Bayern Extrem selten, extrem gefährlich: Das Borna-Virus
Das Borna-Virus trifft meist Tiere wie Pferde, Schafe oder zuletzt auch Igel. In seltenen Fällen stecken sich auch Menschen mit der Tierseuche an – vor allem in ländlichen Gebieten. Das Rottal hat sich in den letzten Jahren zum Hotspot entwickelt.
In der kleinen ländlichen Gemeinde Unterdietfurt im Kreis Rottal-Inn lebt Sandro Wiesmann mit seiner Frau Daniela und ihrem gemeinsamen Sohn Luca. Doch im Winter 2015 ändert sich ihr Leben dramatisch. Daniela erkrankt, muss wenig später ins Krankenhaus. Was zunächst wie eine harmlose Erkältung aussieht, entpuppt sich als der Beginn einer Infektion mit dem Borna-Virus.
Infektion in drei Phasen
Erst hat Daniela typische Erkältungssymptome. Husten, Fieber und Schnupfen – die erste Phase der Infektion. Wenig später muss die damals 31-Jährige per Hubschrauber in die Uniklinik Regensburg: Verdacht auf Meningitis, eine schwere Hirnhautentzündung.
In der zweiten Phase der Krankheit kommen neurologische Symptome dazu: Daniela hat Kopfschmerzen, Krampfanfälle. Da wissen die Ärzte noch nicht, dass Daniela Wiesmann am Borna-Virus erkrankt ist: "Sie hat Antibiotika, Virostatika bekommen, zum Schluss haben sie überlegt, eine Blutwäsche zu machen", erinnert sich Sandro Wiesmann. "Die Ärzte standen eigentlich vor nichts. Man wusste nicht, warum diese schweren Hirnschädigungen vorhanden sind."
Danielas Zustand verschlechtert sich schnell. Sie kommt auf die Intensivstation, wo ihr Hirndruck ansteigt. In der dritten Phase der Erkrankung – dem komatösen Stadium – ist Daniela nicht mehr ansprechbar, muss beatmet werden. Nach insgesamt vier Wochen stirbt sie. Für Sandro Wiesmann bleibt zunächst unklar, woran seine Frau erkrankte. Erst Monate später rufen Forscher an und teilten ihm die Diagnose mit: Borna-Virus.
Im Video: Spitzmaus als tödlicher Überträger - wie das seltene Borna-Virus die Forschung in Atem hält
Borna-Virus: Tierseuche im 19. Jahrhundert
Bekannt wird das Borna-Virus im 19. Jahrhundert als Tierseuche. 1894 stirbt in der sächsischen Stadt Borna ein ganzer Pferdestall an einer bislang unbekannten Infektion, die später als Borna’sche Krankheit bezeichnet wird. Erst 1935 identifizieren Forscher den Erreger, ein RNA-Virus.
2015 werden die ersten Fälle beim Menschen dokumentiert: Züchter des seltenen Bunthörnchens sterben an einer schweren Hirnhautentzündung. Die Rede ist damals vom "Bunthörnchen-Bornavirus". Die offizielle Bestätigung, dass das Borna-Virus, auch BoDV-1 genannt, auf den Menschen übertragbar ist, gibt es erst im Jahr 2018.
Feldspitzmaus als Überträger
Der Überträger des Virus ist die Feldspitzmaus, ein sogenannter Reservoir-Wirt. Sie trägt das Virus, ohne selbst zu erkranken. "Wichtig ist es, den Kontakt zur Spitzmaus und ihren Ausscheidungen zu vermeiden", betont Merle Böhmer, Epidemiologin am Bayerischen Landesamt für Gesundheit. "Also bei Tätigkeiten, wo Spitzmäuse hingehen – wie offene Dachböden oder draußen im Schuppen." Wer eine tote Feldspitzmaus findet, sollte diese nur mit FFP2-Maske und Handschuhen anfassen.
Besonders verbreitet ist die Spitzmaus in Deutschland vor allem in Bayern. Sie lebt gerne lokal, wandert nicht. Bei Häusern am Feldrand fühlt sie sich wohl.
Borna-Virus für Menschen lebensbedrohlich
Pro Jahr erkranken deutschlandweit fünf bis zehn Menschen an Borna. "Ein sehr seltenes Virus", sagt Merle Böhmer. Einen Schutz gibt es nicht. Bei einer Infektion ist die Krankheit für Menschen lebensbedrohlich. Ärzte gehen davon aus, dass über 97 Prozent der Erkrankten sterben. Im Landkreis Rottal-Inn in Niederbayern gibt es zwei bekannte Todesfälle. In der Gemeinde Maitenbeth, im Landkreis Mühldorf, starben 2019 und 2022 zwei Kinder an dem Virus.
Keine Standard-Therapie gegen das Borna-Virus
Die Behandlung des Borna-Virus ist experimentell und individuell, da es keine Standard-Therapie gibt. Doch ein Hoffnungsschimmer bleibt: der Überlebende Tom Tümmers. Der damals 17-Jährige aus Baesweiler bei Aachen infiziert sich 2021 mit dem Borna-Virus. Über zwei Jahre lang kämpft er immer wieder um sein Leben. Er wird mehrmals ins Koma versetzt, übersteht einen Herzstillstand.
Anfang 2024 darf Tom nach Hause. Für ihn und seine Mutter ist aber nichts mehr wie zuvor: Tom braucht Vollzeitpflege, muss alles neu lernen. Mittlerweile spricht er erste Worte, geht die ersten Schritte mit Unterstützung. Warum die noch anhaltende Behandlung bei Tom Tümmers erfolgreich ist, bleibt unklar. Auch bei ihm handelt es sich um einen experimentellen Heilversuch.
Seine Mutter Sandra Tümmers, die ihn mitpflegt, wünscht sich, zu einem einigermaßen normalen Leben zurückzukehren. "Einfach mit Tom mal wegfahren, raus hier aus dem allen", sagt Tümmers. Wie es weitergeht? Auch das ist unklar. Tom Tümmers bleibt weiterhin einer der bisher wenigen Überlebenden.
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Quelle: BR24 vor Ort 10.12.2024 - 16:00 Uhr