Kleingärten an A100-Baustelle - Ein Ende zwischen Wehmut, Plünderei und Abfindung

Fr. 04.04.25 | 21:27 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Der Abriss der maroden Ringbahnbrücke der A100 wird vorbereitet. Im Vordergrund ein Kleingarten, im Hintergrund das ICC. (Quelle: dpa/Sebastian Gollnow)
Video: rbb|24 | 04.04.2025 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: dpa/Sebastian Gollnow

Weil die A100-Brücke ersetzt wird, müssen mehrere Berliner Kleingärtner weichen. Teilweise enden damit jahrzehntealte Laubenpieper-Traditionen. Groll gegen die Autobahn GmbH gibt es zwar nicht - gegen Plünderer aber sehr wohl. Von Sebastian Schöbel

"Wir können das noch nicht so richtig realisieren." Theresa Hegener steht in ihrem Kleingarten und schaut auf das, was sie in den vergangenen fünf Jahren aufgebaut hat. Die Aussicht könnte sicherlich schöner sein, direkt hinter den Büschen türmt sich das Autobahndreieck Funkturm auf. Den Garten aufgeben wollen sie und ihr Mann dennoch nicht. "Unsere Kinder haben vor vier Wochen zu Hause angefangen, irgendwelche Pflanzen zu säen, die jetzt ins Hochbeet eingepflanzt werden sollten." Ihr zwölfjähriger Sohn Piet hält den weißen Plastikeimer, in dem seine Mutter ein paar Pflanzen retten will – obwohl sie gar nicht weiß, wo sie die einpflanzen soll. "Jeden Morgen, wenn ich die gieße, denke ich mir so: Wofür eigentlich?"

Der Kleingarten von Familie Hegener ist einer von acht, die dem Abriss und Neubau der Ringbahn- und der Westendbrücke weichen müssen. Dass das noch in dieser Woche passieren muss, habe sie erst am Dienstag erfahren. "Das war schon heftig." Irgendwo zwischen Arbeit und Familienleben musste der Kleingarten aufgelöst werden. Den Pachtvertrag unterschrieb Theresa Hegener genau zum Beginn der Coronapandemie, eine Woche bevor die Schulen erstmals geschlossen wurden. "Das war für die Kinder das größte Geschenk überhaupt." Das Virus überstanden sie an der frischen Luft im eigenen Garten. Nun zwingt sie die Autobahn zurück in die Wohnung.

So einen ideellen Wert kann man nicht ersetzen. Hier hängen Generationen dran.

Dieter Kobinger, Kleingärtner

Pächter werden entschädigt

Ein paar Meter weiter ziehen zwei Männer auf einer Sackkarre eine grüne Regentonne über den schmalen gepflasterten Weg zwischen den Kleingärten hindurch. "Schnell weg, hier wird alles abgerissen", ruft Kleingärtner Ilhan Ata. "Wir rennen um unser Leben. Als würden die Leute vor einem Brand wegrennen." Dieter Kobinger schaut den beiden stumm hinterher. Der 78-Jährige muss ebenfalls seinen Kleingarten aufgeben, nach vierzig Jahren. "1965, als die Autobahn fertig war, hat meine Mutter den Garten bekommen", erzählt Kobinger, "weil sie bei der Bahn war". Auf einem Tor aus Maschendraht hängt bis heute ein Schild mit der Aufschrift "Bahn-Landwirtschaft Bezirk Berlin e.V. Unterbezirk Charlottenburg". Kobingers Sohn Björn packt die letzten Habseligkeiten zusammen. "So einen ideellen Wert kann man nicht ersetzen. Hier hängen Generationen dran."

So emotional der Abschied für die acht betroffenen Kleingärtner am Autobahnkreuz ist, so friedlich geht er vonstatten. Was wohl auch mit dem Auftreten der Autobahn GmbH zu tun hat. "Es lief alles okay", lobt Lutz Mittelstädt, Mitglied im Vorstand in der Kleingartenkolonie. In kleiner Runde hätten hochrangige Vertreter der Autobahn GmbH den Gärtnern ein Angebot gemacht, das die nicht ausschlagen konnten. "Ein goldener Handschlag", sagt Mittelstädt, und meint das gar nicht despektierlich. Man sei sich schnell einig geworden, "die betroffenen Pächter sind gegangen ohne ein böses Wort". Einige von ihnen berichten dem rbb, die Autobahn GmbH habe ihnen sogar beim Abtransport ihrer Sachen geholfen. Über die Höhe der Entschädigung will allerdings niemand reden. Mittelstädt verrät nur so viel: "Es wurde nicht nur der Wert der Parzelle bewertet, sondern auch das, was draufsteht."

Gegenstände aus Gartenhütte gestohlen

Sorgenfrei sei die Kleingartenkolonie mit der Aufgabe von acht Parzellen aber nicht, sagt Mittelstädt. Er holt einen Bebauungsplan aus der Tasche: Darauf zu sehen ist die Neuplanung des Autobahndreiecks Funkturm, das in den kommenden Jahren zum Teil komplett umgebaut und neu konzipiert werden soll. "Da werden eine Menge Parzellen wegfallen", sagt Mittelstädt. Rund 270 Kleingärten hat die Kolonie. Wie viele von ihnen am Ende übrigbleiben, ist ungewiss. "Das ist das Damoklesschwert, das über uns hängt", sagt Mittelstädt.

Für Dieter Kobinger war es das mit der Laubenpieperei. "Will ick nich' mehr", sagt er etwas resigniert. "Das war hier mein Hobby, mein Garten." Theresa Hegener hingegen ist wütend – allerdings nicht so sehr auf die Autobahnbaustelle. Verärgert ist sie darüber, dass ihr Garten seit der Ankündigung der Räumung von Fremden regelrecht geplündert wurde. Aus der roten Gartenhütte wurden Gegenstände gestohlen, Unbefugte hatten sich Zutritt verschafft. Dass sie eine Entschädigung bekommt, ist nur ein kleines Trostpflaster. "Ja, wir kriegen Geld", sagt die dreifache Mutter. "Wir hätten lieber einen Garten."

Sendung: rbb24 Abendschau, 04.04.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

40 Kommentare

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  1. 40.

    Ich finde den Bericht über die 108 Milliarden Euro für Berlin super. Da sind dann nicht mal Wohnungsbau und sozialer Wohnungsbau enthalten. Berlin muss zur Refinanzierung erheblich die Kosten steigern, wird damit immer unattraktiver für Normalverdienende. Ich persönlich kenne genug Familien, die Berlin ob Wohnungsnot und Verwahrlosung der Stadt den Rücken kehren. Das sind Lehrer, Dozenten, Akademiker eben.
    Dass man die Brücke flott hinbekommen muss, ist nachvollziehbar. Autobesitzer werden in Bälde massiv zur Kasse gebeten. Sie werden die Löcher im Haushalt stopfen müssen. Es wird zu Rückbau von Rad- und Fußwegen kommen.

  2. 39.

    Wo ist das Problem?

    ALL die "trauernden Betroffenen" haben die zuständigen Parteien und Politiker selbst demokratisch und mehrheitlich in Amt und Würden erwählt ind ERMÄCHTIGT.

    Ich wüsste auch nicht´s davon daß es große Proteste gegeben hätte und die "schuldigen" Politiker und Beamten sowie diejenigen korrupten Kleingärtner die "reich geworden sind" massenweise mit HIlfe hoher GARTENPFLANZEN und stärker Schnüre mit "Hang them HIgh" belohnt worden wären.

    Thomas Specht

  3. 38.

    Ihr Kommentar ist schon sehr anmaßend...Sie kennen doch gar nicht die körperliche Verfassung dieses Mannes . Meine Großmutter hat mit stolzen 87 Lenzen noch ihren 900qm großen Garten mit Haus eigenhändig gepflegt und in Schuß gehalten . Jeden Morgen um 6.00 Uhr war sie zum Tautreten auf dem Rasen, dies war ihr Lebenselexier, danach konnte der Tag beginnen ! Noch Fragen ?

  4. 37.

    Vielleicht sollte man die Eisenbahn der Autobahn unterstellen,denn es ist schon verwunderlich wie schnell etwas geschieht,wenn die Autobahn auf Bahnstrecken oder Vahngrund für Kleingärten zugreift.Wenn die Bahn das selbst getan hätte,wäre wahrscheinlich erst einmal mindestens 3 Monate Stillstand gewesen.
    Auch deshalb will wohl der Miteigentümer( Niedersachsen,SPD regiert) von VW keinesfalls ein vom DB Konzern unabhängiges Netz im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben.

  5. 36.

    Die Armen. Solche Kleingartenanlagen sind sehr wichtig für die Stadt! Auch, damit Kinder den Zugang zur Natur erhalten. Viele können ja Buchen nicht von Eichen oder Kiefern unterscheiden. Kann man nach dem Neubau die Parzellen nicht an die Pächter zurückgeben?

  6. 35.

    Ich stimme Ihnen völlig zu, wie empathielos machen Leute hier schreiben. Dieser Neid ist nicht mehr auszuhalten. Auch wenn diese Gärtner eine Abfindung bekommen, es ist ihr Refugium, sie haben das jahrelang gehegt und gepflegt. Ich könnte auch nicht an der Autobahn mir ein Garten vorstellen. Aber man hat sich eben arrangiert mit der Autobahn. Und ältere Leute werde so schnell keinen Garten mehr bekommen. In Berlin einen Garten zu pachten ist nicht mehr so einfach.
    Was ich auch schlimm finde ist das mit Plünderungen das tut weh.

  7. 32.

    Ich vermisse im Beitrag eine Info WO und bis WANN der Senat den Betroffenen andere Kleingärten zur Verfügung stellt.

  8. 31.

    Ein großes Lob an die Verantwortlichen!
    Obwohl jetzt alles schnell gehen muss und sonst Jahre dauert, zügige Umsetzung, professioneller und respektvoller Umgang mit allen Beteiligten.
    Berlin kann auch Projektmanagement, bis jetzt zumindest.
    rbb24 Danke für den Bericht!

  9. 30.

    Achtung die acht Kleingartenparzellen waren ein größerer Umweltschutz als alle Neubauverkehrsreduzierungsmaßnahmen.
    Stopp die Brückenbaustelle reparieren, auf der jahrelang nichts geschah. Erst das Problem Ringbahnbrücke am Dreieck Funkturm lösen; wenn Stadtautobahn wieder funktioniert, gibt es auch nicht mehr so viel Nord Süd Verkehr bei Anliegern und auf dem Tempelhofer Damm. Und an alle Umweltretter, die den Verkehr reduzieren wollen: jede Baustelle ist eine enorme Umweltzerstörung; tabula rasa und totale Pflanzenvernichtung, Bodenverdichtung, CO2 Beton-Bauschadstoffe, Baumüllplastik und Bodenverschmutzung! Nicht Neubau, Erhaltungsmaßnahmen für eine staufrei-flüssige Verkehrsinfrastruktur ist der beste Umweltschutz!

  10. 29.

    Danke für Ihren Hinweis, dass es sich um ,lediglich' acht Kleingärten handelt!
    Manch einer könnte denken, es handle sich um hunderte ...

    Warum man jedoch nicht diese acht Kleingärten vor Plünderung schützen kann, bleibt wohl ein ,Berliner Rätsel'.

  11. 28.

    Veränderung tut manchmal eben auch weh. Aber das gab es schon immer und wird es immer geben, nicht nur in der Stadt. Warum hier einige so tun, als würde die Welt untergehen, weil 8 Kleingärtner eine gute Entschädigung bekamen, kann ich nur damit erklären, dass versucht wird, diese Situation zu Instrumentalisieren um für Rechte zu werben.

    Geht es nich billiger?

  12. 26.

    Ich meide Menschen, die negative Energie aussenden, meist ist da auch nichts Besseres zu finden.

  13. 25.

    Sie klingen nicht ängstlich, sondern abwertend und hämisch, Katastrophen herbei schwörend um andere aufzuhetzen, mehr ist es doch nicht, so vom Sofa aus.

    Haltung und Stopp zur Abwertung der besten Demokratie dieser Erde, 2% der Menschen haben das Glück, so leben zu können wie wir.

    Ich kann Ihre Unzufriedenheit nicht verstehen, vielleicht mal aus der Echokammer austreten.

  14. 24.

    Das mit der "frische Luft schnappen an der Autobahn“ empfand ich auch zum schmunzeln.
    Abgesehen von der sicherlich erhöhten Lärmbelastung wird auch das Verzehrbeabsichtigte selbstangepflanzte ein eigenes Aroma gehabt haben.
    Anscheinend haben die Grünen, wie auch Berlin-Autofrei, diese Mitbürger nicht im Sinn.

  15. 23.

    Rechtsextremismus ist ja nun einmal nicht ungefährlich für unsere Freiheit, aber das wussten Sie bestimmt. Feinde der fdGO sind übrigens keine Opfer, Opfer sind immer die, die darauf hereinfallen.

  16. 22.

    Rechtsextremismus ist ja nun einmal nicht ungefährlich für unsere Freiheit, aber das wussten Sie bestimmt. Feinde der fdGO sind übrigens keine Opfer, Opfer sind immer die, die darauf hereinfallen.

  17. 21.

    Für manche muß es anscheinend doch ein Glück (oder feuc... Traum) sein, das es die AfD gibt.

    Aber ich empfehele mal die Reportage von Bernhard Grzimek bei einer Loriot-Sendung über die Steinlaus!
    Allen Prognosen zum Trotz ist diese nähmlich nicht ausgestorben.

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