Landesweite Prüfungen in BW

Potenzialtest für Viertklässler: Letzte Chance aufs Gymnasium

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Er bietet die letzte Hintertür für eine Gymnasialempfehlung: der Potenzialtest. Nach dem vielen Ärger um den Kompass-4-Test wird die landesweite Prüfung mit Spannung erwartet. 

Seine Tochter ist neun Jahre alt und will es wissen. Vater Michele Gatta aus Stuttgart hat sie zum Potenzialtest am Solitude-Gymnasium in Stuttgarter Stadtteil Weilimdorf angemeldet. "Wenn sich die Gelegenheit bietet, dann nutzen wir sie", erklärt Gatta. Er habe zu ihr gesagt: "Probier‘s aus." Das Mädchen sei nicht weit weg von einer Gymnasialempfehlung. "Wenn der Test dann sagt, dass sie auf die Realschule soll, dann ist es auch etwas wert, dass wir dann da sicher sind", sagt Gatta.

Potenzialtest für Gang aufs Gymnasium: Landesweit einheitliche Prüfung

An diesem Dienstagmorgen ist es so weit: Von 9 Uhr bis etwa 10:30 Uhr werden landesweit die Kinder schriftlich geprüft, die noch aufs Gymnasium wollen, aber bisher keine Empfehlung dafür haben. Es geht um drei Teile: 20 Minuten Deutsch, 20 Minuten Mathe und 20 Minuten einen überfachlichen Teil. Wie viele der etwa 100.000 Viertklässlerinnen und Viertklässler diese Gelegenheit nutzen werden, kann das zuständige Kultusministerium nicht sagen. Gerechnet wird mit wenigen Tausend.

Martina Scherer vom Philologenverband BW sieht den Potenzialtest als eine Art Joker: "Er stellt noch mal eine Chance dar für denjenigen, der bisher verkannt wurde", sagte sie dem SWR. Die 376 allgemeinbildenden Gymnasien im Land bemühten sich nach ihrer Einschätzung, den Kindern die Prüfungssituation in einer fremden Schule so stressfrei wie möglich zu gestalten.

Verunsicherung bei vielen Eltern wegen Kompass-4-Leistungstest

Seit die Leistungstests im November reihenweise Viertklässlerinnen und Viertklässler überfordert haben, vor allem in Mathe, sind viele Kinder und Eltern in BW verunsichert. Nur ein Bruchteil der Neun- bis Zehnjährigen schaffte damals das Gymnasialniveau.

Das führte zu massiver Kritik an dem sogenannten Kompass-4-Test: Er sei zu lang, zu schwer und habe zu viele Textaufgaben. Es seien nicht selten Tränen geflossen, berichten Lehrkräfte. Viele Eltern machten sich Sorgen, dass ihr Kind nun eine schlechtere Grundschulempfehlung bekommen würde.

Schlechter Start für die neue Grundschulempfehlung der Regierung

Ein denkbar schlechter Start für die neue, verbindlichere Grundschulempfehlung. Diese hatte sich die grün-schwarze Landesregierung ausgedacht, um die Übergangszahlen von der Grundschule auf das neunjährige Gymnasium (G9) im Griff behalten zu können. G9 wird vom nächsten Schuljahr an flächendeckend und stufenweise wieder eingeführt.

Grüne und CDU hatten sich darauf geeinigt, dass an der Grundschule die Regel "2 aus 3" gelten soll. Das heißt, es gibt zum einen eine Empfehlung der Klassenkonferenz. Dazu kommt "Kompass 4". Wenn diese beiden ergeben, dass es nicht für das Gymnasium reicht, müssen die Eltern das Votum nicht akzeptieren. Wollen sie ihr Kind dennoch auf das Gymnasium schicken, muss ein verbindlicher Potenzialtest absolviert werden. Kritiker der verbindlicheren Grundschulempfehlung wie die SPD oder die Bildungsgewerkschaft GEW sprechen wegen der Prüfungen von einem "Grundschul-Abitur". 

Baden-Württemberg

Bildungsreform in BW FAQ: Verbindliche Grundschulempfehlung - was das für Viertklässler in BW bedeutet

Der neue Leistungstest "Kompass 4" hat bei Eltern und Lehrern für viel Kritik gesorgt. Als Teil der neuen verpflichtenden Grundschulempfehlung spielt er eine entscheidende Rolle.

Ärger nach Grundschulempfehlungen vielerorts wohl verflogen

Vor Kurzem wurden nun die Grundschulempfehlungen abgegeben. Nach Ansicht von Edgar Bohn vom Verband der Grundschullehrer in BW hat sich der Ärger der Eltern über den Kompass-4-Test "weitgehend wieder beruhigt". Mit der Ansage der Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), den Test im Zweifel nicht in die Entscheidung einfließen zu lassen, hätten die Lehrkräfte gut umgehen können. Bohn geht deshalb davon aus, dass nur wenige Schülerinnen und Schüler am Potenzialtest an den Gymnasien teilnehmen werden.

Landeselternbeirat zweifelt an Qualität des Potenzialtests

Dennoch erwarten Eltern und Lehrerverbände mit Spannung, wie nun der Potenzialtest aussieht und ausfällt. Sebastian Kölsch, Vorsitzender des Landeselternbeirats, sagte dem SWR: "Meine große Befürchtung ist, dass, obwohl es Potenzialtest heißt, erneut das Wissen abgefragt wird. Damit ist es kein Potenzialtest." Aus seiner Sicht muss das Ministerium an dem Format noch etwas verändern.

Verunsicherten Eltern habe man aber auch geraten: "Es ist nicht der Gymnasialbesuch, der zum Lebensglück dazu gehört." In Baden-Württemberg gebe es zum Glück ein durchlässiges Schulsystem, in dem es kein Problem sei, etwa in der Werkrealschule zu starten und dann noch das Fachabitur zu machen.

Baden-Württemberg

Prüfung schneidet in GEW-Umfrage schlecht ab Kritik an Grundschultest in BW: Zu viel Leistungsdruck für Schülerinnen und Schüler?

Viertklässler in BW müssen neuerdings als Teil der Grundschulempfehlung fürs Gymnasium einen Test machen. Die SPD befürchtet dadurch Demotivation, andere Parteien verteidigen die Prüfung.

Strengere Grundschulempfehlung soll Überfüllung von Gymnasien vorbeugen

Grund für die Wiedereinführung der strengeren Grundschulempfehlung ist das Comeback des neunjährigen Gymnasiums zum nächsten Schuljahr und die Sorge, dass G9 überlaufen werden könnte. Internen Prognosen zufolge könnten nach der G9-Einführung im Schuljahr 2025/2026 etwa 60 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler auf das Gymnasium wechseln. Bisher sind es 45 Prozent. Dann würden die Gymnasien aus allen Nähten platzen, während andere Schulen Klassen schließen müssten.

Aber woher kämen die vielen neuen Schülerinnen und Schüler? Bislang sind 25 Prozent der Realschülerinnen und Realschüler, die eigentlich eine Empfehlung für das Gymnasium hatten, vor dem auch als "Turbo-Abi" bezeichneten achtjährigen Gymnasium zurückgeschreckt. Von den Kindern, die auf die Gemeinschaftsschule wechselten, hatten zuletzt 14 Prozent eine Empfehlung für das Gymnasium. Um zu verhindern, dass nun alle G9 bevorzugen, soll der Schülerstrom besser gesteuert werden.

Bei der Grundschulempfehlung hat die Regierung eine Rolle rückwärts vollzogen. Seit dem Schuljahr 2012/2013 war die Empfehlung der Lehrkräfte nicht mehr verbindlich, sondern die Eltern konnten selbst entscheiden.

Wenn Kinder den Sprung aufs Gymnasium nicht direkt schaffen, können sie aber von anderen Schulformen dorthin wechseln - so die Voraussetzungen stimmen.

Baden-Württemberg

"Kompass 4" bleibt Trotz Kritik: BW will an Grundschul-Leistungstests festhalten

Immer wieder gab es massive Kritik an den Leistungstests für Viertklässler. Nach einer Sitzung des Bildungsausschuss steht fest: Die Landesregierung will an "Kompass 4" festhalten.

Baden-Württemberg

Personalmangel und Sprachdefizite Kita-Stress und Grundschul-Misere: Wer stoppt die Bildungskrise?

Manche Grundschulkinder in BW können kein Deutsch, andere noch nicht mal den Stift halten. Dinge, die sie schon in den Kitas lernen könnten. Vielerorts mangelt es aber an Plätzen und Personal.

Baden-Württemberg

"Meilenstein" oder "Murks"? Neues Schulgesetz in BW verabschiedet: Diese Reformen hat der Landtag beschlossen

Die flächendeckende Rückkehr zu G9 war nur einer der Streitpunkte, über die Grüne und CDU in BW gerungen hatten. Jetzt hat der Landtag eine Reihe von Bildungsreformen beschlossen.

Kommentare (4)

Bisherige Kommentare
4

Die Kommentarfunktion zu dieser Seite wurde geschlossen.

  1. Kommentar von
    Björn
    Verfasst am

    Es ist falsch zu behaupten, der Ärger wäre verflogen. Es ist leider so, dass man eben keine Chance hat gegen diese konservative und pädagogische Selektierung vorzugehen. Unser Anwalt ist noch bemüht, hat aber klar zu verstehen gegeben, dass erfahrungsgemäß das Kultusministerium die Kosten der Klagen hochtreiben würde um so ihren Willen zu pressen ( Corona -Erfahrung). Die steile Deligation hat unser Kind verändert. Sie spürte diesmal ganz direkt zum ersten Mal die Hilflosigkeit gegenüber Autorität und ihr träume sind verfolgen. Wir arbeiten daran ihr Selbstvertrauen zu stärken und tränen flossen nicht zu wenig. Die freie Schulwahl hätte man ausschleichen müssen, nicht binnen kürzerster Zeit durchpressen. Die Corona- Kinder haben wieder eine negative Erfahrung " Schule" gemacht. Wieso man bei 9 jährigen Kinder die Schuld am Versagen eines Systems ablädt ?

  2. Kommentar von
    Sandra S.
    Verfasst am

    Geliefert wie gewählt - und bei der nächsten Landtagswahl hoffentlich auch abgewählt. Mir ist schleierhaft, dass das Gesetz im Landtag durchgewunken wurde. Aber was soll's. Kinder dürfen ja (in dem Alter noch) nicht wählen.

  3. Kommentar von
    Martina Benz
    Verfasst am

    Der Ärger soll verflogen sein? Wohl kaum. Aber das politisch gewünschte Ziel wurde erreicht, und das wird es auch beim Potenzialtest (den wohl kaum ein Kind bestehen wird, weil nicht sein darf was nicht sein soll). Dem vernehmen nach sollen eh nur sehr wenige Kinder zu diesem Test angemeldet worden sein. Bei denen, die mir bekannt sind hatten sich (an verschiedenen Grundschulen) die Deutsch- und Mathe-Noten zwischen der 3. Klasse und der Halbjahres-Information plötzlich jewils um knapp eine Notestufe verschlechtert - so dass sie die Gymnasial-Empfehlung jeweils um ca. eine viertel bis halbe Note im Schnitt der beiden Fächer nicht erreicht hatten. Vielen Eltern wurde zudem von der Test-Teilnahme der Kinder abgeraten, da dieser eine übergroße psychische Belastung darstellen würde. Meine Tochter wollte ihn trotzdem machen. Ein Schelm, der Böses am politischen Willen erkennt?

  4. Kommentar von
    Gernot Kah
    Verfasst am

    Von wegen der Ärger sei verflogen. Das Ministerium hätte die Grundschul-Empfehlung für dieses Schuljahr nochmal aussetzen müssen. Es war ja nicht nur der kritisierte Kompass-4-Test, auch die Art und Weise der Einführung. Das ganze dann auch noch für Klassen, welche von Corona noch besonders "gebeutelt" waren. Zumal: Über den "nicht geltenden" Kompass-4-Test und offensichtliche Anweisungen an die Grundschulen wurde doch das Ziel erreicht deutlich weniger Kindern die Empfehlung zum Gymnasium zu geben. Die Begründungen welche dann noch von verschiedenen Lehrern gegeben wurden waren auch sehr "spannend". Da wurde vielen empfohlen ihre Kinder am 2-sprachigen Zug der Realschulen anmelden - die in den ersten Jahren nicht weniger herausfordernd sind. Auf gut deutsch gesagt: Verarschen kann ich mich selber!

Reportagen, Shorts und Erklärvideos SWR Aktuell nun mit eigenem YouTube-Kanal am Start

Ab sofort ist SWR Aktuell auch bei YouTube mit einem eigenen Kanal zu finden. Damit ist die Nachrichtenmarke des SWR künftig neben Instagram und Facebook auch auf der wichtigsten Nachrichtenplattform präsent. 

Südwesten

Aktuell, regional, multimedial Die SWR Aktuell-App - Nachrichten auf Handy und Tablet

Die SWR Aktuell-App bringt aktuelle und regionale Nachrichten aus dem Südwesten aufs Smartphone und Tablet. Alle Details zur App und die Links zum Download gibt es hier.

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.