Kolumbien und die Klimakrise Was tun, wenn das Wasser steigt?
An der kolumbianischen Pazifikküste kämpfen ganze Dörfer gegen Überschwemmungen und die Abholzung. Doch welche Methode funktioniert am besten? Eine Erkenntnis: Der Schutz der Umwelt muss sich für die Menschen lohnen.
"Dort", sagt Jovanni Landazuri, während er mit dem Zeigefinger in die Mitte des Flusses deutet, "war unser Fußballplatz". Jetzt ist da nur noch das trübgrüne Wasser des Rio Mirá, dessen Flussbett immer breiter geworden ist.
"Und zwar mehr als 50 Meter in den letzten fünf Jahren", sagt Landazuri, der Gemeindesprecher von Imbili. Das Dorf liegt nahe der Grenze zu Ecuador und wird vor allem von Afrokolumbianerinnen und Afrokolumbianern bewohnt, der drittgrößten ethnischen Gruppe Kolumbiens.
Das Wasser kommt immer wieder und trägt Land ab - das kann im Ort Bajito Vaqueria auch die Anpflanzung von Mangroven nicht verhindern
Die Dürre zerstört die Uferböschung
Mit der Klimakrise sind die Dürreperioden länger und die Niederschläge extremer geworden. In diesem Jahr hat es seit sechs Monaten nicht mehr geregnet. Die Folge: Die Vegetation an der Uferböschung geht ein, der Boden erodiert und die natürliche Schutzbarriere zum Fluss geht verloren.
Wenn es dann in der Regenzeit wieder zu immer heftigeren Überschwemmungen kommt, wird der Uferbereich weggespült und das Flussbett noch breiter. Immer größere Flächen werden überschwemmt.
In Imbili wie in anderen Dörfern an der kolumbianischen Pazifikküste suchen die Menschen nach Wegen, um sich gegen das steigende Wasser zu schützen und gleichzeitig die weitere Zerstörung der Umwelt zu verhindern.
"Wir versuchen hier in Imbili mit Wiederaufforstung den Boden zu stabilisieren", erklärt Estiven Martinez. Martinez, dunkelgrünes Hemd in der Jeans, gelbe Gummistiefel, arbeitet im Auftrag des UN-Welternährungsprogramms und koordiniert die Pflanzung von rund 200 Obstbäumen in Ufernähe. "So schützen wir unser Dorf, die Biodiversität und die Ernährungssicherheit vor den Auswirkungen des Klimawandels."
Schutzmauer aus Beton wird nicht gefördert
Klingt gut, hilft aber kurzfristig nicht wirklich. "Das Wasser tritt bei Fluten trotzdem über", sagt Landazuri. "Das Einzige, was wirklich hilft, ist eine Betonmauer." Doch da Zement nicht als nachhaltig gilt, gibt es dafür kein Geld von den Vereinten Nationen. "Wir haben dann bei anderen NGOs rund 6.000 Euro zusammengesammelt und damit die ersten 40 Meter Mauer gebaut", erzählt Landazuri.
Und tatsächlich: Vor zwei Jahren wurde die Mauer gebaut und da, wo sie steht, hält sie das Wasser zurück. Doch wo sie aufhört, hat der Fluss schon wieder einige Meter des sandigen Bodens abgetragen. "Wir wollen die Mauer unbedingt mindestens noch 350 Meter weiterbauen, aber dafür fehlt das Geld", sagt Gemeindesprecher Landazuri. Der Kampf gegen die globale Klimakrise endet in Imbili nach 40 Metern.
Bootsmotor gegen die Abholzung der Mangroven
Etwa 300 Kilometer nördlich rangen bis Anfang November die Vertreter der UN-Mitgliedstaaten bei der COP16 um den Schutz der Biodiversität. Bei der Konferenz im kolumbianischen Cali forderten die Länder des globalen Südens konkrete Zusagen für Geld aus dem globalen Norden zur Finanzierung des Umweltschutzes und mehr Mitbestimmung über die Verwaltung eines Hilfefonds.
Die Länder der EU und weitere Industriestaaten, die nicht nur einen großen Teil der eigenen Biodiversität ihrer Industrialisierung geopfert, sondern auch über ihren Emissionsausstoß die globalen Probleme mitverursacht haben, stellten sich quer. Weil sich die Länder beim Geld nicht einigen konnten, wurde die Konferenz abgebrochen.
Mangrovenbäume wie diese werden bei der Aufforstung gepflanzt. Omar Revelo sagt: "Waldschutz funktioniert, wenn er sich lohnt."
Was bei der COP abstrakt klingt, wird in den Dörfern rund um Tumaco konkret. Zum Beispiel in Bajito Vaqueria, das von Imbili eine Autostunde und eine halbe Stunde per Motorboot über eine Lagune entfernt liegt. Unter einem Guavenbaum in der Mitte des Dorfes sitzt Omar Revelo und trägt die grüne Weste des Gemeinderats: "Hier gab es fünf Männer, die Mangroven abgeholzt haben, um sie als Holzkohle zu verkaufen. Mit denen haben wir uns hingesetzt und überlegt, was sie brauchen, damit sie nicht mehr abholzen müssen", erzählt er.
Eine Gegenleistung für den Rodungsstopp - das ist das Konzept, mit dem öffentliche Institutionen mit Hilfe internationaler Gelder in Kolumbien versuchen, die kleinteilige Abholzung zu stoppen. In Bajito Vaqueria gab es für eine der Familien einen neuen Bootsmotor, um wieder zum Fischen rauszufahren. Die andere bekam eine finanzielle Starthilfe für einen Kiosk.
Man kennt sich, es funktioniere gut, erklärt Revelo. Schwieriger sei es mit den Menschen von außerhalb, die nachts mit Booten aus den ärmeren Vierteln der Stadt Tumaco kommen, um die Mangroven zu fällen. Das ist zwar illegal, "aber wir können ihnen das Holz nicht wegnehmen, sonst sagen sie: 'Wie soll ich sonst meine Familie ernähren?'", erzählt Revelo.
Muschelsammlerinnen unterstützen bei der Aufforstung. Auch mit dem Ziel, ihre Einnahmequelle zu sichern. Muscheln leben zwischen den Wurzeln der Mangroven.
Muschelsammlerinnen beschützen die Mangroven
Da die Abholzung nicht gänzlich gestoppt, sondern nur gebremst werden kann, entwickelt sich in Bajito Vaqueria ein Wettlauf: schneller aufforsten, als andere abholzen. Das Aufforsten haben 30 Frauen in die Hand genommen, die sich in der Vereinigung der Muschelsammlerinnen organisieren.
"Wenn wir hier nicht die Umwelt schützen, wer sonst?", sagt Pamela Quiñonez. Ohne die Mangroven drohen dem Ort immer stärkere Überschwemmungen, wie in Imbili. Schon jetzt dringt das Wasser immer wieder bis in die Dorfmitte vor. Durch das Versickern des salzhaltigen Lagunenwassers im Boden wird das Brunnenwasser ungenießbar.
Außerdem: "Zwischen den Wurzeln der Mangroven haben die Muscheln ihre Höhle. Wegen der Abholzung und den Klimaveränderungen ist es viel schwieriger geworden, Muscheln zu finden", erzählt Quiñonez, die schon als Grundschulkind mit ihren Eltern nach der Schule durch schlammige Böden zum Muschelsammeln stapfte.
Gemeinsam mit anderen Frauen kümmert sie sich um die Pflege des Saatgutes für die Mangroven, zieht die kleinen Bäume vor und pflanzt sie dann dort, wo Motorsägen bereits Breschen in die einst dichte Mangrovenwand gefressen haben. Insgesamt 60.000 Bäume haben sie in den letzten drei Jahren gepflanzt. "Dort wo wir aufgeforstet haben, gibt es auch wieder mehr Muscheln - auch wenn das sehr langsame Prozesse sind", sagt Quiñonez.
Muscheln und Mangroven, das funktioniert gut zusammen. Aber es ist ein Modell, das unter Druck steht: Durch bewaffnete Gruppen und illegale Holzfäller ebenso wie durch Krebse und die Preisentwicklung auf dem Holzmarkt. Die Krebse fressen die jungen, gerade gepflanzten Bäume.
Die illegalen bewaffneten Gruppen, die rund um Tumaco großen Einfluss haben, nutzen das Mangrovenholz zum Bauen ihrer Drogenlabore im Wald und bedrohen Gemeindevertreter wie Omar Revelo, die die Abholzung stoppen wollen. Das aktuell effektivste Instrument gegen die Abholzung - die Ausgleichszahlungen - funktioniert nur, solange der Marktpreis des Mangrovenholzes nicht lukrativer ist. Und sollte das Muschelsammeln irgendwann nicht mehr auskömmlich sein, dann verliert Bajito Vaqueria seine wichtigsten Waldschützerinnen - die Muschelsammlerinnen um Pamela Quiñonez.
Solange Kakao mehr einbringt als Koka oder Ölpalmen, ist es eine attraktive Alternative. Auch für den Klimaschutz.
Waldschutz muss sich lohnen - Kakaoanbau als Lösung
"Waldschutz funktioniert, wenn er sich lohnt", resümiert Revelo. Er setzt dabei auch auf eine recht schwere gelbe, fleischige Frucht mit großen bitteren Kernen: Kakao. Da es in Westafrika hohe Ernteausfälle gab, ist der internationale Kakaopreis hoch wie nie, und in Kolumbien steigen Bauern von Koka oder Ölpalmen auf Kakao um.
Das ist auch gut für die Umwelt: Weil Kakaobäume Schatten benötigen, werden sie nicht in Monokulturen, sondern gemeinsam mit weiteren Obstbäumen angebaut. Tendenziell erhalten sie die Biodiversität - im Gegensatz zu den extensiven Ölpalmen-Plantagen, die hier in der Region einer der Abholzungstreiber sind.
Revelos Gemeinderat will in Zukunft die Kakaobohnen nicht einfach verkaufen, sondern sie zu Schokolade verarbeiten und in den Export bringen. Damit soll ein größerer Teil des Gewinns in der Gemeinde bleiben. Mit Unterstützung der UN bauen sie jetzt eine kleine Fabrik, die im Februar in Betrieb gehen soll. Wenn alles klappt, werden hier täglich bis zu drei Tonnen frische Kakaobohnen zu Schokolade verarbeitet, über die Revelos ins Schwärmen kommt: "Unser Kakao hier schmeckt nach Zimt und hat etwas Orangen- und Zitronenaroma."
Am Geschmack wird’s nicht scheitern. Doch was, wenn der Weltmarktpreis für Kakao wieder fällt? Dann wird auch Revelos Schokoladenansatz unter Druck geraten - so wie die Muschelpopulation in den Mangroven von Bajito Vaqueria oder die Mauer gegen das Hochwasser in Imbili.
Hinweis: Die Recherche fand im Rahmen einer Recherchereise der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN) statt.