Personalmangel - Berliner Bezirke klagen in Brandbrief über völlige Überlastung der Sozialämter

Mi 22.01.25 | 14:57 Uhr | Von Laurence Thio
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Archivbild: Braune Aktenmappen stapeln sich in einer Amtsstube des Sozialamtes in Berlin-Neukölln. (Quelle: dpa/Grimm)
Video: rbb24 Abendschau | 23.01.2025 | Dorit Knieling | Bild: dpa/Grimm

Seit Jahren fehlt es in den Berliner Sozialämtern an Personal: Jetzt warnen alle Sozialstadträte der Bezirke in einem Brandbrief vor dem Zusammenbruch der Versorgung der Schwächsten. Die Sozialsenatorin kündigt Hilfe an. Von Laurence Thio

Jeden Dienstag- und Donnerstagmorgen bildet sich eine lange Schlange vor dem Sozialamt in Lankwitz. Wer vor 8:30 Uhr nicht da ist, bekommt keine Wartemarke mehr und kann im Sozialamt keine Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter beantragen.

50 Wartemarken werden dienstags und donnerstags zu den Sprechstunden herausgegeben. Mehr geht nicht, weil das Sozialamt überlastet ist. Tim Richter, Sozialstadtrat von Steglitz-Zehlendorf (CDU), sagt: "Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben im Schnitt etwa 400 Fälle, angemessen sind aus unserer Sicht etwa 110 Fälle."

Mehr Personal, um sozialen Frieden zu erhalten

Richter hat deshalb mit den elf anderen Sozialstadträten einen Brief an Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) geschrieben. Darin heißt es: "Inzwischen verschärft sich nunmehr bereits seit geraumer Zeit die überstrapazierte Situation in den Ämtern für Soziales auch noch durch eine sich zunehmend verschlechternde Wirtschaftslage, die zu einer weiteren Zunahme von Fällen führt."

Außerdem: Der Zuzug geflüchteter Menschen führe in Berlin zu einer exorbitanten Zunahme von Antragstellungen und erhöhten Fallzahlen. Die Sozialämter fordern in dem Schreiben mehr Personal, "um den sozialen Frieden in unserer Stadt zu erhalten". Nur so könne kurzfristig eine Bankrotterklärung der Ämter für Soziales verhindert werden, so die Sozialstadträte.

Situation in Sozialämtern hat sich weiter verschärft

Die Sozialämter klagen seit längerem über Personalmangel und Überlastung: Im Jahr 2023 haben die Sozialstadträte schon einmal einen Brandbrief geschrieben. Aber passiert ist nicht viel.

Inzwischen habe sich die Situation weiter verschärft, sagt Tim Richter, im Januar hätten viele ihre Nebenkostenabrechnungen bekommen. Es kämen jetzt auch Menschen, die eigentlich nicht zur typischen Klientel gehörten. Richter schätzt, dass er etwa 24 zusätzliche Mitarbeitende im Sozialamt Steglitz-Zehlendorf bräuchte, "um es überhaupt noch schaffen zu können".

Kiziltepe kündigt Maßnahmen an

Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) reagiert auf den Brandbrief und kündigt konkrete Maßnahmen an: "Wir werden die sozialen Wohnhilfen digitalisieren." Dabei geht es im Wesentlichen um die Einführung einer gemeinsamen Datenbank für die Sozialämter in der die vorhandenen Unterbringungsplätze für Wohnungslose erfasst sind. So müssen die Mitarbeitenden im Sozialamt auf der Suche nach freien Unterbringungsplätzen nicht mehr alle Einrichtungen und Stellen einzeln abtelefonieren.

Das entsprechende Gesetz zur "Gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung" befinde sich in der Mitzeichnung. "Ich bin sehr optimistisch, dass die Sozialämter auch dadurch entlastet werden", so die Senatorin.

Sendung: rbb24 Abendschau, 23.01.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Laurence Thio

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48 Kommentare

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  1. 48.

    Genau so ist es (Kommentar 7)Das der Laden überhaupt noch läuft ist denen trotz alledem, immer noch engagierten Mitarbeitenden zu verdanken.Leider wird das meist nicht gesehen. Ich wünsche allen viel Kraft und Zuversicht für diese alltäglichen Herausforderungen. An die Politik schaut hin und schafft Abhilfe!

  2. 47.

    Das Thema hatten wir vor 20 Jahren schon mal. Passiert ist damals nichts und auch heute wird nichts geändert werden. Dabei haben Bezirksbürgermeister/innen und Stadträte große Leitungsstäbe, die oft nur wenig ausgelastet sind.

  3. 46.

    So ein drastischer Schmarren, den Sie da von sich geben. Das dürfen Sie ruhig fordern. Bekommen werden Sie es nicht.

  4. 45.

    Untätigkeitsklage beim Sozialgericht einreichen. Pünktlich nach 3 oder 6 Monaten. Einfach zur Rechtsantragstelle gehen, das Schreiben mitnehmen und die Leute dort machen lassen.

    Oder das Schreiben als Anlage kopieren und selbst formlos ans SG schreiben, was Sie beklagen und wünschen. Geht auch. Wenn nötig, Antrag auf eilige Erledigung mit hineinschreiben.

  5. 44.

    BGE würde Unsummen der Bürokratie sparen und sie direkt den Menschen zukommen lassen.

    BGE als Grundgeld und Steuerfreibetrag für jeden, erst darüber beginnt die Maschinerie.

  6. 43.

    „Und wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt die Berliner Verwaltung so daher“

  7. 42.

    Den Eindruck kann man wirklich gewinnen, dass manches sich erledigt durch lange Bearbeitungszeiten. LAGESO: drei Monate für einen Antrag auf Schwerbeschädigung nach Krebs Erkrankung, für künstliche Hüften und weiteres sechs Monate (Frau 83 Jahre alt) und nach fast acht Monaten die Bitte um Verständnis dass der Fall leider noch nicht fertig bearbeitet ist (künstliches Knie, Polyneuropathie, Diabetes Typ II Bandscheibenvorfälle für 70 jährigen). Die Mitarbeiter tun mir leid, Verständnis habe ich trotzdem nicht.

  8. 41.

    Was soll das bringen? Sobald diese Personen in diese Kassen einzahlen, haben sie auch einen Anspruch auf die entsprechenden Bezüge. Für die bisherigen Einzahler hat das keinen Vorteil.

  9. 40.

    Ich fordere endlich dafür zu sorgen das die FDP Wähler und v.a. Politiker dazu verpflicht werden in die solidarische Renten und Krankenversicherung , Sozialversicherung . Ebenso andere Freiberufler und Unternehmer.

    Dann müssen auch nicht so viele RentnerInnen Grundsicherung beantragen und die Rente wäre sicher.

  10. 39.

    Die Ausgabestelle unserer Steuergelder. Es wird noch schlimmer werden wenn sich nichts ändert.

  11. 38.

    Vor so einem Bildschirm mit Braunscher Röhre habe ich zuletzt vor 20 Jahren gesessen ;-)

  12. 37.

    10 Std-Arbeitstage sind schon fast die Regel und die Anzahl der Arbeitsvorgänge ist trotzdem nicht zu schaffen. Die Akten Anzahl erweitert sich ständig durch Neuanträge. Es bauen sich enorme Rückstände auf. Baut man seine Überstunden ab, fehlt der Arbeitstag. Baut sie nicht ab, verfallen sie. Man dreht sich im Kreis. Die Kolleg*innen fallen durch die Dauerüberlastung aus. Die Sachbearbeitenden sitzen an der "Front" und bekommen die Beschwerden ab, müssen sich rechtfertigen für Dinge, die sie nicht zu verantworten haben. Eine hohe Fluktuation ist die Folge. Kolleg*innen kommen und gehen. Die, die bleiben müssen für unbesetzte Stellen mitarbeiten. Dazu das Platzproblem. Findet man neue Mitarbeitende, fehlen die Arbeitsplätze. Die Folge Arbeitsplatznachverdichtung. 3 bis 4 Mitarbeitende in einem Büro.

  13. 36.

    Vielleicht gibt es einfach zu viele Sozialleistungen und zu komplizierte Prüfungen. Berlin sollte über den Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur vereinfachten Ablehnung von Sozialleistungen einbringen.

  14. 35.

    Was soll ein Brandbrief? Geht’s auch mal sachlich? Immer nur fordern. Das nervt irgendwann. Das alles muss irgendwer bezahlen. Und der Industrie, und deren Beschäftigten. die das könnten, wird per CO2 Abgabe quasi die Luft abgedreht.
    Wenn dann mal alles in Deutschland aus ist, werdet ihr sehen, dass das heilige Klima auch nicht beulst

  15. 34.

    Die Antwort von Frau Kiziltepe klingt jawohl wie Hohn. Erstens dauert Digitalisierung, zweitens wird das ohne Personal nicht viel bringen.

  16. 33.

    Die Probleme in dieser Stadt ändern sich leider seit Jahren nicht, Es wird ein Problem erkannt und dann wird meist das Gegenteil von dem gemacht, was man tun sollte. Jeder schiebt den Fehler anderen zu und wirklich hingeguckt wird nicht, sonst hätte sich schon etwas ändern müssen. Vielleicht sollten die Regierenden mal eine Woche am normalen Leben teilhaben, um zu spüren wie sich das anfühlt.

  17. 32.

    Danke Bernd, Sie haben vollkommen recht. Die in Berlin geltenden Personalverordnungen entbehren in einigen Bereichen jeder Grundlage.

  18. 31.

    Was in dieser Stadt und diesem Land abgeht ist unbegreiflich. Was muss hier nur passieren, dass sich endlich etwas in die richtige Richtung ändert.
    Es ist einfach nur unverschämt, wie unsere Politiker reihenweise versagen.
    Bin gespannt, wie lange das noch gut geht.

  19. 30.

    Als potentiellen Leistungsempfänger wurde ich eher nach Brandenburg umziehen. Da ist alles viel entspannter und einfacher als in Berlin.

  20. 29.

    Ganz aktuell: Übergriffe psychisch Kranker erschüttern das Land. Und der Maßregelvollzug in Berlin? Der RBB berichtete von unhaltbaren Zuständen. Seit Jahren tut sich nichts und die Politik stellt sich tot. Chefarztposten werden in der Familie des zuständigen Staatssekretärs vergeben. Patienten werden bereits ins Haftkrankenhaus verlegt… was ist in dieser Stadt nur los?