum rechnen und damit mit schwächeren Wachstumsimpulsen für die Industrieländer. Einen Einbruch bei der Konjunktur wird es nach meiner Einschätzung zwar nicht geben. Aber ich erwarte, dass uns die Nachfrage aus den Schwellenländern nicht mehr so helfen wird wie in den vergangenen Jahren. Deshalb schlägt die dämpfende Wirkung des Ölpreises stärker durch.

tagesschau.de: Gibt es eine Schmerzgrenze beim Ölpreis?

Gern: Grundsätzlich nicht. Wenn sich aber der Anstieg der Energiepreise deutlich auf andere Sektoren ausdehnt, wenn die Menschen mit einer steigenden Inflation rechnen und höhere Löhne verlangen, dann müssen die Notenbanken reagieren. Sie müssten dann die Zinsen erhöhen und das Geld verknappen. Das wäre dann eine Entwicklung wie in den 70er Jahren. Noch reagieren die Notenbaken moderat, aber wenn sie zu einer restriktiveren Geldpolitik übergehen, könnte die Konjunktur deutlich in die Knie gehen.

"Zukunftserwartungen schon heute im Ölpreis"

tagesschau.de: Welchen Anteil haben Spekulanten am Preisauftrieb?

Gern: Der Begriff "Spekulant" ist unglücklich. Finanzinvestoren ermöglichen es, dass Zukunftserwartungen bereits heute in den Preisen zu sehen sind. Sie zeigen uns, dass das Öl knapp wird. Dadurch können wir schon heute unser Verhalten ändern. Ohne solche Zukunftserwartungen würde möglicherweise nur von heute auf morgen gehandelt. Der Ölpreis wäre vielleicht niedriger, aber wir würden kein Gefühl dafür bekommen, dass das Öl zur Neige geht. Und wenn dann das Öl knapp wird, steigt der Preis auf einmal sprunghaft an. Dann muss das Öl möglicherweise rationiert werden und ist nicht mehr für jeden Preis zu haben.

Positiv gewendet kann es sein, dass der hohe Ölpreis einen Technologieschub auslöst. Vielleicht haben wir in einigen Jahren Technologien, die den Ölverbrauch drastisch verringern werden. Dann würde der Ölpreis sofort sinken – selbst, wenn die Technologien noch nicht zur Hand sind. Allein die Erwartung eines sinkenden Verbrauchs würde die Preise drücken. Es ist nicht zwangsläufig, dass Spekulanten nur preistreibend wirken.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de