Familien sind frustriert, dass der Kreis Calw bei ihnen im ÖPNV einspart.
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Baden-Württemberg Laufen statt Bus fahren - Familien im Kreis Calw sind verärgert

Stand: 15.03.2025 08:53 Uhr

Der Kreis Calw geht einen Sonderweg. Seit März müssen viele Eltern mehr Geld für Bus und Bahn zahlen, damit ihre Kinder zur Schule kommen. Der Frust ist groß. Das Landratsamt verteidigt die Entscheidung.

Renita Heise und ihr Mann Daniel sind verärgert. Seit dem 1. März kann ihr achtjähriger Sohn John nicht mehr umsonst mit dem Bus zur Grundschule. Familie Heise wohnt in Bad Teinach-Zavelstein im Kreis Calw. 39,42 Euro würde das Ticket für John jetzt jeden Monat kosten. Den gleichen Preis bezahlen die Eltern jeweils schon für ihre älteren Töchter Lara und Stella. Das macht jetzt zusammen mehr als 118 Euro im Monat. "Das sehen wir einfach nicht ein", sagt Renita Heise.

Viele Kinder im Kreis Calw konnten bisher kostenlos fahren

Bisher waren viele Schülerinnen und Schüler im Kreis Calw von den Kosten für Bus und Bahn befreit. Kinder, die zur Grundschule oder auf eine Sonderpädagogische Schule (SBBZ) gehen, mussten nichts bezahlen. Auch Familien mit drei oder mehr Kindern hatten Vorteile, um finanziell entlastet zu werden.

Die ersten beiden Kinder haben den normalen Preis bezahlt, die Kosten für das dritte Kind und weitere Kinder hat der Kreis Calw übernommen. Das ist die sogenannte Dritt-Kind-Befreiung. Um Geld zu sparen, hat der Kreistag das seit dem 1. März alles gestrichen und geht damit einen Sonderweg. Andere, wie der Kreis Karlsruhe oder der Kreis Rastatt, halten an ihren Befreiungen fest.

Es ist einfach unfair. Renita Heise, Mutter von drei Kindern

Zu Fuß zur Schule

Die betroffenen Familien im Kreis Calw müssen die Tickets für ihre Kinder jetzt selbst bezahlen. Um sich ein Teil der Ticketkosten zu sparen, bringt Renita Heise ihren Sohn deswegen jetzt zu Fuß zur Schule. Auch andere Kinder haben sich angeschlossen, die kein Busticket mehr haben. Für einen Schulweg brauchen sie etwa 15 Minuten.

John selbst fand das Bus fahren "voll cool", wie er sagt. Er kommt aber auch mit Laufen zurecht. Seiner Mutter Renita geht es ums Prinzip, dass sie als Großfamilie hier nicht mehr entlastet werden. "Großfamilien müssen sowieso schon immer tiefer in die Tasche greifen. Dann braucht man ein neues Buch, neue Turnschuhe, die Vereinsgebühren."

Matthias Lilke verabschiedet seinen jüngsten Sohn Leo in die Schule.

Matthias Lilke verabschiedet seinen jüngsten Sohn Leo in die Schule.

Familien kritisieren, dass Kreis Calw einen Sonderweg geht

Diese Meinung teilt auch Familie Lilke. Sie wohnt am anderen Ende von Bad Teinach-Zavelstein. Die vier Kinder Leo, Benno, Lotta und Jakob fahren jeden Morgen mit dem Bus zur Schule nach Calw. Laufen ist hier keine Alternative. Ihre Kosten haben sich seit Jahresbeginn von 60 auf fast 158 Euro im Monat erhöht, denn auch das Deutschlandticket für Kinder wurde angehoben. "Es ist verkraftbar finanziell", sagt Vater Matthias Lilke.

Für ihn ist es aber ein falsches Signal an die Familien. Er versteht, dass der Kreis sparen müsse. "Alle müssen irgendwo sparen. Das geht mir bei der Arbeit so, das geht uns privat so. Aber es ist eine Frage der Priorität." Er nennt ein Beispiel. Der Kreistag hatte im Dezember zugestimmt, dass am Landratsamt Photovoltaikanlagen gebaut werden sollen. Kostenpunkt: über 1,1 Millionen Euro. Mit diesem Geld könne man auch die Busfahrkarten bezahlen, so Lilke.

Frank Wiehe ist Erster Landesbeamter im Kreis Calw. Er verteidigt die Einsparungen beim ÖPNV.

Frank Wiehe ist Erster Landesbeamter im Kreis Calw. Er verteidigt die Einsparungen beim ÖPNV.

Landratsamt Calw verteidigt Einsparungen im ÖPNV

Frank Wiehe ist Erster Landesbeamter im Landratsamt Calw. Er verteidigt die Einsparungen im ÖPNV und den Bau der Photovoltaikanlage. Die Anlage werde vom Land gefördert und es sei eine Investition in die Zukunft. "In ein paar Jahren werden wir damit Geld verdienen." Bei den Einsparungen im ÖPNV könne er die Argumente der Familien sehr gut nachvollziehen. Der Kreis stecke aber nach wie vor viel Geld in den ÖPNV. Und Wiehe sagt: "Wir stehen finanziell mit dem Rücken an der Wand. Jetzt kommt es zu diesen sehr schmerzhaften Einschnitten." Der Kreis spare mit dieser Maßnahme pro Jahr 800.000 Euro und will auch an anderer Stelle Kosten senken.

Der Landkreis steckt trotzdem massiv Geld in den ÖPNV, auch in die Schülerbeförderung. Frank Wiehe, Erster Landesbeamter im Landratsamt Calw

Laut Frank Wiehe betrifft das unter anderem die eigenen Personalausgaben, Straßensanierungen oder die Kulturförderung. Trotzdem geht das Landratsamt davon aus, dass der Kreis Calw in diesem Jahr rund 24 Millionen Euro Verlust macht. Der Kreistag hatte am Montag diesen Haushalt genehmigt. "Wenn es so weitergeht, werden die Kommunen und Landkreise kaum noch ihre Pflichtaufgaben erfüllen können", fürchtet Wiehe.

Petition der Eltern vom Kreistag Calw abgelehnt

Betroffenen Familien bietet Wiehe auch weiterhin einen Dialog an. Den hatten einige Betroffene bei der Kreistagssitzung am Montag in Calw vermisst. Etwa 50 Eltern und Kinder aus dem Kreis Calw waren dort anwesend, um gegen die Einsparungen im ÖPNV zu protestieren. Auch Familie Heise und Familie Lilke waren vor Ort.

Etwa 50 betroffene Eltern und Kinder waren am Montag bei der Kreistagssitzung in Calw. Dort wurde über die Einsparungen nochmal gesprochen. Auch Familie Lilke und Familie Heise waren vor Ort.

Etwa 50 betroffene Eltern und Kinder waren am Montag bei der Kreistagssitzung in Calw. Dort wurde über die Einsparungen nochmal gesprochen. Auch Familie Lilke und Familie Heise waren vor Ort.

Thema war unter anderem eine Petition, die mehr als 4.300 Menschen unterschrieben hatten. Darin fordern sie, dass die Einsparungen zurückgenommen werden. Die Mehrheit der Kreisrätinnen und Kreisräte blieben aber bei ihrer Meinung.

Für Frust sorgte bei den Familien auch, dass sie kein Rederecht hatten. Die Initiatorin der Petition, Katrin Lamparth, durfte nichts vor dem Mikrofon sagen. Sie ist Mutter von vier Kindern, wohnt in Simmersfeld und muss jetzt ebenfalls mehr für den Bus bezahlen. Sie stört vor allem, dass der Kreis Calw hier einen Sonderweg geht. "Kein Landkreis präsentiert sich so schlecht wie der Landkreis Calw", findet sie. Lamparth will das so nicht hinnehmen und sich weiter für einen Kompromiss einsetzen - gemeinsam mit den anderen Familien im Kreis Calw.

Sendung am Do., 13.3.2025 19:30 Uhr, SWR Aktuell Nachrichten

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