Kritik: Teilweise Lücken bei Betreuung

Keine ausreichende medizinische Versorgung für psychisch kranke Geflüchtete in Rhein-Neckar?

Stand
Autor/in
Wolfgang Kessel
Wolfgang Kessel, Redakteur beim SWR in Mannheim

Menschen, die vor Krieg in ihrer Heimat flüchten, leiden oft unter psychischen Erkrankungen. Werden sie in der Rhein-Neckar-Region ausreichend medizinisch betreut und behandelt?

Viele psychisch kranke Geflüchtete erhalten in Deutschland "keine oder keine ausreichende psychiatrische Versorgung", denn so etwas sieht die aktuelle Gesetzgebung nicht vor. Das kritisiert in der Rhein-Neckar-Region unter anderem das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim.

Psychisch kranke Geflüchtete zum Beispiel aus Kriegs- oder Krisengebieten wie Syrien, der Ukraine oder Afghanistan werden in der Rhein-Neckar-Region unter anderem in zwei großen Einrichtungen behandelt: im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis).

PZN hat "mindestens jeden zweiten Tag" mit Geflüchteten zu tun

Dem PZN zufolge sind eigentlich niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten die erste Anlaufstelle für psychisch kranke Geflüchtete. Doch auf eine solche "Regel-Psychotherapie", die auch mal mehrere Wochen lang dauern kann, haben Geflüchtete in der Regel keinen Anspruch. Das sieht das Asylbewerberleistungsgesetz nicht vor. Viele dieser Menschen landen dann zum Beispiel in der psychiatrischen Instituts-Ambulanz des PZN - mit Außenstellen in Bruchsal (Landkreis Karlsruhe), Schwetzingen, Weinheim (beide Rhein-Neckar-Kreis) und Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreis). Geflüchtete Patienten aus Kriegsgebieten leiden laut dem PZN oft unter Psychosen, Depressionen, Schizophrenie und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).

Eingangsbereich des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in Wiesloch
In der Ambulanz des PZN Wiesloch werden fast täglich psychisch kranke Geflüchtete behandelt.

Jutta Kammerer-Ciernioch, ärztliche Direktorin am PZN, sagte dem SWR: "Wir haben mindestens jeden zweiten Tag mit Geflüchteten zu tun." Es komme häufig vor, dass PZN-Mediziner psychisch auffällige Geflüchtete nach einer ersten Notfallversorgung auch stationär aufnehmen. Vor allem, wenn bei diesen Menschen auch Drogenmissbrauch hinzukomme. Wie viele psychisch kranke Geflüchtete im Schnitt im PZN behandelt werden? Dazu, so Kammerer-Ciernioch, erhebe die Einrichtung keine Statistik. "Wir machen keinen Unterschied zwischen Geflüchteten und anderen Menschen, wir arbeiten sozusagen ab, was kommt."

ZI Mannheim: Sprechstunden und ambulante Diagnostik für Geflüchtete

Auch das Mannheimer ZI hilft psychisch kranken oder traumatisierten Geflüchteten. Dem ZI zufolge mit einer Sprechstunde, "ambulanter Diagnostik sowie gegebenenfalls pharmakologischer Behandlung bei akuten Beschwerden". Die meisten der erwachsenen Geflüchteten, die im ZI behandelt werden, leiden unter Depressionen, PTBS und Angststörungen - ähnlich gelagerte Fälle also wie im PZN in Wiesloch.

Gebäude des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in der Mannheimer Innenstadt
Kritik vom ZI in Mannheim wegen nicht ausreichender Versorgung psychisch kranker Geflüchteter in Deutschland

Kritik an nicht ausreichender psychiatrischer Versorgung

Ein ZI-Sprecher übt gegenüber dem SWR Kritik: "Viele Geflüchtete erhalten in Deutschland keine oder keine ausreichende psychiatrische Versorgung." Das liege unter anderem daran, dass in den ersten 36 Monaten nach Ankunft in Deutschland nur "Akutbehandlungen" vorgesehen sind. Für die Behandlung psychischer Erkrankungen reiche dies aber oftmals nicht aus, "und eine langfristige Stabilisierung der Betroffenen wird somit deutlich erschwert". Das ZI arbeite daran, so der Sprecher weiter, die Versorgung von geflüchteten Menschen zu verbessern. Unter anderem - bei sprachlichen Problemen - mit Hilfe von Dolmetschern. Die Kosten dafür "trägt aktuell das ZI".

Wir benötigen bessere und intensivere Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene.

Experten: Psychisch Kranke nicht automatisch Gewalttäter

Sowohl dem ZI-Sprecher als auch der ärztlichen Direktorin des PZN ist eine Klarstellung wichtig: Wer psychisch krank ist, egal woher er oder sie kommt, ist nicht automatisch gewalttätig. Menschen mit psychischen Erkrankungen dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden, "sie haben als Gesamtgruppe keine höhere Gewaltbereitschaft als Menschen ohne psychische Erkrankungen", präzisiert der ZI-Sprecher. Laut der ärztlichen Direktorin des PZN bestehe nur dann ein erhöhtes Risiko für gewalttätiges Verhalten bei Menschen mit einer psychotischen Erkrankung (zum Beispiel Schizophrenie), wenn diese zusätzlich Drogen konsumierten - "das beobachten wir aber genauso bei deutschen Patientinnen und Patienten".

Schild vor Eingang des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in der Mannheimer Innenstadt
Viele Geflüchtete leiden laut ZI unter Depressionen oder Angststörungen.

Messerattacke Aschaffenburg: "Absoluter Ausnahmefall"

Das Psychosoziale Zentrum (PSZ) Pfalz in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) ergänzt dazu: Tödliche Attacken wie zuletzt die eines psychisch kranken afghanischen Geflüchteten in Aschaffenburg (Bayern) seien "absolute Ausnahmefälle". Inwiefern von Geflüchteten, die etwa unter Psychosen oder Traumata litten, Sicherheitsgefahren für die Bevölkerung ausgehen, sei "wissenschaftlich unklar". Klar sei nur, so das PSZ Pfalz, dass die Diskussion um mögliche Abschiebungen von Gewalttätern in ihre Heimatländer bei psychisch kranken Geflüchteten "zu zusätzlichen Ängsten" führe.

Laut den Ermittlungsbehörden in Aschaffenburg war der tatverdächtige 28-jährige Afghane in psychiatrischer Behandlung. Im Dezember 2024 wurde seine Betreuung angeordnet. Doch zu einem vereinbarten Termin mit seiner Betreuerin sei er nicht erschienen, so die Behörden. Der Mann hat laut Polizei Ende Januar in Aschaffenburg einen kleinen Jungen und einen Mann erstochen.

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