
Baden-Württemberg Spektakuläre Flucht aus der DDR: Hechinger holte seine Liebe zu sich
Für die große Liebe riskieren manche ihr Leben, so wie Karl Heinz Schäfer aus Hechingen. 1964 holt er seine Freundin aus der DDR. Die beiden fliehen mit einem Sportwagen.
Was tut man nicht alles für die große Liebe. Wenn Karl Heinz Schäfer heute von Magdalena, der Trennung und der Flucht aus dem Osten erzählt, spürt man, es war nicht leicht. Die beiden mussten schwere Entscheidungen fällen. Doch am entscheidenden Tag sind alle Zweifel ausgeräumt.
27. September 1964: An der damaligen tschechoslowakischen Grenze zu Österreich hält Karl Heinz nicht an, sondern gibt Gas und prescht unterm Schlagbaum durch. Grenzpolizisten schießen, aber das Paar kommt unverletzt auf österreichisches Gebiet.
Eine hohe Risikobereitschaft, obwohl es nicht Liebe auf den ersten Blick ist. "Ich würde es eher mit einer Blume vergleichen, wie sie sich allmählich entfaltet von der Knospe bis zu einer schönen Blüte. Und diese Blüte hat dann tatsächlich ein Leben lang gehalten, fast 60 Jahre", sagt Karl Heinz.
Flucht ist tief im Gedächtnis verankert
Er und Magdalena sind heute beide weit über 80. In ihrem Häuschen in Hechingen (Zollernalbkreis) führen sie ein ruhiges Leben. Die beiden sitzen in der Küche. Auf dem Tisch liegt ein Stapel alter schwarz-weiß Fotos. An manches aus ihrem Leben können sie sich nicht mehr genau erinnern, aber die Flucht und die damit verbundenen Ängste und Zweifel haben sich in ihr Gedächtnis gebrannt.
Dann hinten rein und auf den Rücksitz. Das war aber kein Sitz, das war eine Brettles-Bank. Das weiß ich noch. Magdalena Schäfer über die Flucht im Auto 1964
Chance verpasst: Magdalena in Hechingen
Doch man fragt sich: Wie kam es überhaupt zu der Liebe? Er lebt in Süddeutschland, sie bei Dresden im Osten. Das Ganze fängt zu Schulzeiten an. Karl Heinz ist in einem katholischen Internat. Dort wird er gefragt, ob er eine Brieffreundschaft mit jemandem aus dem Osten möchte. Er schreibt und es antwortet Magdalena.

Vor dem Mauerbau reiste Magdalena nach Hechingen zu Karl Heinz. Am Tag des Mauerbaus hätte sie einfach bleiben können. Doch die Folgen waren damals für die beiden nicht zu überblicken und sie fuhr zurück.
Nach dem Abitur von Karl Heinz treffen sie sich zum ersten Mal in Berlin. Die Stadt ist noch offen. Wenig später reist Magdalena nach Hechingen. "Am 13. August 1961, als die Mauer gebaut wurde, war sie hier in Hechingen", sagt Karl Heinz. Zu jenem Zeitpunkt haben man die Folgen nicht überblicken können. Magdalena sei wie geplant wieder gefahren.
Karl Heinz plant die Flucht über die Grenze
Doch mit der totalen Abriegelung der DDR beginnt für die beiden eine schwierige Zeit. Karl Heinz will Magdalena zu sich holen. So gut wie niemand darf davon erfahren. Ängste und Zweifel sind groß. Viele Fragen offen. Karl Heinz, ein gläubiger Katholik, findet Antworten in einer Kirche vor einem Madonnenbild. "Die Frau hat mich immer angeschaut und ich hatte den Eindruck, sie würden zu mir sagen: Du kannst das machen, das wird gelingen."
Karl Heinz studiert zu jener Zeit in Freiburg. Von dort plant er die Flucht akribisch. Mehrmals fährt er an die tschechoslowakische Grenze und schaut sich um. Mit geliehenem Geld kauft er sich einen Sportwagen. Flach muss er sein, die Windschutzscheibe abschraubbar, damit das Auto unter dem Schlagbaum durch kommt. Bei einer seiner Erkundungstouren am Grenzübergang misst er mit dem Körper die Höhe des Schlagbaums ab.
Eltern und Freunde wissen nichts von den Plänen
Karl Heinz reist in den Osten und bespricht die Details mit Magdalena. Nur zwei Freundinnen wissen von den Fluchtplänen. Die Geheimhaltung vor den Eltern und Freunden sei mit das Schwierigste gewesen, sagen die beiden. Nach eineinhalb Jahren Planung ist es dann so weit. Magdalenas Urlaubsantrag wird genehmigt.

Zur Goldenen Hochzeit sitzt das Paar wieder in einem MG, dem Modell, mit dem ihnen 1964 die Flucht aus der DDR gelungen ist.
Das Paar verabredet sich in einem Hotel in einem Urlaubsgebiet in der Tschechoslowakei. Am Abend des 27. September 1964 steigt das Paar in den Sportwagen. Kurz vor der Grenze schraubt Karl Heinz wie geplant die Windschutzscheibe ab. Magdalena legt sich hinten auf den Notsitz. Die Grenzer öffnen die ersten beiden Schranken. Die dritte bleibt zu.
Mit Vollgas über die Grenze. Schüsse fallen
Karl Heinz gibt Vollgas, zieht den Kopf ein und fährt unterm Schlagbaum durch. Alles passt. Doch dann kommt was, das er nicht eingeplant hatte: "Der Schlagbaum war auf der österreichischen Seite auch zu. So oft ich da war, war der immer offen. So dass ich auf österreichischer Seite auch noch mal den Kopf einziehen und unter dem Schlagbaum durch musste." Sein Auto gerät ins Schlingern. Die tschechoslowakischen Grenzpolizisten schießen, die Kugeln verfehlen aber ihr Ziel.
Schnell spricht sich die spektakuläre Flucht rum. Die Eltern von Karl Heinz erfahren davon aus der Zeitung. Magdalenas Mutter im Osten von einem Tankwart, sagt sie. "Der hatte einen verbotenen Westsender gesehen und das brühwarm erzählt."

Skifahren, wandern, miteinander Zeit verbringen: Die Schäfers genießen die Freiheit. Ihre drei Kinder und der Glaube sind das Fundament ihrer Liebe.
Karl Heinz: "Es war blindes Vertrauen"
Endlich in Freiheit genießen die beiden das neue Leben. Karl Heinz wird Lehrer. Sie, die gelernte Zahnarzthelferin, steigt in den Familienbetrieb der Schäfers in Hechingen ein. Vier Jahre nach der Flucht 1968 heiraten die beiden, bekommen drei Kinder und haben heute sieben Enkelkinder. Die Familie verbindet, der Glaube gibt Kraft. Karl Heinz Schäfer ist tief dankbar für das, was er und Magdalena erlebt haben: "Wenn man von Liebe spricht, muss man sagen, es war blindes Vertrauen auf den anderen. Und das ist bis heute so geblieben."