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Rücktritte bei den Liberalen Wie die "D-Day"-Affäre der FDP schadet

Stand: 29.11.2024 13:27 Uhr

Die FDP zieht Konsequenzen: Nach dem Bekanntwerden eines Papiers zum Ausstieg aus der Ampel treten Generalsekretär und Geschäftsführer zurück. Worum geht es? Und wie sehr schadet der Vorgang der Partei im Wahlkampf?

Von Jan Zimmermann, ARD-Hauptstadtstudio

Hat die FDP ein falsches Spiel gespielt? Der Vorwurf steht im Raum. Parteichef Christian Lindner warf Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach dem Ampel-Aus einen "kalkulierten Bruch" der Koalition vor. Nun sieht es so aus, als habe die FDP das Ende der Koalition gezielt herbeigeführt.

Seit gestern Abend ist ein achtseitiges Dokument öffentlich, das es in sich hat. In der Folge geriet der Generalsekretär Bijan Djir-Sarai massiv unter Druck. Mit den Worten "ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert", trat er nun zurück. Er beteuerte in einem kurzen Statement, von dem umstrittenen Papier in der Vergangenheit nichts gewusst zu haben. "Für einen solchen Vorgang ist der Generalsekretär verantwortlich", sagte Djir-Sarai. Er übernehme die politische Verantwortung, um Schaden von der Partei abzuwenden.

"Christian Lindner schützen", Frank Jahn, ARD Berlin, zum Rücktritt von FDP-Generalsekretär Djir-Sarai

tagesschau, 29.11.2024 14:00 Uhr

Djir-Sarai hatte vor fast zwei Wochen auf erste Medienberichte über die D-Day-Formulierung noch betont: "Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden." Auch FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann gab wegen der Affäre sein Amt auf. Er soll der Verfasser des Dokuments gewesen sein.

Was steht im Papier?

Das Papier trägt die Überschrift "D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen". Darin geht es um das "Timing" und wann der "ideale Zeitpunkt" wäre, die Koalition mit SPD und Grünen aufzukündigen. Als "avisierter Ausstieg" wird die erste Novemberwoche genannt. Auch andere zeitliche Szenarien werden abgewogen und Risiken aufgezählt, wie die Wahlen in den USA, die Deadline für den Haushalt und der Grünen-Parteitag im November. Auch ein "Kernnarrativ" wird in dem Papier aufgeführt - also eine Hauptbotschaft, mit der der Ausstieg verknüpft werden könnte.

Sogar ein vorbereitetes Statement von Parteichef Christian Lindner ist in dem Dokument enthalten, inklusive verschiedener Überlegungen, "um die Hoheit über die Kommunikation zu halten". Dabei geht es darum, wann, wo und über welche Kanäle man den Ampel-Bruch am besten verkünden könnte.

In einer Ablaufpyramide werden verschiedene Phasen dargestellt bis zur Schlussphase "Beginn der offenen Feldschlacht". Für alle Phase gibt es genaue Pläne, wie die Kommunikation in den Medien ablaufen soll. Bemerkenswert sind die militärischen Begriffe, die in dem Papier verwendet werden. Der Begriff D-Day steht für die Landung der Alliierten in der Normandie im Zweiten Weltkrieg.

Warum veröffentlichten die Liberalen das Papier?

Die FDP bezeichnet das Dokument als "Arbeitspapier". Es wurde von der Partei gestern selbst veröffentlicht, nachdem bereits mehrere Medien Berichterstattung dazu angekündigt hatten. Es war sozusagen eine Flucht nach vorn.

Offiziell heißt es aus der Partei: "Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition." Die Parteispitze will also nichts davon gewusst haben, was von politischen Beobachtern bezweifelt wird.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Kritik kommt nicht nur von den politischen Wettbewerbern, sondern auch aus den eigenen Reihen. FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte, angesichts der Situation in der Regierung sei es zwar richtig gewesen, sich mit Ausstiegsszenarien auseinanderzusetzen. Aber: "Die Wortwahl ist der Sache nicht dienlich, eine Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar." Sie fordert Selbstkritik und Aufarbeitung.

Ähnliche Worte kommen vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Wolfgang Kubicki: "Fehler, die gemacht wurden, müssen selbstverständlich aufgearbeitet werden." Die Nachwuchsorganisation Junge Liberale kritisierte die Vorgänge scharf.

Parteichef Lindner versucht unterdessen zu beschwichtigen. "Hier ist ein Papier im Entwurfsstadium, das Mitarbeiter verfasst haben, in die Öffentlichkeit gebracht worden", sagte er der Rheinischen Post für ihre morgige Ausgabe. Lindner betonte, "dass es professionell ist, wenn Mitarbeiterstäbe Eventualitäten durchspielen". In dem Interview stellte er sich noch hinter seinen Generalsekretär Djir-Sarai.

Viele SPD- und Grünen-Politiker zeigen sich über die detaillierten Pläne und "Kampfbegriffe" empört. SPD-Generalssekretär Matthias Miersch fordert von FDP-Chef Lindner eine Entschuldigung. "Solch ein verantwortungsloses Handeln zerstört das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Institutionen", sagte Miersch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sein Parteikollege Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Da ist teilweise gelogen worden, bis die Balken sich biegen. Und darüber bin ich ehrlicherweise erschüttert."

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, zeigte sich entsetzt über die "Wortwahl" in dem Papier und sagte über die Partei: "Sie sollte keine Verantwortung in diesem Land tragen für Entscheidungen hier im Deutschen Bundestag. Sie ist nicht regierungsfähig."

Welche Folgen hat die Affäre für die Partei?

Viele Menschen hatten bereits die Schuld für das Ampel-Aus der FDP zugewiesen. Im ARD-Deutschlandtrend äußerten 40 Prozent der Befragten, die FDP trage in erster Linie die Verantwortung für das Scheitern der Koalition. Die Enthüllungen um das "D-Day-Papier" werden vermutlich dazu führen, dass noch mehr Wählerinnen und Wähler zu dieser Meinung kommen.

Die militärischen Begriffe in dem Papier lehnen viele ab - das zeigen auch die Reaktionen im Netz. Im Fokus steht die Frage, wie sehr Parteichef Lindner nun beschädigt ist. Dies hängt davon ab, wie jetzt die Reaktionen der Parteimitglieder auf die aktuellen Vorgänge ausfallen.

Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 29.11.2024 13:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. November 2024 um 06:40 Uhr.