Männer bei Gewaltdelikten überproportional vertreten

Interview mit Kriminologe: "Je schwerer die Gewalt, desto eher ist es eine 'Men's World'"

Stand

Von Autor/in Barbara Reeder

Gewaltdelikte werden vor allem von Männern begangen. Welche Rolle die Erziehung aber auch Alkohol dabei spielen, erklärt der Tübinger Kriminologe Jörg Kinzig im Interview.

Die Messerkriminalität unter Kindern und Heranwachsenden ist zuletzt in Baden-Württemberg spürbar gestiegen. Das geht aus der am Mittwoch veröffentlichten Kriminalstatistik 2024 hervor. Auch die Gewalt gegen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten hat zugenommen. Die überwiegende Mehrheit der Täter - so zeigen es auch die Statistiken der vergangenen Jahre - ist männlich und jung. Jörg Kinzig ist Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Gewaltkriminalität. Im Interview erklärt er, dass das Phänomen, dass insbesondere junge Männer gewalttätig sind, in allen Zeiten und in allen Kulturen zu beobachten ist.

SWR Aktuell: Herr Kinzig, warum geht Gewalt so häufig von Männern aus?

Jörg Kinzig: Wir wissen, dass vor allem junge Männer mehr mit Gewalt belastet sind. Das ist auch in der Vergangenheit und in jedem Kulturkreis zu sehen. Je schwerer die Gewalt ist, desto eher ist es eine "Men's World", wurde die Tat von einem Mann begangen. Daher machen Frauen auch nur einen ganz geringen Prozentsatz bei den Strafgefangenen aus, die wegen schwerer Gewaltdelikte einsitzen.

Zur Erklärung gibt es verschiedene Theorien. So können etwa unterschiedliche Tatgelegenheiten eine Rolle spielen. Etwa, dass sich Männer eher in Situationen begeben, in denen es zu Gewalt kommen kann. Wenn ich abends unterwegs bin, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich in eine solche Situation gerate als wenn ich zu Hause auf der Couch sitze. Aber auch die Erziehung kann eine Rolle spielen - welches Männlichkeitsbild vermittelt wird oder ob man Jungen mehr durchgehen lässt als Mädchen. Zudem werden auch biologische Ursachen zur Erklärung herangezogen, wie die körperliche Überlegenheit oder der Einfluss von Glücks- und Stresshormonen wie Dopamin und Noradrenalin.

Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen
Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen

SWR Aktuell: Gegen wen richtet sich die Gewalt?

Kinzig: Nimmt man die Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalstatistik 2023 zum Maßstab, zeigt sich, dass in der Regel Männer zugleich Täter und Opfer sind. So wurden zuletzt mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen als Opfer von Gewaltkriminalität registriert. Vereinfacht gesagt: Der Normalfall ist, dass sich junge Männer am späten Abend vor einer Bar prügeln.

SWR Aktuell: Welche Rolle spielen gruppendynamische Prozesse?

Kinzig: Kriminalität aus einer Gruppe heraus ist ein typisches Kennzeichen der Kriminalität Jugendlicher und Heranwachsender. Der Schutz der Gruppe kann etwa dazu führen, dass eine Tat eher begangen wird, weil dann auch die Verantwortung für das kriminelle Geschehen den anderen Beteiligten zugeschoben werden kann. Zudem gibt es aus der Gruppe heraus auch "Aufschaukelungsprozesse", wenn sich die Personen gegenseitig anstacheln.

SWR Aktuell: Welche Rolle spielt Alkohol?

Kinzig: Eine bedeutende. Gerade schwere Straftaten werden häufig unter dem Einfluss von Alkohol begangen. Allerdings darf man dennoch nicht außer Acht lassen, dass es auch viele Menschen gibt, die zum Teil sogar exzessiv Alkohol trinken, aber dennoch nicht durch Kriminalität auffallen.

SWR Aktuell: Was kann man zur Prävention tun?

Kinzig: Schon vor mehr als 100 Jahren hat ein bedeutender Strafrechtler sinngemäß gesagt, dass eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik sei. Das Strafrecht kommt häufig erst dann zum Zug, wenn - bildlich gesprochen - das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Wir sollten also deutlich früher ansetzen, etwa in den Kindergärten und Grundschulen. Es gibt bereits Ansätze, wie Workshops, in denen Kinder lernen, Stopp zu sagen und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.

Leider gehört aber auch zur Wahrheit dazu, dass es uns trotz aller Bemühungen in der nahen Zukunft nicht gelingen wird, eine kriminalitätsfreie Gesellschaft herzustellen. Dennoch sollten wir uns natürlich nach besten Kräften darum bemühen.

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