Der ehemalige Güterschuppen im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg, im Hintergrund die Emmauskirche, aufgenommen im August 2024. (Quelle: rbb24/Karo Krämer)

Berlin Interview | Sozialarbeiterin über Drogenarbeit: "Es ist ein großer Schwung von Abhängigen in den Görlitzer Park abgewandert"

Stand: 25.08.2024 10:36 Uhr

Seit Juli steht ein Konsummobil vom Verein Fixpunkt im Görlitzer Park, die Nachfrage ist groß. Sozialarbeiterin Astrid Leicht erklärt, warum sich der Drogenkonsum im Park verschärft hat - und warum der geplante Zaun aus ihrer Sicht keine Lösung ist.

rbb|24: Frau Leicht, seit wann bemerken Sie in der Drogenszene einen Anstieg beim Crack-Konsum?
 
Astrid Leicht: Das hat vor sechs, sieben Jahren angefangen, aber das wirkt sich lokal sehr unterschiedlich aus. Es gibt Orte wie den Stuttgarter Platz in Charlottenburg, an dem so gut wie kein Crack konsumiert wird. Am Leopoldplatz dagegen ist die Substanz sehr dominant. Es wird auch immer noch viel Heroin konsumiert, und es wird auch Kokain injiziert.
 
Im Görlitzer Park haben wir seit Anfang Juli ein Konsummobil, in dem auch Crack zubereitet und inhaliert werden kann. Aber wir haben festgestellt, dass dort überwiegend Kokain gespritzt wird. Es gibt sozusagen kleine Soziotope mit unterschiedlichen Gruppen mit unterschiedlichen Konsummustern.

Inwieweit hat sich der Drogenhandel speziell im Görlitzer Park verändert?
 
Früher waren es mehr organisierte Einzelhändler, jetzt eher schon organisierte Strukturen - und in den letzten Jahren ist tatsächlich das Portfolio erweitert worden. Früher war es eigentlich nur Cannabis. Wenn man etwas anderes haben wollte, musste man bestellen.
 
Jetzt sind hier eigentlich alle Drogen verfügbar, eben auch Heroin und Kokain. Das hat sich entsprechend der Nachfrage der Nutzer:innen entwickelt, die sich jetzt hier aufhalten oder die hierher kommen.

Wie hat sich Ihr Angebot im Görlitzer Park in den letzten Jahren verändert?
 
Wir sind seit 2016 mit einem Kontakt- und Beratungsmobil im Park für Menschen aus Subsahara-Afrika, die sich verstärkt seit gut zehn Jahren im Park aufhalten - und von denen einige in den Cannabis-Handel involviert sind oder waren. Dabei geht es um Sozialarbeit, aber auch um eine medizinische Basisversorgung. Das sind zwar auch Menschen, die in der Regel Drogenprobleme haben, aber nicht in der Art, wie wir das bei Heroin- und Crackabhängigen kennen.
 
Im letzten Sommer hat die Zahl der Konsumenten, die sich im Park aufhalten, massiv zugenommen und ist seitdem stetig gestiegen. Es kamen immer mehr Drogenkonsumenten zu dem Mobil und wir haben gemerkt, dass die Menschen aus Subsahara-Afrika eher wegbleiben.
 
Wir hatten den Impuls, unser Angebot für Menschen aus Afrika aufrechtzuerhalten und daneben ein Angebot für die Menschen zu machen, die Drogen konsumieren. Deswegen gibt es seit letztem Oktober zusätzlich ein Kontakt- und Beratungsmobil für Drogenabhängige, das sich nicht explizit an Menschen an Subsahara Afrika richtet. Und seit Juli dieses Jahres gibt es auch das Konsummobil. Insgesamt gibt es jetzt also zwei Kontakt- und Beratungsmobile, davon eines speziell für Menschen aus Subsahara Afrika, und ein Konsummobil.

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Wie erklären Sie sich, dass sich immer mehr Menschen mit schwerwiegenden Drogenproblemen im Park aufhalten?
 
Das geht einher mit der Polizeipräsenz, die im Zuge der Eröffnung der Polizeiwache am Kottbusser Tor verstärkt wurde. Es ist ein großer Schwung von Abhängigen vom Kotti in den Görlitzer Park abgewandert. Später hat sich das durch polizeiliche Maßnahmen auf der U8 nochmal verstärkt - und auch die BVG wurde dort im Frühjahr aktiv. Dazu kommt die Polizeiarbeit, die jetzt am Leopoldplatz stattfindet.
 
Man trifft hier im Görlitzer Park jetzt sehr viele Leute von der U8, vom Leopoldplatz und vom Kotti.

Der Druck des Elends hat im letzten und in diesem Jahr noch mal zugenommen.

Also ist das ein Verdrängungseffekt?
 
Ja, es ist eine reine Verdrängung. Das ist natürlich keine Lösung und führt dazu, dass die Nachbarschaften noch mehr belastet werden. Wir haben selbst seit 2012 unser Büro in der Ohlauer-Straße - und der Druck des Elends hat im letzten und in diesem Jahr noch mal zugenommen.

Das Konsummobil ist seit Juli im Görlitzer Park. Wie läuft es konkret ab, wenn Menschen zu Ihnen kommen?
 
Man muss sich erstmal identifizieren und seinen Namen nennen. Die Daten nehmen wir mit unserem Laptop auf. Es ist also nicht anonym, aber die Daten bleiben bei uns.

Konsummobil von Fixpunkt (Quelle: rbb/Karo Krämer)

Das Konsummobil von Fixpunkt

Warum erheben Sie die Daten?
 
Wir haben die Betriebserlaubnis vom Land Berlin, das uns auferlegt, diese Daten zu erheben. Da geht Berlin tatsächlich über die Notwendigkeit des Betäubungsmittelgesetzes hinaus. In anderen Bundesländern wird nicht nach Namen gefragt.

Und wie geht es nach der Datenerhebung im Konsummobil weiter?
 
Wenn die Menschen schon bei uns bekannt sind und einen Nutzungsvertrag abgeschlossen haben, sagen sie an, wie sie konsumieren, also ob sie spritzen wollen oder rauchen. Sie bekommen von uns alle Utensilien, die sie dafür brauchen - außer der Substanz. Die Substanzen müssen sie uns aber auch vorzeigen. Dann bekommen sie zum Beispiel Pfeifen für den Crack-Konsum oder Spritzen für Kokain oder Heroin. Zu den Spritzen bekommen sie einen Filter, mit dem die Substanz beim Aufziehen in die Spritze von groben Fremdstoffen befreit werden kann. Dazu kommt zum Reinigen ein Alkohol-Tupfer. Damit gehen die Leute dann an einen der insgesamt vier Konsum-Plätze im Mobil. Eine Kollegin oder ein Kollege bleibt dabei, achtet auf die Person und spricht mit ihr.

Symbolbild:Eines der mobilen sicheren Drogenkonsumfahrzeuge von Fixpunkt e.v.(Quelle:imago images/F.A.Schaap)
Drogenkonsummobil im Görlitzer Park im Einsatz

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Das Konsummobil für einen sicheren Konsum ist das eine. Wie helfen Sie den Menschen, um vielleicht auch aus der Drogensucht oder Wohnungslosigkeit auszusteigen?
 
Im Vordergrund unserer Arbeit mit den Mobilen steht tatsächlich die Überlebenshilfe und die Vermeidung und Minderung von schweren Schäden, die durch die Abhängigkeit von illegalisierten Drogen, die Repression und das Leben auf der Straße für die Konsumierenden und für die Nachbarschaften entstehen. Wir geben Getränke oder Essen aus, aber auch sterile Spritzen, Entsorgungsbehältnisse und Notfall-Equipment wie Rettungsdecken und Beatmungstücher. Sehr wichtig und nachgefragt sind aber auch Gespräche mit Sozialarbeitenden und sprachmittelnden pädagogischen Mitarbeitenden. Wir helfen bei akuten Krisen und geben Informationen zum Gesundheitsschutz, zur medizinischen Versorgung, zu Notschlafstellen, Drogenhilfe-Anlaufstellen. Wir beraten auch bei behördlichen Angelegenheiten aller Art.
 
Grundsätzlich versuchen wir, die Menschen zu anderen Hilfseinrichtungen außerhalb des Parks zu vermitteln. Wir selbst können bei der hohen Anzahl an Rat-Suchenden, keine intensive Einzelfall-Sozialarbeit leisten. Unser Anliegen ist, dass die Menschen den Park weiterhin zum Aufenthalt nutzen können, aber nicht mehr notgedrungen dort Drogen konsumieren oder schlafen.

Archivbild:Blick in den Görlitzer Park am 04.07.2024.(Quelle:picture alliance/dpa/J.Kalaene)
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Sie haben schon verschiedene Verdrängungseffekte miterlebt. Wie ist Ihre langfristige Perspektive hier für den Görlitzer Park?
 
Wir haben uns immer dafür stark gemacht, dass auch Menschen in sozialen Schwierigkeiten diesen Park wie alle anderen Menschen nutzen können. Es braucht ein Konzept, um die verschiedenen Nutzergruppen nebeneinander existieren zu lassen. Das muss sozialverträglich sein, und es darf keine Übernutzung stattfinden.
 
Das ist kein Selbstläufer – es funktioniert nur mit einer guten Abstimmung und Ausbalancierung, angefangen beim Saubermachen, mit den Leuten reden, Sozialarbeit, aber auch ordnenden oder auch repressiven Maßnahmen. Mal braucht man mehr vom einem, mal mehr vom anderen - und man muss die Menschen mitnehmen, die es betrifft.

Was halten Sie von dem Plan, den Park nachts abzuschließen?
 
Bisher konnte mir noch niemand erklären, was das bringen soll. Die Drogenszene spielt sich sowieso überwiegend am Tag ab, also Konsum und Handel. In der Nacht wird der Park - vor allem in den Sommermonaten - von obdachlosen Menschen zum Nächtigen genutzt. Und da ist natürlich klar, diese Menschen würden den Park nicht mehr nutzen können zum Schlafen, sondern dann entweder in den Grünstreifen liegen oder in die Hauseingänge kommen.

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interveiw führten Mara Nolte und Vanessa Klüber, rbb|24.