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Wahlkampf 2025: Darum haben Migranten in Karlsruhe Angst

Stand

Von Autor/in Mirka Tiede

Viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland haben hart für ihre Einbürgerung gearbeitet. Jetzt macht ihnen der aggressive Ton im Wahlkampf Angst - auch Menschen in Karlsruhe.

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Ahmad Hawarnah darüber, wie er sich mit der aktuellen poltischen Lage fühlt.

Am 23. Februar ist die nächste Bundestagswahl. Neben der Wirtschaftskrise ist für die Menschen in Baden-Württemberg auch das Thema "Zuwanderung/Flucht" wichtig. Im Wahlkampf wird inzwischen der Ton gegen Migrantinnen und Migranten immer aggressiver. Zuletzt hatte eine Wahlkampfaktion der AfD in Karlsruhe für Kritik gesorgt. Die Partei hatte "Abschiebetickets" als Flyer verteilt.

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Viele Migrantinnen und Migranten haben Angst um die Zukunft in dem Land, in dem sie sich ein neues Leben aufgebaut haben - auch die, die in Deutschland geboren wurden oder schon lange die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Es werde in der aktuellen Debatte nie mit den Menschen mit Migrationshintergrund geredet, sondern immer nur über sie, findet Ahmad Hawarnah. Er ist Mitglied im Integrationsausschuss der Stadt Karlsruhe.

Ahmad Hawarnah in der Drei-Länder-Ecke von Syrien (Golanhöhen), Jordanien und Israel - seine erste Reise mit deutschem Reisepass.
Ahmad Hawarnah bei seiner ersten Reise mit einem deutschen Reisepass, nachdem er die Reisefreiheit erhalten hat. Er war auf dem Bild in der Drei-Länder-Ecke von Syrien (Golanhöhen), Jordanien und Israel.

Einbürgerung war langer und schwieriger Prozess

Nach mehreren Jahren in Deutschland hat Ahmad im vergangenen Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Für ihn ist es die Erste überhaupt. Vorher war Ahmad staatenlos, also jemand, der unter nationalen Gesetzen keine Staatsbürgerschaft eines Landes besitzt. Er wurde in Dubai geboren und ist mit zehn Jahren mit seinen Eltern nach Syrien gezogen. Seine Mutter ist Syrerin, sein Vater Palästinenser, der nach Syrien geflüchtet war. Letztendlich ist Ahmad 2015 nach Deutschland geflüchtet.

Seine Einbürgerung war ein langer und schwieriger Prozess. Er habe zahlreiche Dokumente besorgen müssen, unter anderem eine Geburtsurkunde aus zwei unterschiedlichen Ländern. Meistens warte man bis zu einem Jahr, bis man überhaupt einen Termin machen könne, so Ahmad, weil man vor Beantragung einen persönlichen Beratungstermin bei der Ausländerbehörde machen müsse.

Ahmad Hawarnah: Niemand flüchtet freiwillig

Für Forderungen wie die von Friedrich Merz (CDU), die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, hat Ahmad Hawarnah klare Worte: "Ich bin mehr Deutscher als die, die das sagen. Ich habe dafür was gemacht. Ich habe dafür sogar einen Antrag gestellt", erwidert er. "Wir hatten nicht dieses Glück und Privileg, hier geboren zu sein."

Wir sind keine Bürger zweiter Klasse.

Ahmad war in der Vergangenheit eigentlich immer dankbar, in Deutschland sein zu können und sieht sich als Teil der Gesellschaft. Doch in letzter Zeit hat er immer wieder Zweifel: "Ich habe manchmal Tage, an denen ich in den Spiegel schaue und mich frage, ob ich mich anlüge, wenn ich sage: Ich bin deutscher Staatsbürger", sagt er im Gespräch mit dem SWR. Richtig Angst mache ihm, dass teilweise auch Leute aus seinem eigenen Bekanntenkreis, wie Kommilitonen, Inhalte von der AfD verstehen können.

Er wünscht sich von den Deutschen ohne Migrationshintergrund, dass sie sich in die Rolle der Migrantinnen und Migranten hineinversetzen. "Niemand entscheidet sich freiwillig, ihr oder sein Land zu verlassen. Es muss einen Grund dafür geben", sagt Ahmad. Die Menschen arbeiteten darüber hinaus als Ärztinnen und Ärzte, Altenpflegerinnen und Altenpfleger und in anderen kritischen Jobs. Sie alle sollten als Teil der Gesellschaft gesehen werden und als Menschen, die das Land mit aufbauen.

Ana Bolaños: "1933 wird sich wiederholen"

Ana Bolaños wurde in Ecuador geboren und ist dort aufgewachsen. Momentan arbeitet sie als Mitarbeiterin für einen Abgeordneten im Landtag. 2009 kam sie nach Deutschland und hat hier ihre Ausbildung gemacht. Seitdem lebt sie auch in Karlsruhe. Vor etwa zehn Jahren hat sie neben der ecuadorianischen Staatsbürgerschaft auch die deutsche angenommen. Sie selbst war nach eigenen Angaben lange politisch in einer Partei aktiv und engagierte sich rund um den Bereich Flucht und Migration.

Ana Bolaños im Landtag.
Ana Bolaños arbeitet für einen Abgeordneten im Landtag.

Für Ana ist die aktuelle politische Lage beängstigend. Das erste Mal in den 16 Jahren fühle sie sich in Deutschland als Migrantin nicht mehr sicher. Ana befürchtet, dass sich hinter den sogenannten "Remigrationsplänen" der AfD weit mehr verbirgt, als die Partei aktuell zugeben möchte. Und sie eine größere Masse an Menschen betreffen wird. "Das sind nicht nur Menschen, die hier noch auf einen Aufenthalt warten, sondern ich denke, dass es Stück für Stück auch weitergehen wird", erwartet Ana.

Ich habe auch von vielen Freunden von mir, die eher muslimisch sind, gehört: 1933 wird sich wiederholen - 2033. Nur diesmal sind wir es.

Ana Bolaños: Gesellschaft soll zusammenhalten

Für Ana sei es aktuell das Wichtigste, als Gesellschaft zusammenzuhalten. Von Menschen ohne Migrationshintergrund wünscht sie sich, dass sie den Kontakt zu Migrantinnen und Migranten suchen und mit ihnen reden. "Weil die Ängste, die die Bevölkerung gerade hat, sind aus der Politik und aus den Medien", erklärt Ana. "Und ich glaube, wenn man in Kontakt tritt, dass man sehen kann, dass man keine Ängste haben muss."

Darüber hinaus wünscht sie sich, dass sich die Leute über ihre Social Media-Blase hinaus informieren. Damit sie auch andere Sichtweisen mitbekommen und nicht nur den Populismus, den ihrer Meinung nach fast alle Parteien betreiben. Vor der Wahl solle man sich auch mit dem Wahlprogramm der verschiedenen Parteien beschäftigen. "Die sind lang, aber die wurden immer von einer Basis gemacht", betont Ana. "Das sagt einfach sehr viel über eine nächste Politik, die kommen wird."

Mehr zu den Wahlprogrammen der Parteien:

Emre wurde in Deutschland geboren

Emre (Name von der Redaktion geändert) wurde in Deutschland geboren. Seine Eltern sind Gastarbeiter aus der Türkei, die Ende der Siebziger nach Deutschland gekommen sind. Emre ist in Norddeutschland aufgewachsen. Als erstes Kind seiner Familie hat er Abitur gemacht und studiert. Danach kam sogar noch eine Promotion dazu. Emre arbeitet schon seit elf Jahren. Seine deutsche Staatsbürgerschaft hat er seit 2013.

Als Kind türkischer Gastarbeiter sei es üblich, sich in beiden Welten nie so ganz zu Hause zu fühlen, erzählt er. Das wäre vor allem in der Kindheit, Jugend und als junger Erwachsener ein Problem gewesen. Aber man könne lernen, damit klarzukommen. "Das Gefühl nicht 100 Prozent irgendwo dazuzugehören, kennen alle Menschen, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund", so Emre.

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Debatten im aktuellen Wahlkampf wecken Ängste in Emre

Er sei in Deutschland mehr verwurzelt als woanders und fühle sich hier mehr zugehörig. Dennoch weckten die aktuellen Debatten Ängste in ihm. Und das, obwohl - zumindest momentan - nur über "unangepasste" oder "schlechte integrierte" Ausländer und Geflüchtete gesprochen werde und ihm bisher vermittelt werden soll, sich keine Sorgen machen zu müssen.

"Das ist das, womit die AfD versucht, Migranten oder Nachkommen von Migranten wie mich zu ködern, um eine geeinte Volksfront gegen die neuen Flüchtlinge zu bilden", sagt Emre. "Aber ich bin mir sehr sicher, dass das alles nur ein Feigenblatt ist und, dass nach und nach Tabus gebrochen werden." Er hat Angst davor, dass es am Ende auch ihn treffen kann.

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Emre: Der extreme Rand wird immer größer

Bisher käme das, seiner Meinung nach, nicht von der gesamten Gesellschaft, sondern nur von einem extremen Rand. Der werde aber leider immer größer. "Das, was mir Angst macht, ist, wohin der Wind weht. Und der weht gerade eben in Richtung der extremen Rechten."

Seine Eltern besitzen noch eine Wohnung und ein Haus in der Türkei. Für ihn war das immer weit weg - das Heimatland seiner Eltern, mit dem er nichts tun habe. Seit der letzten Bundestagswahl schleichen sich Gedanken ein, dass es schon ganz gut sei, die beiden Immobilien in der Hinterhand zu haben: "Falls irgendwann hier wirklich mal die Kacke am Dampfen wäre."

Emre: Solidarität mit Migranten ausdrücken

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