
Berlin Konzert | Mø im Cassiopeia: Erst ganz nah, dann plötzlich weg
Die dänische Sängerin Mø hat einen der erfolgreichsten Popsongs der Welt gesungen. Am Dienstag stand sie in Berlin im Club Cassiopeia auf dem RAW-Gelände auf der Bühne. Er war natürlich ausverkauft. Die Show nahm ein plötzliches Ende. Von Bruno Dietel
Das ist Understatement mit Ansage: Mø, eine der bekanntesten und erfolgreichsten skandinavischen Popsängerinnen, hat sich für ihre Show in Berlin das Cassiopeia ausgesucht. Oder hat sie es sogar eher auserkoren? Denn Mø hat eine Mission: Sie spielt gerade europaweit Konzerte, unter anderem in London, Stockholm oder Amsterdam, aber nicht in möglichst großen Hallen oder da, wo es eben gerade reinpasst, sondern - wie sie es selbst formuliert - in "iconic venues".
Ein ikonischer Ort, das ist schon eine ziemliche Würdigung für das Cassiopeia, aber durchaus verdient, ist es doch mit seiner 20-jährigen Geschichte einer der beständigsten Orte für Subkultur auf dem RAW-Gelände an der Warschauer Straße. Der vergleichsweise kleine Laden ist bei der Mø-Show mit etwa 300 Leuten komplett voll, geschwitzt wird schon, bevor das Konzert überhaupt angefangen hat.

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Dark-Wave-Party gegen die Konformität
Mø hat für diesen Abend eine Dark-Wave-Party mit Punk-Attitüde versprochen – und oben drauf einen "Anti-Club-Ethos". Das will sie vermutlich als Sympathie gegenüber den kleinen und schrammeligen Clubs verstanden wissen, die noch gegen den Strom bürsten. Kurz gesagt ist dieser "Anti-Club-Ethos" Møs Ansage gegen die allgemeine Konformität, die man der Dänin trotz milliardenfach gehörter Songs und globaler Hits durchaus abnimmt. Mø ist offenbar auf Retro-Kurs, sowohl was die Show als auch ihre Songs und das im Mai kommende Album "Plæygirl" angeht: Angefangen hat sie in den 2010ern in der Punk-Szene von Brooklyn, dementsprechend düster, fast schon pathetisch ist ihr Auftritt: Pechschwarze, strähnige Haare, ein kalkweißes Gesicht und schwarz geschminkte Augen, das hat fast schon Emo-Vibes.
Lichterbäume im Scandi-Pop-Club
Mø könnte mit ihren langen schwarzen Handschuhen ebenso die Frontsängerin einer 90er-Jahre-Grunge-Band sein. Wenn da nicht der feine Unterschied wäre, dass im Cassiopeia bei Mø eben keine verzerrten Gitarren, sondern hypnotische skandinavische 80er-Synthie-Beats pumpen, die von einem Live-Schlagzeuger am Bühnenrand gespielt werden. Sehr auffällig: Das Licht ist außergewöhnlich arrangiert, die Scheinwerfer hängen nicht wie sonst über der Bühne, sondern sind wie Äste an Bäumen an den Aufhängungen montiert. Und die stehen wiederum mitten auf der Bühne. "Plæygirl", der Titelsong des neuen Mø-Albums ist dann viel mehr elektronisch verspielte Ballade als die eigentlich versprochene Dark-Wave-Party, und Song für Song gleitet der Abend Richtung Scandi-Pop-Club.
Milliardenhit "Lean On" inmitten der Fans
Mit jedem einzelnen Strobo-Blitz scheint Mø eine neue Bewegung abliefern zu wollen, dann stößt sie bei einem Song mit weit aufgerissenen Augen gellende Schreie aus, als ob es um Leben und Tod ginge. Zwischendurch schimmert dann schon die Routine der skandinavischen Popgröße durch: Mø schüttelt Hände ihrer Fans in der ersten Reihe, bedankt sich für das schöne Wiedersehen in Berlin (2022 war sie zuletzt in Berlin im Kesselhaus) und landet dann schließlich nach einem fast schon routinierten Stagediving mitten im Cassiopeia. Mø ist überwältigt von der "fire energy" des Berliner Publikums, wohlgemerkt an einem Dienstag, wie sie hervorhebt. Inmitten der 300 Fans singt sie ihren größten Hit überhaupt - "Lean On" gemeinsam mit Major Lazer wurde milliardenfach gestreamt, ist einer der erfolgreichsten Popsongs weltweit. Das ist ein wunderschöner, ganz nahbarer Moment in diesem kleinen Club in Friedrichshain.
Erst nahbar, dann plötzlich verschwunden
Nach dieser fast schon intimen Szene singt Mø noch ein zurückgenommenes, außergewöhnliches Cover vom EDM-Song "Wake Me Up" des 2018 verstorbenen DJs Avicii [youtube.de]. Der Song ist vorbei, Mø bedankt sich und verschwindet nach nicht einmal 50 Minuten Konzert. Ein weiterer Song startet dann, ihre Stimme kommt nur noch vom Band. Als sie auch nach der zweiten Strophe nicht wieder auf der Bühne erscheint, wird allen klar, sie ist jetzt weg, da kommt nichts mehr, keine Zugabe. Dann läuft Mø plötzlich an der Menge vorbei in den Backstage-Bereich und lässt ihre Fans ganz ungläubig und ratlos stehen. Gerade noch stand sie inmitten der Besucher und auf einmal kann sie nicht schnell genug raus sein. Das ist mindestens irritierend.