Mehr Geld für Kinderbetreuung?

Erzieherin in Karlsruhe im Streik: "Kitas eine Woche lang dicht machen!"

Stand

Von Autor/in Mathias Zurawski

Der Tarifstreit im öffentlichen Dienst geht in die entscheidende Phase. Auch in Kitas wird gestreikt. Eine Erzieherin in Karlsruhe sagt, warum sie das für richtig hält.

Der Tarifstreit im öffentlichen Dienst spitzt sich zu. Vor der dritten Verhandlungsrunde am kommenden Freitag macht die Gewerkschaft ver.di Druck. In ganz Baden-Württemberg werden in dieser Woche wieder Kitas bestreikt und bleiben geschlossen. Viele Eltern müssen nach Lösungen suchen.

Ortrun Fleischer arbeitet seit 35 Jahren als Erzieherin. Seit 2007 leitet sie die städtische Kita am Rüppurrer Schloss in Karlsruhe. Auch sie beteiligt sich am Warnstreik. Die Kita-Leiterin ist selbst Gewerkschaftsmitglied und findet den Kampf um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen in der Kinderbetreuung gut und richtig. Im Interview mit dem SWR nennt sie ihre Gründe.

SWR Aktuell: Wenn Sie sich am Dienstag am Streik und an der Kundgebung in Karlsruhe beteiligen - mit welchem Gefühl tun Sie das?

Ortrun Fleischer: Mit einem guten Gefühl, mit einem sehr guten Gefühl. Seit 2008 streike ich immer wieder. Und es hat sich gezeigt, dass es sich tatsächlich lohnt, auf die Straße zu gehen und zu zeigen: "Leute, wir sind hier und wir wollen auch für unsere Arbeit belohnt werden". Ja, wir wollen gesehen werden und wollen, dass die Öffentlichkeit sieht, wie wichtig wir tatsächlich sind. Natürlich geht es auch um mehr Gehalt. Dieses Jahr werden auch mehr freie Tage gefordert. Auch das kann ich gut verstehen. Ich war am Anfang ein bisschen skeptisch. Noch mehr freie Tage und wir haben immer wieder Personalmangel! Letztendlich arbeiten wir aber alle am Limit, wegen des Fachkräftemangels. Das schlaucht. Und wenn du hörst, es werden mehr freie Tage gefordert, wer freut sich da nicht? Die Tage werden tatsächlich gebraucht. Entweder ich bin krank und melde mich krank und fehle bei der Arbeit. Oder ich bin gesund und nehme mir frei und komme gestärkt wieder. Das macht den Unterschied.

Letztendlich arbeiten wir alle am Limit, wegen des Fachkräftemangels. Und das schlaucht.

Ortrun Fleischer ist Erzieherin in der städtischen Kita am Rüppurrer Schloss in Karlsruhe
Ortrun Fleischer ist Erzieherin in der städtischen Kita am Rüppurrer Schloss in Karlsruhe

SWR Aktuell: 2007 haben Sie hier in der Kita als Leiterin angefangen und sind in die Gewerkschaft ver.di eingetreten. Was hat sich seitdem am meisten verbessert?

Fleischer: Tatsächlich in erster Linie das Gehalt. Wenn ich überlege, was für ein Gehalt ich hatte, als ich hier angefangen habe, und was ich jetzt habe. Das allein hat sich natürlich gelohnt. Aber auch die Zahl der Urlaubstage ist gestiegen.

SWR Aktuell: Immer mehr Eltern klagen über die scheinbar endlosen Streiks. Eltern müssen nach Lösungen suchen, wenn die Kita wieder geschlossen bleibt. Haben Sie Verständnis für Kritik?

Fleischer: Ich kann die Eltern natürlich verstehen. Aber ich habe auch Familie und ich muss auch für mich und meine Familie schauen, dass ich gut lebe. Dafür gehe ich auf die Straße. Mit den Eltern hier gibt es keine Streitgespräche, wir haben einen Austausch. Auch wenn sich Eltern ärgern, verstehen Sie auch unsere Seite. Es ist wichtig, bewusst zu machen, dass wir nicht nur Arbeitende sind, nicht nur Erzieherin für ihre Kinder. Wir sind auch Privatpersonen und haben auch Familie.

Ich würde mal zwei, drei Tage oder am besten eine Woche zumachen, damit die sehen: Wir meinen es ernst!

Karlsruhe

ver.di ruft zu landesweiten Streiks auf Streik in Karlsruhe: Am Dienstag Nahverkehr, Kitas, Müllabfuhr und Kliniken betroffen

Alle Bereiche im öffentlichen Dienst in Karlsruhe werden heute bestreikt. Gestreikt wird im Lauf der Woche auch in Stuttgart, Mannheim und Freiburg. Der Tarifstreit geht in die entscheidende Phase.

SWR Aktuell: Ein Tarifkonflikt wie dieser besteht ja auch immer aus Ritualen, Streiks und Verhandlungen dauern wochenlang. Macht die Gewerkschaft das richtig? Oder sollte man alles vielleicht ein bisschen abkürzen?

Fleischer: Das weiß ich nicht. Ich bin zwar Gewerkschaftsmitglied, aber ich entscheide da ja nicht mit. Aber wenn ich entscheiden könnte, ich würde eine Woche zumachen, richtig Druck machen. Es tut mir leid. Wir sind ja noch im Warnstreik. Es sind nur Warnstreiks! Und dann würde sich zeigen, was die Verhandlungen bringen. Es ist das, was ich nicht verstehe: Warum kommt der Arbeitgeber der Gewerkschaft nicht ein bisschen entgegen? Ich finde das richtig frech! Ich würde mal zwei, drei Tage oder am besten eine Woche zumachen, damit die richtig sehen: Wir meinen es ernst! Das ist keine Spielerei! Und ich würde da nicht nachgeben.

SWR Aktuell: Gehen Sie am Dienstag beim großen Streik in Karlsruhe mit auf die Straße?

Fleischer: Ja, wir treffen uns beim Städtischen Klinikum und dann läuft der Demozug zum Marktplatz. Mein Team geht mit, die Kita ist zu. Wir haben bis jetzt alle Warnstreik-Tage mitgemacht.

SWR Aktuell: Was geht in Ihnen vor beim Protestmarsch und bei der Kundgebung?

Fleischer: Das ist immer toll. Das ist großartig. Diese Energie, die sich da aufbaut und die Leute, die alle mit einem Ziel losmarschieren und laut werden, wir rufen auch immer ganz laut. Am Freitag [dem letzten Kita-Streiktag in Karlsruhe] haben sie auch gesagt: "Streik muss sein, weil sonst bewegt sich nichts". Und das ist wirklich so. Wir haben ein Plakat selber gemacht und haben draufgeschrieben: "Wir Soziale werden unsozial behandelt". Das ist auch unser Motto. Ja, das ist ein tolles Gefühl, wenn so viele Menschen zusammenkommen und wir die Masse sehen und wir uns sagen: "Das muss doch was bewegen".

Baden-Württemberg

Kitas und Kliniken in BW betroffen ver.di hatte am Freitag zum "Streiktag der Frauenberufe" aufgerufen

Am Freitag hatte die Gewerkschaft ver.di zu Streiks in Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, aufgerufen. Betroffen waren unter anderem Kitas und Kliniken.

SWR Aktuell: Was soll bei den Tarifverhandlungen auf jeden Fall herauskommen? Es geht um acht Prozent mehr Geld, aber auch um zusätzliche freie Tage...

Fleischer: Am besten alles! Es sind ja verschiedene Bereiche des öffentlichen Dienstes betroffen. Da geht es auch um Zuschläge bei Schichten und an Wochenenden. Das betrifft uns ja nicht. Aber auch da hoffe ich natürlich, dass die etwas bekommen, das ist total wichtig, weil sie auch wichtige Arbeit machen. Man muss sich mal vorstellen: Wenn wir nicht wären, wenn die Krankenhäuser nicht wären, wenn die Müllabfuhr nicht wäre, wie würde die Gesellschaft aussehen? Mehr Geld und mehr Urlaubstage, das wäre gut, und auch Altersteilzeit sollte nochmal auf den Tisch kommen.

Es kann nicht sein, dass das Geld nicht da ist. Es ist für so vieles Geld da.

SWR Aktuell: Die Arbeitgeber auch in den großen Städten sagen, dass ihre Forderungen nicht finanzierbar seien, dass kein Geld da sei. Was sagen Sie dazu?

Fleischer: Vielleicht gibt es ja Misswirtschaft? Ich frage mich, wie mit dem Geld umgegangen wird. Wo fließt das Geld hin? Es kann nicht sein, dass das Geld nicht da ist. Es ist für so vieles Geld da. Uns wird bei jedem Streik gesagt, dass kein Geld da ist. Und ich sage dann: "Okay, dann wird wohl nicht richtig gehandelt mit dem Geld".

SWR Aktuell: Arbeiten Sie gerne als Erzieherin? Und wenn ja, wie lange noch?

Fleischer: Ja, ich arbeite gerne! Aber Altersteilzeit ist ein Thema. Im Moment sollen wir ja bis 67 arbeiten. Im Kitabereich mit 67? Ich weiß nicht, wie die Politiker sich das vorstellen. Sollen uns die Kinder mit dem Rollator durch die Kita schieben? Das ist schwer. Die älteste Erzieherin, die ich erlebt habe, ist mit 63 in Rente gegangen. Mit 67, das habe ich noch nicht erlebt. Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Ich mache meine Arbeit sehr gerne. Auch mein Team arbeitet gerne. Wir sind ein superstarkes Team und es wird sich zeigen, wie es weitergeht.

Baden-Württemberg

Tarifstreit im öffentlichen Dienst Stillstand in mehreren Städten: So lief der vorerst letzte Streiktag in BW

Gestreikt werden soll laut der Gewerkschaft ver.di am Freitag unter anderem in der Region Stuttgart sowie in Ulm. Zudem beginnt die dritte Verhandlungsrunde im Tarifkonflikt.

Reportagen, Shorts und Erklärvideos SWR Aktuell nun mit eigenem YouTube-Kanal am Start

Ab sofort ist SWR Aktuell auch bei YouTube mit einem eigenen Kanal zu finden. Damit ist die Nachrichtenmarke des SWR künftig neben Instagram und Facebook auch auf der wichtigsten Nachrichtenplattform präsent. 

Südwesten

Aktuell, regional, multimedial Die SWR Aktuell-App - Nachrichten auf Handy und Tablet

Die SWR Aktuell-App bringt aktuelle und regionale Nachrichten aus dem Südwesten aufs Smartphone und Tablet. Alle Details zur App und die Links zum Download gibt es hier.

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.