Eine ausfahrbare Sperre steht im Dezember 2024 auf einer Zufahrtsstraße zum Weihnachtsmarkt in Stuttgart.

Baden-Württemberg Teure Sicherheitsvorkehrungen: Feste und Veranstaltungen in BW in Gefahr?

Stand: 29.03.2025 05:47 Uhr

Nach den jüngsten Anschlägen und Amokfahrten verschärfen BW-Städte Sicherheitskonzepte für Veranstaltungen. Nach ersten Absagen wegen gestiegener Kosten stellt sich die Frage: Wer bezahlt das?

Nach der Amokfahrt von Mannheim und den Anschlägen mit Autos in München und Magdeburg schärfen einige Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg ihre Sicherheitskonzepte für Veranstaltungen auf Straßen und Plätzen nach. Das hatte erste Absagen von Veranstaltungen in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) und Rheinfelden (Kreis Lörrach) zur Folge. Der Aufwand und die Kosten für die verschärften Sicherheitskonzepte seien zu groß, erklärten die Veranstaltenden.

Der Städtetag Baden-Württemberg, der 204 Mitgliedsstädte im Land politisch vertritt, rechnet mit weiteren Absagen dieser Art in den nächsten Monaten. Sebastian Ritter, Dezernent beim Städtetag unter anderem für die Themen Ordnung, Recht und Wirtschaft, sagte dem SWR, er gehe davon aus, dass in den nächsten Wochen verstärkt Meldungen von abgesagten Veranstaltungen aus den 1.001 Gemeinden im Land kämen, weil man verschärfte Sicherheitskonzepte personell oder finanziell nicht stemmen könne.

BW-Städtetag wünscht Unterstützung vom Land

Der Städtetag wirbt bei der Landesregierung um Unterstützung. Ob Veranstaltungen stattfinden könnten, dürfe nicht davon abhängen, welche Stadt oder Gemeinde Geld für Sicherheitstechnik übrig habe. Auch eine Sprecherin der Stadt Bietigheim-Bissingen spricht gegenüber dem SWR davon, dass landesweite Richtlinien für die Absicherung von Veranstaltungen im öffentlichen Raum hilfreich sein könnten - und wünscht sich Zuschüsse für Sicherheitseinrichtungen wie Poller und Sperren.

Im BW-Innenministerium verweist man auf SWR-Anfrage auf die Unterstützung der lokalen Veranstaltenden durch die Sicherheitsbehörden. Niemand müsse auf die Durchführung oder den Besuch von Veranstaltungen verzichten. Zusätzliches Geld vom Land für die Sicherheitskonzepte will man aber weder im Innen- noch im Wirtschaftsministerium versprechen.

Sicherheit für Veranstaltung: Keine "zentralen Vorgaben" vom BW-Innenministerium

Sebastian Ritter vom BW-Städtetag plädiert für gemeinsame Lösungen. Ihm sei es wichtig, dass in der Diskussion um die Sicherung von Veranstaltungen im öffentlichen Raum differenziert werde, so Ritter im Gespräch mit dem SWR. Neue gesetzliche Vorgaben vom Land hält er nicht unbedingt für den richtigen Weg, er wirbt stattdessen für eine politische Diskussion darüber, wer einen Beitrag leisten könne.

Klar ist: Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg entscheiden selbst, ob sie nach den jüngsten Anschlägen mit Fahrzeugen ihre Sicherheitskonzepte verschärfen. Vom Land, also dem zuständigen Innenministerium, heißt es auf SWR-Anfrage, "zentrale Vorgaben" gebe es vom Ministerium keine. Wie genau vor Ort abgesichert werde, richte sich nach dem Einzelfall.

Unsere Sicherheitsbehörden [...] beobachten die Sicherheitslage ganz genau und handeln dort, wo es nötig ist. Daher muss niemand auf die Durchführung oder den Besuch von Veranstaltungen oder Versammlungen verzichten. BW-Innenminsterium auf SWR-Anfrage

Die Polizei Baden-Württemberg berate die Veranstaltenden, so ein Ministeriumssprecher, und "berücksichtigt aktuelle Ereignisse bei ihren fortlaufenden Gefährdungsbewertungen". Weitere Unterstützung biete der "Leitfaden zum Schutz vor Überfahrttaten" von Bund und Ländern sowie der "Wegweiser für (Groß-)Veranstaltungen in Baden-Württemberg" der Landespolizei, in dem es vor allem darum geht, wer akkreditiert wird - und wer nicht.

Weil öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel aber grundsätzlich mögliche "Anschlagsziele politisch motivierter Attentäter" seien, beobachteten die Sicherheitsbehörden die Sicherheitslage "ganz genau und handeln dort, wo es nötig ist", so ein Ministeriumssprecher. Niemand müsse daher auf die Durchführung oder den Besuch von Veranstaltungen oder Versammlungen verzichten. Alles kein Problem also?

Abgesagt: Osterbrunnenfest in Bietigheim-Bissingen und Cityflohmarkt in Rheinfelden
In Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) wurde das traditionelle Osterbrunnenfest vom Veranstalter abgesagt - der planerische und finanzielle Aufwand sei mit den neuen Vorgaben der Stadt zu groß geworden, sagte der Gewerbeverein "Aktive Unternehmer Bietigheim-Bissingen" dem SWR. Denn: Die Stadt forderte vom Verein für die diesjährige Veranstaltung am 13. April mobile und feste Zufahrtssperren zum Schutz vor Autos. Für die Stadt kam die Absage nach eigenen Angaben überraschend, nun suche man aber das Gespräch mit dem Gewerbeverein, um später im Jahr Veranstaltungen organisieren zu können. Auf SWR-Anfrage teilte eine Sprecherin der Stadt außerdem mit, derzeit arbeite man an einem allgemeinen Sicherheitskonzept für Veranstaltungen in der Stadt. Eine weitere Absage einer liebgewonnenen Veranstaltung kam aus Rheinfelden (Kreis Lörrach). Anfang April wäre dort die 110. Auflage des City-Flohmarkts angestanden - doch nach 18 Jahren hat der private Veranstalter, die Firma SüMaMaier, die für 2025 geplanten Veranstaltungen abgesagt. Der Grund auch hier: ein neues Sicherheitskonzept der Stadt. Das sei nicht mehr tragbar, so der Veranstalter. Er sprach öffentlich von zusätzlichen Kosten von 500 Euro pro Markt und zweifelte an, dass die vorgeschriebenen Absperrungen Sicherheit vor Fahrzeugen bieten würden. Die Stadt bedauert die Absage laut Pressemitteilung, sagt aber, angesichts der Vorfälle bei Großveranstaltungen sehe sich auch Rheinfelden gezwungen, Sicherheitskonzepte zu hinterfragen und gegebenenfalls nachzubessern.

Warum der Wunsch nach mehr Sicherheit auch ein Problem ist

Wie immer bei dem Wunsch nach mehr Sicherheit im öffentlichen Raum stellt sich auch bei Sicherheitskonzepten für Veranstaltungen die Frage: Wie viel ist genug - und wann schießt man über das Ziel hinaus? Dass Sicherheitskonzepte nicht zentral vom Innenministerium vorgegeben werden, findet Sebastian Ritter vom Städtetag sinnvoll. Und auch vom Gemeindetag Baden-Württemberg, der kreisangehörige Gemeinden im Land politisch vertritt, heißt es: Vor Ort kenne man die Gegebenheiten am besten. Zusammen mit Veranstaltenden und der Einschätzung der Sicherheitsbehörden ergebe sich erst ein vollständiges Bild. "Dabei gilt immer, dass es keine hundertprozentige Sicherheit im öffentlichen Raum geben kann", so ein Sprecher des Gemeindetags.

Auf SWR-Anfrage betont man dort auch die funktionierende Zusammenarbeit mit Polizei und Sicherheitsbehörden, wenn es darum geht, Brauchtumsveranstaltungen, Open-Air-Events und andere vergleichbare Veranstaltungen abzusichern - warnt aber: "Zu hohe Anforderungen können die oftmals ehrenamtlich getragenen Veranstaltungen auch in Frage stellen."

Teure Absicherung von Veranstaltungen: Was helfen könnte

Sebastian Ritter vom Städtetag drückt es so aus: "Es geht darum, einen Mittelweg zu finden: einerseits eine möglichst gute Absicherung der Veranstaltung, andererseits eine pragmatische und kostengünstige Lösung." Denn am Ende stelle sich immer die Frage: "Wer bezahlt das Ganze?" Hier macht Ritter den Vorschlag, ein bestehendes Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums für Veranstaltungen zur Belebung von Innenstädten auch für Veranstaltungen mit Tradition zu öffnen und quasi umzuwidmen.

Es wäre ja auch irgendwie skurril, wenn man eine neue Veranstaltung fördert - und die bestehende Veranstaltung muss abgesagt werden, weil die nicht gefördert werden kann. Sebastian Ritter, Städtetag Baden-Württemberg

Wenn das übergeordnete Ziel sei, die Innenstädte zu beleben, dann erreiche man das auch, wenn tradierte Veranstaltungen nicht abgesagt werden müssten. So könnten nach Ritters Vorstellung Zuschüsse vom Land für verschärfte Sicherheitskonzepte unbürokratisch und relativ schnell gewährt werden. Doch dieser Idee erteilt das BW-Wirtschaftsministerium auf SWR-Anfrage eine Absage: Eine finanzielle Förderung von bestehenden oder regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen sei "allein schon förderrechtlich nicht möglich". Die Förderung mit Summen zwischen 30.000 und 50.000 Euro konzentriere sich auf inhaltliche Konzepte und Marketingausgaben für neue Veranstaltungen.

Göppingen will 300.000 Euro für Sicherheitstechnik ausgeben, Wangen macht sie selbst

Was die Anschaffung von Sicherheitstechnik angeht, gibt Sebastian Ritter vom BW-Städtetag zu bedenken, dass nicht jede Stadt und Gemeinde 300.000 Euro für Poller und ähnliche Sicherungsausrüstung ausgeben werde, wie das Göppingen nun vorhat. Hier solle man eine politische Diskussion führen - etwa, ob man sich zusammentut und Sicherungstechnik zentral oder regional vorhält, um sie dann im Bedarfsfall abzugeben. Denn, so sagt Ritter: "Es kann ja am Ende nicht davon abhängen, welche Stadt jetzt besonders viel Geld im Haushalt übrig hat. Und dort können Veranstaltungen stattfinden, in anderen Städten nicht."

Für Anfang April hat der Städtetag Vertreter von Ordnungsämtern von Städten zu einem digitalen Austausch eingeladen. Dort will man sich über Erfahrungen austauschen und auch die Anschaffung von Sicherungsequipment wie stationären und mobilen Pollern besprechen. Ein Beispiel dürfte dann auch Wangen im Allgäu (Kreis Ravensburg) sein. Dort haben Mitarbeitende des städtischen Bauhofs mobile Sperren zur Absicherung von Veranstaltungen einfach selbst entworfen und gebaut. Die Sicherheitstechnik Marke Eigenbau soll auf Dauer gegenüber gemietetem Equipment Kosten sparen.

Zufahrtssperren Marke Eigenbau: Bauhofmitarbeiter in Wangen im Allgäu präsentieren mit Stolz ihre Schutzkonstruktion gegen Amokfahrer.

Zufahrtssperren Marke Eigenbau: Bauhofmitarbeiter in Wangen im Allgäu präsentieren mit Stolz ihre Schutzkonstruktion gegen Amokfahrer.

"Ich glaube, der Austausch der Städte untereinander hilft viel", sagt Sebastian Ritter vom BW-Städtetag. Und wünscht sich im nächsten Schritt ein politisches Signal: Veranstaltungen wie das abgesagte Osterbrunnenfest in Bietigheim-Bissingen stärkten das Zusammenleben, könnten für eine Stadtgesellschaft sogar essenziell sein, so Ritter. Doch wenn man zu diesem Schluss komme, dann müsse man daraus auch ableiten, dass "die öffentliche Hand eine finanzielle Unterstützung für die erforderlichen Schutzmaßnahmen leistet". Wer genau - das lässt er bewusst offen.

Sendung am Fr., 28.3.2025 12:00 Uhr, SWR1 Baden-Württemberg, SWR1 Baden-Württemberg

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