Wie weiter in der Eurokrise? Die wohl spannendste EZB-Sitzung seit langem
Mit seinen Worten, alles zum Erhalt der Euro-Zone zu tun, hatte EZB-Präsident Draghi für Entspannung an den Märkten gesorgt. Doch nicht alle Länder sind für EZB-Staatsanleihenkäufe - also wird mit Spannung erwartet, wie deren Sitzung heute ausgeht. Den Leitzins ließ die EZB jedenfalls bei 0,75 Prozent.
Die Erwartungen an die Europäische Zentralbank (EZB) waren lange nicht so hoch wie heute zur Sitzung des Notenbankrates in Frankfurt am Main.
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, will EZB-Präsident Mario Draghi die Schuldenkrise offenbar mit Hilfe einer Doppelstrategie eindämmen. Der Plan sieht demnach eine konzertierte Aktion der EZB und des künftigen Euro-Rettungsschirms ESM vor.
Beide Institutionen sollten den Kauf von Staatsanleihen etwa aus den Krisenländern Spanien oder Italien koordinieren, um so die Zinslast dieser Länder zu senken. Dabei würde der ESM den Regierungen in kleinerem Umfang direkt Anleihen abkaufen, während die Notenbank zugleich Papiere erwirbt, die bereits auf dem Markt gehandelt werden, schrieb das Blatt.
Bislang war vorgesehen, dass der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM Staatsanleihen von Euro-Ländern selbst kaufen kann, damit diese Staaten niedrigere Zinsen zahlen müssen, wenn sie sich bei Investoren Geld leihen. Der ESM kann diese Papiere aber nicht unbegrenzt kaufen. Denn das Geld für diese Geschäfte muss sich der Rettungsschirm auf dem Kapitalmarkt selbst leihen. Zur Absicherung dient dabei das Stammkapital von 700 Milliarden Euro, das die Euro-Staaten bereitstellen.
Bekäme der ESM nun eine Banklizenz, könnte er sich wie andere Geldhäuser nach Bedarf frisches Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen. Dafür müsste er Sicherheiten wie die erworbenen Staatsanleihen hinterlegen. So käme ein Kreislauf in Gang, der sich praktisch unbegrenzt fortsetzen ließe. Denn mit dem EZB-Geld könnte der ESM weitere Staatsanleihen kaufen. Damit stiegen aber auch die Risiken für die anderen Euro-Staaten.
Kauf von Staatsanleihen und ESM-Bank umstritten
Draghi hatte vor einer Woche erklärt, die EZB werde "im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten". Mit seinen Worten sorgte er zunächst für Erleichterung an den Märkten und für große Hoffnungen in einigen Ländern, dass die EZB massiv Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten wie Spanien und Italien kauft. Dies würde angeschlagene Länder zwar entlasten, allerdings die Inflationsgefahr erhöhen.
Die EZB hat bereits 211 Milliarden Euro in Anleihen schwächelnder Euro-Länder investiert. Das Kaufprogramm ist umstritten, seit dem Frühjahr ruht es. Auch die Erteilung einer Banklizenz für den ESM sorgt für Widerspruch.
Der Bundesverband deutscher Banken befürwortet einen Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank. Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer sprach im im ARD-Morgenmagazin von einer "Notfallsituation". Das dürfe aber kein Dauerzustand werden, sonst entstehe Inflationsdruck. "Die EZB kauft sich damit nur Zeit, das ist keine Lösung der Krise", sagte Kemmer.
"Inflationsunion" statt "Stabilitätsunion"?
Während auch die USA, Großbritannien und die südlichen Krisenländer ein massives Eingreifen der EZB befürworten, sehen Finnland, die Niederlande und Deutschland die geplanten Maßnahmen dagegen skeptisch. "Wir wollen nicht den Weg in eine Inflationsunion, sondern wir haben den Weg beschritten in eine Stabilitätsunion", erklärte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. Darin seien sich Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und er einig, betonte der FDP-Chef.
Auch Bundesbankchef Jens Weidmann ist dagegen, weil es die profitierende Regierung nicht dazu verpflichtet, im Gegenzug für die Hilfen wirtschaftliche Reformen einzuleiten und den Haushalt zu sanieren. Weidmann verlangt von der EZB Zurückhaltung. Er sieht die Verantwortung zur Lösung der Krise bei der Politik.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach sagte im ARD-Morgenmagazin, die EZB habe nicht die Aufgabe, die Staaten zu finanzieren, sondern solle für Geldwertstabilität sorgen. Die Inflation sei auch eine Gefahr und die Rettungsfähigkeit Deutschlands nicht unbegrenzt. "Je mehr Länder hilfebedürftig werden und unter die Rettungsschirme schlüpfen, desto eher besteht die Gefahr, dass wir eines Tages abhängig sind von den hoch verschuldeten Ländern", warnte Bosbach.
Erneuter Appell aus Washington
US-Präsident Barack Obama appellierte abermals an die Europäer, alles zu tun, um die Eurozone zu stabilisieren. Bereits am Montag hatte sein Finanzminister Timothy Geithner Schäuble an dessen Urlaubsort in dieser Sache auf Sylt aufgesucht.
Obama, der am Mittwoch mit Frankreichs neuem Präsidenten Francois Hollande telefonierte, sorgt sich drei Monate vor den US-Wahlen, dass eine eskalierende Euro-Schuldenkrise die US-Wirtschaft in den Abgrund ziehen könnte.
Zinssenkung wohl erst im September
Im EZB-Rat selbst zeichne sich eine Mehrheit dafür ab, die Käufe wieder aufzunehmen und sie mit den Regierungen zu koordinieren, schreibt die "SZ". Einen offiziellen Beschluss dazu werde der Rat wohl noch nicht fassen. Wahrscheinlicher sei, dass Draghi seine Aussage aus der vergangenen Woche, wonach die EZB alles tun wird, um den Euro zu retten, konkretisiert.
Eine endgültige Entscheidung würde dann nach dem 12. September fallen. An diesem Tag will das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die Errichtung des ESM verkünden. Der Fonds soll den provisorischen Schutzschirm EFSF ersetzen.
Leitzins bleibt unverändert
Eine Leitzinssenkung gab es unterdessen wie erwartet nicht. Der EZB-Rat entschied, ihn bei 0,75 Prozent zu lassen. Experten gehen davon aus, dass eine Senkung frühestens im September kommt.
Der EZB-Rat hatte den Leitzins bei seiner letzten Sitzung Anfang Juli auf 0,75 Prozent verringert. Damit liegt der Zins erstmals seit Einführung des Euro 1999 unter einem Prozent.
Spanien muss mehr für neue Anleihen zahlen
Unmittelbar vor der erwarteten EZB-Entscheidung musste Spanien deutlich mehr Zinsen für neue Anleihen zahlen. Der Staat sammelte bei drei Auktionen zusammen 3,1 Milliarden Euro ein. Der Zins für die richtungweisende zehnjährige Anleihe kletterte auf 6,647 Prozent, nachdem er bei der vorangegangenen Versteigerung Anfang Juli noch bei 6,43 Prozent gelegen hatte. Auch die Nachfrage war nicht mehr so stark: Die Auktion war 2,4-fach überzeichnet - nach 3,2-fach vor einem Monat.
Bei der zweijährigen Anleihe legte der Zins von 3,592 auf 4,774 Prozent zu, bei den bis 2016 laufenden Papieren von 5,536 auf 5,971 Prozent. Die Nachfrage blieb robust.