Atommüll aus Frankreich Erster Castor-Zug seit 2020 erreicht Deutschland
Vier Behälter mit Atommüll sind von Frankreich nach Deutschland gebracht worden. Trotz Protesten von Atomgegnern verlief der Transport nach Philippsburg bei Karlsruhe ohne Zwischenfälle. Dort lagern bereits 102 Behälter mit Abfällen.
Nach rund 25 Stunden Fahrt ist der Zug mit den Castoren an seinem Zielort in Philippsburg (Kreis Karlsruhe) angekommen. Dort sollen die vier Behälter mit hochradioaktivem Atommüll zwischengelagert werden. Der Eisenbahntransport war am Dienstag in Valognes in Frankreich gestartet und ist am Mittwochmittag bei Saarbrücken über die Grenze nach Deutschland gefahren. Bis kurz vorher war der Ort des Grenzübertritts nicht bekannt. Die letzten Kilometer fuhr der Zug durch Rheinland-Pfalz - über Kaiserslautern, Speyer und Germersheim. Um kurz vor 18 Uhr fuhr der Transporter auf das Werksgelände des ehemaligen Atomkraftwerks.
Polizei: Castor-Transport verlief planmäßig
Laut Polizei versuchte ein Mann den Transport an der Zufahrt zum Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks zu stören. Er sei in Gewahrsam genommen worden. Abgesehen davon seien die vier Atommüll-Behälter ohne Zwischenfälle am frühen Abend am Zwischenlager in Philippsburg angekommen.
SWR-Reporterin Susann Bühler schildert ihre Eindrücke vom Tag in Philippsburg:
Mahnwache von Atomgegnern in Philippsburg am Bahnhof
Seit 9 Uhr am Mittwoch hatten sich Atomgegner zu einer Mahnwache neben dem ehemaligen Atomkraftwerk zusammengefunden. Herbert Würth vom Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar erklärte die Protestaktion:
Eine rund 1.200 Kilometer lange Strecke legte der hochstrahlende Atommüll aus der Normandie im Norden Frankreichs nach Deutschland zurück. Am Montag waren die vier Castoren in der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague per Lkw gestartet. Nach 40 Kilometern per Tieflader auf der Straße von La Hague zum Verladebahnhof nach Valognes folgte der Schienentransport quer durch Frankreich.
Am Ende der Reise im Bahnhof Philippsburg wurde der stehende Atommüll-Transporter von Polizeibeamten abgeschirmt
Letzter großer Transport von Atommüll
Der Transport ist Teil des Endes einer Ära. Denn es war der letzte große Transport von Atommüll nach Philippsburg. Die Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich dazu verpflichtet, den gefährlich strahlenden Müll zurückzunehmen. Die vier Castoren werden bis auf Weiteres im Standortzwischenlager Philippsburg untergebracht. Dort stehen bereits 102 Castoren mit Abfällen aus dem laufenden Betrieb des Ende 2019 stillgelegten Atommeilers.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Castor-Transport:
Atommüll-Transport: Warum wurde die Route geheim gehalten?
Damit der Transport sicher ablaufen konnte, musste laut den Verantwortlichen vieles geheim bleiben. Deswegen wurde die genaue Strecke nach Philippsburg im Vorfeld nicht bekanntgegeben. In den vergangenen Jahren waren solche Transporte regelmäßig ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Transportverantwortlichen und der Polizei auf der einen Seite und den Atomgegnern auf der anderen Seite. Beim diesem letzten Castor-Transport nach Philippsburg gab es keine Zwischenfälle.
Warum kritisieren Atomgegner den Transport?
In der Beurteilung des Transports ist sich die Anti-Atom-Bewegung uneins. Der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) und weitere Atomkritiker sind der Meinung, im Fall der Rücknahme der letzten Castoren aus Frankreich müsse das Verursacherprinzip gelten. Der Müll solle also in das Land zurück, wo er verursacht wurde. Das sieht die Anti-Atom-Initiative Karlsruhe anders. Sie fordert, dass der Atommüll erst dann transportiert werden sollte, wenn ein Endlager gefunden sei. Die Initiative hatte zuletzt am 9. November gegen den Transport des Atommülls demonstriert. Rund 50 Personen aus ganz Süddeutschland kamen.
Ein wunder Punkt aus Sicht der meisten Atomgegner bleibt die Frage der Sicherheit und der Strahlungsgefährdung, die von den vier Castoren ausgeht. Die Genehmigungsbehörden meinen, dass der Castor-Transport nach menschlichem Ermessen sicher sei, ebenso wie die Einlagerung der vier "Atommülleimer" im Philippsburger Standortzwischenlager.
Wie gefährlich ist ein Castor-Transport?
Die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) ist im Auftrag der vier großen Energieversorger in Deutschland für die Entsorgung der Abfälle bis zur Abgabe in das Zwischenlager zuständig. Von dieser Seite ist zu hören: Bei den Transporten gelten Grenzwerte von 0,1 Millisievert (mSv) pro Stunde in zwei Metern Entfernung. "Dieser Grenzwert bedeutet, dass eine Person, die sich eine Stunde in zwei Metern Entfernung vom Transport aufhält, höchstens eine zusätzliche Dosis von 0,1 Millisievert erhält", so Michael Kölbl, Sprecher der GNS. Die 0,1 Millisievert entsprächen der Dosis, die ein Passagier während eines Flugs von Frankfurt nach New York und zurück aufgrund der kosmischen Strahlung erhalte.
Atomgegner sehen das anders: Neben der Unfallgefahr gebe es durch die Castor-Transporte Gesundheitsrisiken, sagen sie. Insbesondere die Gefahren der Neutronenstrahlung, die die Behälterhülle durchdringe, sei jahrelang unterschätzt worden, meinen Kritiker. Das Begleitpersonal sei daher bei jedem Transport einem weitaus höheren Risiko ausgesetzt als lange Zeit angenommen wurde.
In Philippsburg haben Atomgegner eine Mahnwache gehalten.
Warum wurde der Eilantrag aus Philippsburg abgewiesen?
Die Stadt Philippsburg mit dem parteilosen Bürgermeister Stefan Martus hatte die Frage aufgeworfen, ob die Castoren und das Zwischenlager gezielten Angriffen von Saboteuren mit modernen Waffensystemen tatsächlich standhalten würden. Martus reichte deshalb einen Eilantrag gegen den Transport beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein. Parallel laufen Klagen gegen die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Zwischenlager Philippsburg.
Die Antwort der Betreiber ist dabei immer dieselbe: Die Castoren und das Lager seien sicher, hieß es zuletzt beim gemeinsamen Infoforum im Oktober des Energiekonzerns EnBW und der Gesellschaft für die Zwischenlagerung (BGZ) in Philippsburg.
Der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg (VGH) kam in seiner Entscheidung über die Eilanträge zu dem Ergebnis: von den Castoren aus La Hague gehe keine zusätzliche Gefahr für die Bevölkerung aus. Die maßgeblichen Grenzwerte würden weiterhin deutlich unterschritten.
Was kostet die Lagerung von Atommüll?
Was nach Deutschland zurückkehrt, ist nicht eins zu eins der Müll, der aus deutschen Atomkraftwerken bis zum Jahr 2005 zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich geschickt wurde. Würde einer der Protagonisten auf die genaue Rücknahmemenge bestehen, dann müsste nicht nur ein Transport nach Deutschland rollen, sondern es wären insgesamt 17 Züge, die dann zu einem guten Teil auch schwach- oder mittelradioaktiv strahlendes Material enthalten würden.
In Verhandlungen mit der französischen Seite hatten sich die Betreiber deshalb auf einen einzigen Transport geeinigt, der entsprechend höher strahlendes Material enthält. Am Ende, so Jörg Michels, Chef der EnBW Sparte Kernkraft, sei die Menge der Radioaktivität gleich.
SWR-Reporterin Susann Bühler erklärt, was bei der Einlagerung ins Zwischenlager passiert:
Ein Atommülltransport und die Einlagerung sind für die Betreiber kein ganz billiges Unterfangen: Alleine der Transport koste einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag, heißt es bei der EnBW. Die Einlagerung in Philippsburg, für die dann die BGZ (Gesellschaft für Zwischenlagerung) zuständig ist, kostet in diesem Jahr rund 37 Millionen Euro.
In den Folgejahren, weil keine zusätzlichen Aufwendungen zu erwarten seien, sollen die jährlichen Betriebskosten dann bei 12 bis 13 Millionen Euro liegen. Finanziert werden diese Summen aus dem Atomfonds des Bundes, in den die Kraftwerksbetreiber rund 24 Milliarden Euro zur Entsorgung der Atomabfälle eingezahlt hatten.
Wie lange bleibt der Atommüll in Philippsburg?
Während Politik und Betreiber von einem Standort-Zwischenlager in Philippsburg sprechen, reden Atomgegner von einem "De-Facto-Endlager", weil keiner der heute in Philippsburg lebenden Menschen jemals erleben werde, dass die Castoren die Stadt verlassen. Für die vier Standorte in Biblis (Landkreis Bergstraße), Brokdorf (Kreis Steinburg), Isar (Landkreis Landshut) und Philippsburg (Kreis Karlsruhe) gibt es bis 2047 eine Lagergenehmigung. Was danach mit den Castoren geschehen soll, ist völlig unklar. Atomgegner gehen mittlerweile davon aus, dass die Endlagerfrage nicht vor dem Jahr 2100 geklärt werden kann.
Sendung am Di., 19.11.2024 17:30 Uhr, SWR4 BW Studio Karlsruhe