Bayern Wirecard-Skandal – Anleger hoffen auf Entschädigung
Mehr als vier Jahre nach dem Zusammenbruch von Wirecard hat vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht das Kapitalanleger-Musterverfahren begonnen. Tausende ehemalige Aktionäre hoffen, für Verluste entschädigt zu werden.
Seit der spektakulären Pleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard haben Tausende ehemalige Wirecard-Aktionäre beim Landgericht München auf Schadensersatz geklagt, vor allem gegen den langjährigen Wirtschaftsprüfer EY. Die Klagen hat das Landgericht München im Frühjahr 2022 gebündelt und ein Kapitalanleger-Musterverfahren eingeleitet.
Mehr als vier Jahre nach dem Zusammenbruch von Wirecard beginnt vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht das Kapitalanleger-Musterverfahren. Tausende ehemalige Aktionäre hoffen, für Verluste entschädigt zu werden. BR24live berichtete live ab 9.15 Uhr. Die ganze Sendung mit den wichtigsten Fragen zum Verfahren und eine Einordnung findet Ihr oben zum Nachschauen.
Wie groß ist das Verfahren?
Für die erste mündliche Verhandlung hat das Gericht die Wappenhalle in München-Riem angemietet, um vielen Betroffenen die Teilnahme zu ermöglichen. Laut dem Gericht sind an dem Prozess nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Tausende Kläger beteiligt. Zum einem sind das 8.500 geschädigte Anleger und Investoren, die bereits vor dem Landgericht München geklagt hatten. Diese Verfahren sind seit Einleitung des Musterverfahrens ausgesetzt. Der geforderte Schadensersatz beläuft sich hier auf 750 Millionen Euro.
Hinzu kommen 19.000 Personen, die sich dem KapMuG-Verfahren angeschlossen haben. Hier kann das Gericht keine Angaben machen, wie hoch der geforderte Schadensatz ist. Die Summe dürfte aber in die Milliarden gehen.
Wer ist beklagt und worum geht es?
Dem Musterverfahren angeschlossen hat sich der Kleinanleger Robert Schuster aus Reisbach in Niederbayern. Ihm geht es nicht nur um Geld: "Entscheidend ist, dass hier dann auch mal Gerechtigkeit rauskommt, dass die Leute sehen: Nein, man kann nicht alles machen, und es ist auch nicht alles erlaubt."
Tatsächlich muss das Gericht im Rahmen des KapMuG-Verfahrens klären, ob die damalige Wirecard AG und einzelne Vorstände, darunter Ex-Chef Markus Braun, falsche Geschäftsberichte vorgelegt haben. Konkret geht es dabei beispielsweise um die Frage, ob bei Wirecard bekannt war, dass angebliche Guthaben in Milliardenhöhe auf Treuhandkonten aus dem sogenannten Drittpartnergeschäft nicht vorhanden waren. Zentral ist zudem die Rolle der Wirtschaftsprüfer von EY. Das Gericht muss darüber entscheiden, ob EY bei der Prüfung der Bilanzen vorsätzlich Pflichten verletzt hat.
Worum geht es am ersten Verhandlungstag?
Die Zahl der offenen Fragen ist umfangreich. Im Musterverfahren heißen sie "Feststellungsziele". Bei der ersten mündlichen Verhandlung am heutigen Freitag wird das Gericht noch nicht inhaltlich in den Prozess einsteigen. Es geht nur darum, welche "Feststellungsziele" zulässig sind – also tatsächlich geklärt werden müssen.
Umstritten beispielsweise ist, ob die Testate der Wirtschaftsprüfer überhaupt Gegenstand des Musterfahrens sein können.
Wie reagiert EY auf die Vorwürfe?
Rechtsanwalt Peter Mattil, der den Musterkläger vertritt, will in dem Verfahren vornehmlich die Wirtschaftsprüfer ins Visier nehmen. Bei EY handle es sich "um einen Weltkonzern mit 50 Milliarden Umsatz". Beklagt ist allerdings die deutsche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von EY. Und die weist alle Ansprüche auf Schadensersatz zurück: "Wir bewerten die Schadensersatzklagen gegen EY Deutschland als unbegründet. Das gilt für die im KapMuG-Verfahren gebündelten Klagen genauso wie für die Einzelklagen", teilt der Wirtschaftsprüfer auf Anfrage mit.
Zudem hat sich EY Deutschland Anfang des Jahres organisatorisch neu aufgestellt. Das Unternehmen hat drei Teilgesellschaften in rechtlich eigenständige Einheiten ausgegliedert. Anwälte von Anlegern sehen darin den Versuch, sich einer möglichen Haftung zu entziehen: "Wir sind der Meinung, dass es eine Vermögensflucht ist. Erst einmal reibt man sich die Augen und glaubt es nicht, dass sie so etwas nötig haben, ihr Vermögen in Sicherheit zu bringen, weil eine Klage oder vielleicht eine Verurteilung ansteht," so Peter Mattil. Der Experte für Kapitalmarktrecht hat deshalb zusätzlich eine EY-Gesellschaft in London verklagt.
Wie lange dauert das KapMuG-Verfahren?
Für alle ausgesetzten Verfahren sind die Entscheidungen im Musterverfahren bindend. Anleger, die nicht selbst geklagt haben, sondern sich dem Verfahren angeschlossen haben, müssen am Ende allerdings selbst nochmals vor Gericht ziehen. Aber auch hier sind die Vorgaben aus dem Musterverfahren entscheidend. Jetzt noch Ansprüche auf Schadensersatz über das KapMuG-Verfahren anzumelden, ist nicht mehr möglich. Die betreffende Frist ist abgelaufen.
Wie lange das KapMuG-Verfahren in Sachen Wirecard dauern wird, ist schwer abzuschätzen. Anlegeranwälte kritisieren, dass schon viel Zeit ins Land gegangen sei. Dies liege auch an einer "wurstigen Art des Bayerischen Obersten Landesgerichts, dieses Verfahren voranzubringen", kritisiert Marc Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Das Gericht weist diesen Vorwurf zurück. Das Verfahren sei überaus komplex und umfangreich.
Was sagen die Anleger und ihre Vertreter?
Marc Liebscher von der SdK hofft sehr, dass das Gericht im Rahmen des Verfahrens zur gleichen Ansicht gelangt wie er: Dass EY "am Ende des Tages haften" muss, so Liebscher im Interview mit BR24. "Die Testate von EY waren ins Blaue hinein gemacht. EY wusste darum, dass die Angaben die sie prüfen, die sie testieren, zum Beispiel die Treuhandkonten, ganz wesentlich sind für die Jahresabschlüsse – hat sich das aber nicht genau angeschaut."
Der Anleger Robert Schuster rechnet mit einem langwierigen Verfahren. Wichtig ist für ihn, dass geklärt werde, wer verantwortlich für den Milliardenschaden ist, und dann dafür geradestehen müsse: "Dann finde ich das okay, dann passt auch der Aufwand."
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Quelle: BR24 22.11.2024 - 06:00 Uhr