Kalabrische ’Ndrangheta

Betrug, Erpressung, Gewalt: Staatsanwaltschaft bereitet Mafia-Prozesse in Stuttgart vor

Stand

Von Autor/in Stefan Orner

14 Personen, die der kalabrischen 'Ndrangheta angehören sollen, könnten noch in diesem Jahr in Stuttgart angeklagt werden. In Untersuchungshaft sitzt auch ein Polizist.

Am 1. April klickten die Handschellen: In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und in Italien nahmen deutsche und italienische Spezialkräfte insgesamt 34 Personen fest, die der ’Ndrangheta - der kalabrischen Mafia - angehören oder sie unterstützt haben sollen. Noch in diesem Jahr könnten in Stuttgart 14 von ihnen angeklagt werden, wie die Staatsanwaltschaft Stuttgart auf SWR-Anfrage mitteilt.

Demnach befinden sich noch acht der zehn in Deutschland festgenommenen Verdächtigen in Untersuchungshaft. Ihnen werden verschiedene Straftaten vorgeworfen: Sie reichen von Betrug über Erpressung bis hin zu Gewaltdelikten. Die Staatsanwaltschaft will die Taten in mehrere Verfahren aufteilen, für die die Behörde auch vier Verdächtige aus Italien nach Stuttgart bringen lässt, um sie in Deutschland vor Gericht zu stellen. Bisher war es üblich, dass italienische Staatsbürger nach Italien überstellt werden, wo es nach größeren Operationen gegen die Mafia oft zu sogenannten "Maxi-Prozessen" mit dutzenden, manchmal gar hunderten Angeklagten kommt.

Vorwurf Geheimnisverrat: Polizist in Untersuchungshaft

Unter den mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern der Mafia ist auch ein deutscher Polizist. Der Beamte war zuletzt im Rems-Murr-Kreis tätig, der Landkreis gehört zum Gebiet des Polizeipräsidiums Aalen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft von Mitte Mai befindet sich der Polizist ebenfalls bis auf Weiteres in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Geheimnisverrat. Welche internen Erkenntnisse er an die Mafia weitergegeben haben soll, wollte die Staatsanwaltschaft nicht mitteilen, es gehe aber um mindestens zwei Fälle. Zu weiteren möglichen Taten werde derzeit noch ermittelt.

Der SWR-Podcast MAFIA LAND beschäftigt sich in einer Extra-Folge mit den Ermittlungen zur Operation "Boreas" und den Razzien Anfang April. Dem Autoren-Team Helena Piontek und Stefan Orner liegt die Ermittlungsakte der italienischen Behörden vor. Sie zeigt, wie mutmaßliche Mafiosi Betrugsmaschen entwickeln, wie sie italienische Gastronomen bedrängen und dass sie auch bei uns in Baden-Württemberg nicht vor Gewalt zurückschrecken.

Vorwurf: Moderne Form der Schutzgelderpressung

Kernvorwurf ist demnach eine Masche, die Experten als eine Art moderne Form der Schutzgelderpressung sehen. Die Verdächtigen sollen sich Lebensmittel und Maschinen unter falscher Identität erschlichen haben, um sie dann italienischen Gastronomen zum Kauf aufzuzwingen. Was passiert, wenn Wirte die Waren nicht annehmen wollen, wird im Podcast beschrieben: Die Fahrzeuge der Gastronomen werden demoliert, Reifen zerstochen, Deko vor dem Restaurant beschädigt.

Die Liste der weiteren Taten, die die Ermittler den Festgenommen zur Last legen, ist lang: Neben Fällen von versuchtem Totschlag und weiteren "erheblichen Gewaltdelikten" stehen schwere Brandstiftung und Waffendelikte im Raum. Hinzu kommen Drogenstraftaten: Beispielsweise wurden von einer Person und dessen Familie 12.000 Euro für Drogen erpresst, so der Vorwurf, der weitere Fälle von Drogenhandel umfasst. Auch Betrug, Steuerhinterziehung und Geldwäsche werden den mutmaßlichen Mitgliedern des Mafia-Clans vorgeworfen.

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Spuren ins italienische Kalabrien

Die Spuren der Tatverdächtigen führten die Ermittler immer wieder ins italienische Kalabrien und zur Mafiaorganisation 'Ndrangheta. Die Taten sollen, so die Ermittler, mit den Farao-Marincola-Clan in Verbindung stehen. Seit Ende 2020 habe die Kriminalpolizei Waiblingen im Rems-Murr-Kreis zusammen mit der Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt. Seit 2021 besteht zudem ein sogenanntes "Joint Investigation Team" (Jit) unter Einbindung der EU-Justizbehörde Eurojust. Auch die italienischen Strafermittler wurden dabei eingebunden.

Knapp ein Viertel der Angehörigen der italienischen organisierten Kriminalität in Deutschland lebt in Baden-Württemberg. Das wird auf die geografische Nähe zu Italien zurückgeführt, aber auch auf die Wirtschaftskraft des Bundeslandes. Das Spektrum der Straftaten reicht von Betrug über Drogenhandel und Waffendelikten bis hin zur Geldwäsche. Nach einer letzten Auskunft des Landesinnenministeriums (April 2024) leben allein in Baden-Württemberg rund 170 Personen, die das Landeskriminalamt der Organisierten Kriminalität zurechnet. Experten gehen aber von einer hohen Dunkelziffer an Mafiosi aus.

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