Reformen in der katholischen Kirche

Interview mit Theologin: Papst Franziskus hat sehr viel vorangebracht

Stand

Papst Franziskus hat viele Reformen angestoßen. Ob sie vollendet und realisiert werden, hängt von seinem Nachfolger ab, sagt Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer im SWR-Interview.

Während seiner Amtszeit hat Papst Franziskus einige Reformen angestoßen. Doch was davon bleibt nach seinem Tod? Ursula Nothelle-Wildfeuer ist Lehrstuhlinhaberin für christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Im Interview erklärt sie, was Franziskus verändert hat - und wie es nun weitergeht.

SWR Aktuell: Wie würden Sie Papst Franziskus beschreiben, was hat ihn ausgemacht?

Ursula Nothelle-Wildfeuer: Was mir als Allererstes einfällt, was ihn ausgemacht hat, ist die Sorge um die Menschen, die am Rand stehen. Um die Schwachen, die Armen in der Vielfalt dessen, was der Armutsbegriff beinhaltet. Dass sie besondere Zuwendung brauchen und dass die Zuwendung zu diesen Menschen nicht irgendetwas ist, was wir so nebenbei, als Christen und Christinnen auch noch mitbedienen, sondern dass das der Kern ist, das lässt sich als sein Kernanliegen beschreiben. Also eine Kirche, die an die Grenze und an die Ränder geht. Das hat er selbst sehr stark gemacht, durch Handlungen und natürlich durch all seine Predigten und Reden immer wieder sehr verdeutlicht. Er hat sich gewehrt gegen diese Kultur der Gleichgültigkeit, die sich so breit gemacht hat. So hat er es selbst in einem Text geschrieben. Und er wollte ganz deutliche Zeichen dagegensetzen.

Und es gibt noch etwas Zweites, aus der Perspektive der Theologie als Wissenschaft in Deutschland, die ja an staatlichen Fakultäten vorrangig lehrt, arbeitet und forscht: Dass eben vieles denkbar, diskutierbar geworden ist, in einer Freiheit, die wir vorher so nicht gekannt haben. Da ist noch viel Luft nach oben, aber es hat sich doch ein Klima entwickelt, dass wir anders denken und forschen können.

Er hat sich gewehrt gegen diese Kultur der Gleichgültigkeit, die sich so breit gemacht hat.

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SWR Aktuell: Wie hat er die katholische Kirche vorangebracht?

Nothelle-Wildfeuer: Ich glaube schon, dass Papst Franziskus, auch wenn sich viele noch viel größere Schritte gewünscht hätten, im Blick auf die Frauenfrage, im Blick, auf den Umgang mit LGBTQIA+ Menschen sehr viel vorangebracht hat. Es sind Frauen in Leitungsfunktionen gekommen. Das heißt, da ist schon ein großer Schritt für die Kirche gemacht worden. Ich weiß sehr wohl, dass damit in keiner Weise die Frage nach der Weihe der Frau erledigt oder bearbeitet ist. Das Thema schwelt immer noch, und es wird eben weiter diskutiert. Und ebenso natürlich der Umgang mit Homosexuellen. Es wurde jetzt schon häufig in den Nachrufen das Interview gezeigt, in dem er gesagt hat: "Wer bin ich, dass ich homosexuelle Menschen verurteile?" Wir wissen, dass sich da viele sehr große Hoffnungen gemacht hatten. Und dann gab es auch wieder einen Schritt zurück. Und trotzdem kann man nach dem, was er weiter vorangebracht hat, nicht mehr ganz zurück, und wieder einen Stand vor 30 Jahren herstellen.

Ursula Nothelle-Wildfeuer ist Lehrstuhlinhaberin für christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.
Ursula Nothelle-Wildfeuer ist Lehrstuhlinhaberin für christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.

SWR Aktuell: Was meinen Sie, wenn Sie sagen, es gab auch wieder einen Schritt zurück?

Nothelle-Wildfeuer: Dass man sich bei manchen und eben auch bei dieser Äußerung die Hoffnung gemacht hat, es wird jetzt sehr schnell sozusagen die völlige Gleichberechtigung geben, auch für homosexuelle Männer im Blick auf Segnung und im Blick auf Umgang überhaupt mit Homosexualität. Und dann muss das erst in den einzelnen Diözesen, in den einzelnen Bischofskonferenzen umgesetzt werden. Und dann gab es wieder bremsende Schritte, sodass ein solcher Satz in einem Interview noch nicht die Lehre völlig verändert. Das braucht viele kleine Schritte, von denen noch einige gegangen werden müssen.

SWR Aktuell: Es gibt ein Zitat von Ihnen, indem Sie sagen: "Nur eine Kirche, die die Gleichberechtigung der Frau auch mit Blick auf die Weiheämter ernst nimmt, ist eine glaubwürdige Kirche."

Nothelle-Wildfeuer: Ich glaube in der Tat, dass die Kirche an dem gemessen wird, was sie selbst als Maßstäbe nach außen gibt. Also in die Gesellschaft hinein, fordert sie Menschenrechte, Gleichberechtigung, Anerkennung der gleichen Würde aller Menschen, Partizipationsmöglichkeiten. Und innerhalb der Kirche als Sozialgebilde scheint das plötzlich gar nicht mehr zu gelten. Wenn die theologische Begründung für die Gleichberechtigung aller Menschen stimmig ist, und das sehe ich ganz klar so, dann kann es nicht sein, dass diese theologische Begründung nach außen gilt, aber nach innen plötzlich nicht mehr gilt. Deswegen glaube ich, dass die Authentizitätsfrage tatsächlich erst dann wirklich richtig gut und stimmig beantwortet ist, wenn auch die Weihefrage entsprechend vorangebracht ist.

SWR Aktuell: Ein weiteres zentrales Anliegen von Papst Franziskus war die Synodale Kirche, wie würden Sie die erklären?

Nothelle-Wildfeuer: Es war das Anliegen von Papst Franziskus, dass die Kirche eine Synodale Kirche wird. Er hat das immer übersetzt mit einer hörenden und einer miteinander ins Gespräch kommenden Kirche. Also eine Kirche, die zwar wie das für die katholische Kirche charakteristisch ist, durchaus hierarchisch geordnet ist, aber die trotzdem nicht einfach nur von oben nach unten diktiert, sondern in der das Miteinander-Reden, das Stichwort der Partizipation, der Verantwortungswahrnehmung auf allen Ebenen sozusagen stark gemacht wird. Und ihm war es tatsächlich ein Anliegen zu hören, was die Sorgen und Nöte der Menschen sind, was auch ihre Freuden und Hoffnungen sind, was ihnen also unter den Nägeln brennt und auf der Seele liegt.

SWR Aktuell: Wenn Sie nochmal kurz beschreiben könnten, was das Konklave ist und im zweiten Schritt, wie sich die Zusammensetzung unter Papst Franziskus verändert hat?

Nothelle-Wildfeuer: Das Konklave ist die Zusammenkunft aller wahlberechtigten Kardinäle, also aller, die aktives Wahlrecht haben, das heißt, die noch keine 80 Jahre alt sind. Kardinäle aus aller Welt kommen zusammen, um eben den neuen Papst zu wählen. Und zwar sehr geheim. Die sind ja in der Sixtinischen Kapelle, völlig abgeschottet und abgeschlossen von dem, was sonst so in der Welt drumherum passiert. Und wir kennen das mit dem schwarzen und dem weißen Rauch, der dann aufsteigt. Schwarz heißt der Wahlgang war noch nicht erfolgreich. Weiß heißt jetzt haben wir einen neuen Papst. Das kann sich über mehrere Wahlgänge hinziehen. Dieses Konklave in seiner Zusammensetzung, das heißt die Gruppe der Kardinäle, hat sich natürlich über die zwölf Jahre, die Papst Franziskus im Pontifikat war, deutlich geändert. Er hat es sehr viel globaler ausgelegt. Orte dazu genommen, die nicht traditionell immer schon einen Kardinal gestellt haben. Er hat auch Bischöfe, Erzbischöfe zu Kardinälen aus bislang noch nicht im Kardinalskollegium vertretenen Diözesen ernannt, sodass eine Vielfalt der Perspektiven tatsächlich da ist. Weltkirche heißt eben nicht Kirche in Rom, sondern tatsächlich Kirche mit vielfältigen Stimmen und globaler Perspektive. Die jetzt mehr Platz hat in diesem Konklave. Wir dürfen schon sehr gespannt sein. Viele der jetzt wahlberechtigten Kardinäle sind von ihm ernannt worden. Meine große Hoffnung ist es, dass es nicht zurückgeht, hinter das, was Papst Franziskus im Blick hatte.

SWR Aktuell: Ist es nicht auch so, dass die Zusammensetzung der Kardinäle durch ihn auch traditioneller geworden ist? In Deutschland und auch in großen Teilen Europas ist zum Beispiel die Segnung für homosexuelle Menschen relativ offen begrüßt worden. In anderen Teilen der Welt wird sie vehement abgelehnt.

Nothelle-Wildfeuer: Da gebe ich Ihnen recht. Aber man darf nicht einfach die Segnung von Homosexuellen mit insgesamt einer progressiven Tendenz oder einer modernen Kirche gleichsetzen. Daher glaube ich, dass diese eben von mir beschriebenen Tendenzen einer synodalen und einer an die Ränder gehenden Kirche einer, die die Welt und Gesellschaftsverantwortung erkennt und wahrnimmt, trotzdem in diesem neuen Konklave vertreten sein werden.

SWR Aktuell: So dass im Prinzip auch die Europäer zuhören müssen und sich möglicherweise ein bisschen anpassen?

Nothelle-Wildfeuer: Natürlich also, es geht nicht mehr, wenn von Weltkirche die Rede ist, allein um die europäische oder noch verengter, um die römische Kirche oder um die Kirche in Rom. Sondern es geht tatsächlich um Weltkirche. Verschiedene Perspektiven einnehmen und wahrnehmen. Auch das ist ein Element von synodaler Kirche.

SWR Aktuell: Kann man denn sagen, wer potenzielle Kandidaten sind und ob die für Reformen oder Rückschritt stehen?

Nothelle-Wildfeuer: Das ist noch offen. Aber es gibt natürlich unterschiedliche Kräfte, die jetzt versuchen, Einfluss zu gewinnen. Man hat ja immer gesagt, Papst Franziskus hat ein wenig mit der Kurie gefremdelt, mit einem Teil der Kurie zumindest. Ob die nun versuchen, wieder Einfluss zu gewinnen oder ob eben die Kardinäle, die Papst Franziskus weltweit ernannt haben, dann letztlich doch die stärkeren Kräfte sind, das wird sich herausstellen.

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