Missbrauch in der evangelischen Kirche - "Die Sensibilisierung für das Thema hat enorm zugenommen"

So 26.01.25 | 10:01 Uhr
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Archivbild: Die Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg - schlesisch Oberlausitz (EKBO) tagt in der St. Bartholomäuskirche in Berlin. (Quelle: dpa/Burgi)
Audio: rbb24 Inforadio | 22.01.2025 | Interview mit Monika Weber | Bild: dpa/Burgi

Vor einem Jahr hat die evangelische Kirche eine Studie über sexualisierte Gewalt vorgestellt. Die Kirche musste reagieren und erstellte Schutzkonzepte. Wie diese umgesetzt werden, erklärt die Berliner Theologin Monika Weber.

rbb|24: Frau Weber, die Ergebnisse der Forum-Studie vor einem Jahr haben bestätigt, dass Missbrauch von Schutzbefohlenen kein rein katholisches Problem ist. Das dürfte Sie nicht überrascht haben, oder?

Monika Weber: Nein, das war für uns, die wir etwas tiefer in der Materie sind, keine Überraschung. Dafür bin ich schon viel zu lange im kirchlichen Kontext unterwegs und habe in den letzten zehn Jahren einiges an Fällen mitbekommen.

Zur Person

Monika Weber im rbb-Interview. (Quelle: privat)
privat

Monika Weber ist Ansprechperson beim Verdacht auf sexualisierte Gewalt/Missbrauch und Grenzverletzungen im Kirchenkreis Berlin Stadtmitte [www.kkbs.de]. Die Theologin und Notfallseelsorgerin war 2019 die erste unabhängige Ansprechperson für Betroffene von Missbrauch und sexualisierter Gewalt innerhalb der Evangelischen Kirche und Diakonie Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz.

2019 waren Sie die erste unabhängige Ansprechperson für Betroffene von Missbrauch und sexualisierter Gewalt innerhalb der Evangelischen Kirche und Diakonie Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. Das haben Sie aber nicht lange gemacht.

Das habe ich knapp zwei Jahre gemacht und es beendet, als ich gemerkt habe, dass die Fälle mich auch nachts beschäftigt haben, dass sie mich emotional viel zu viel mitgenommen haben. Ich habe die professionelle Distanz für mich nicht hinbekommen und deswegen gesagt, das muss jemand machen, der das besser hinbekommt.

Wie sieht Ihre Arbeit heute aus?

Ich bin mittlerweile in einem Präventionsteam mit zwei anderen Personen aus dem Kirchenkreis Berlin. Wir schulen unser Schutzkonzept, damit alle Haupt- und Ehrenamtlichen die Inhalte verstehen und umsetzen können.

Nach welchen Vorgaben arbeiten Sie?

Das sind die Vorgaben des Kirchengesetzes, die aus fünf Bausteinen bestehen: ein Verhaltenskodex, eine Risikoanalyse, ein Beschwerdemanagement, die Öffentlichkeitsarbeit und am Ende nochmal ein Beschwerdeverfahren, wo wir Menschen ermutigen, wenn ihnen etwas passiert ist, dass sie sich an die entsprechenden Stellen wenden, so dass es dort aufgearbeitet wird.

Wie kann man mit einem Schutzkonzept zur Prävention von sexualisierter Gewalt einer Kirchengemeinde gerecht werden?

Ich greife mal zwei Themen auf: einmal das Personal. In der Risikoanalyse wird zum Beispiel gefragt, ob alle Mitarbeitenden - also haupt- und ehrenamtliche - zum Schutzkonzept geschult wurden. Mussten beispielsweise alle ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen? Das etwa sind Fragen, die jede Gemeinde anders beantwortet.

Dann haben wir einen großen Block zum Thema "Räume", wo ich zum Beispiel in den Keller gehe und gucke: Sind hier Bewegungsmelder vorhanden? Kann hier jemand mit jemandem verschwinden? Werden Menschen, die uns nicht bekannt sind, angesprochen, wenn sie in unsere Einrichtungen kommen? Können Menschen ungesehen, zum Beispiel über den Garten, in unsere Einrichtung gelangen? Eine schöne Frage ist immer: Wer hat denn eigentlich alles einen Schlüssel? Menschen, die schon lange nicht mehr mitarbeiten, haben oft immer noch einen Schlüssel. Was aber bedeutet das? - Die könnten abends in die Räume gehen und dort irgendwas tun.

Wie werden die Mitarbeitenden einer Kirchengemeinde für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sensibilisiert?

Da gibt es unterschiedliche Schulungsformen. Zum Beispiel sensibilisiere ich alle dazu, wie sie eine professionelle Distanz zu Kindern halten müssen. Das mache ich in der großen Schulung für alle. Kirche ist ja oft ein Ort, wo schnell mal jemand umarmt oder auf den Schoß gesetzt wird.

Dann gibt es Schulungen, zum Beispiel für die Mitarbeitenden aus dem Kindergottesdienst oder für die Konfirmandenarbeit. Dort wird hauptsächlich dazu gearbeitet, wie wir Kinder stärken können, sehr schnell Grenzen aufzuzeigen, wenn ihnen etwas zu eng wird und wo sie sich hinwenden können, wenn ihnen tatsächlich Leid passiert ist.

Ihr Fokus liegt auf der Prävention. Als Schutzbeauftragte sind Sie aber weiterhin auch Ansprechpartnerin für Menschen, denen etwas komisch vorkommt oder die selbst von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Womit kommen Menschen zu Ihnen?

Ich habe immer wieder hauptamtliche Mitarbeitende, die sich sorgen, ein Bauchgefühl haben, ob da irgendwas nicht stimmt. Ich gehe mit ihnen die entsprechenden Gedanken durch, die sie zu dem Fall haben. Als erstes sage ich immer: 'Ich bin jetzt an deiner Seite. Wir sind jetzt zu zweit hier.' Die Fragen um Kinderschutz oder auch Allgemeinschutz ist immer ein Vier-Augen-Prinzip.

Die Rückmeldungen sind, dass das sehr entlastend ist, dass Menschen nicht mehr alleine mit diesen Fragen bleiben, wenn sie sich Sorgen um jemand machen. Das kann aber auch dazu führen, dass ich rate, eine Anzeige zu stellen, weil wir das nicht mehr alleine regeln können, sondern wo wir staatliche Unterstützung brauchen und wozu wir auch verpflichtet sind.

In den letzten Jahren wurde teilweise gesagt: 'Dass kann ich mir gar nicht vorstellen, das ist doch so eine angesehene Person.' Es ist aber ein großer Lernprozess deutlich zu erkennen, dass den Menschen erstmal geglaubt wird.

Können Sie an einem Beispiel erklären, was passiert, wenn jemand beschuldigt wird?

Wir haben zwei verschiedene Verfahren. Wenn zum Beispiel der Vorwurf sexualisierter Gewalt im Raum steht, gibt es bei uns als allerersten Schritt neben der Dokumentation die Freistellung vom Dienst. Das heißt, die Person wird von uns informiert, dass sie für die nächste Zeit, bis die Vorwürfe geklärt, bestätigt oder verworfen wurden, nicht mehr im Dienst sein kann. Das ist ein harter Schritt. Das ist keine Vorverurteilung. Wir sind da immer noch bei der Unschuldsvermutung. Aber wenn jemand mit diesen Vorwürfen konfrontiert wird, kann er nicht mehr im Arbeitskontext sein. Es könnten Zeugen bestochen werden, Materialien versteckt werden.

Dann wird geprüft: Gehen wir damit zur Polizei? Wir müssen sofort das Konsistorium [Anm. d. Red.: Rechts- und Dienstaufsicht der evangelischen Kirche] über solche Fälle informieren, weil das oft auch mit Rechtsfragen verbunden ist.

Ich bin immer mit dabei und unterstütze aber eher fachlich und auch menschlich, weil das eine große Belastung für die ist, die durch dieses Verfahren gehen müssen.

Bislang hatte man in den Kirchen den Eindruck, der Schutz der Täter stehe über dem der Betroffenen. Was brauchen denn Betroffene von sexualisierter Gewalt, um sich aufgehoben zu fühlen?

In der Zeit, auch als ich noch als externe Ansprechperson tätig war, habe ich immer wieder erlebt, dass es für die betroffenen Menschen extrem wichtig ist, dass ihr Leid anerkannt wird. Dass klar ausgesprochen wird, dass das, was ihnen da passiert ist, niemals hätte passieren dürfen.

In den letzten Jahren wurde teilweise gesagt: 'Das kann ich mir gar nicht vorstellen, das ist doch so eine angesehene Person.' Es ist aber ein großer Lernprozess dadurch zu erkennen, dass den Menschen erstmal geglaubt wird.

Wie werden die Schutzkonzepte in den Gemeinden gelebt und umgesetzt?

Die Erfahrung ist, dass viel schneller angerufen wird, wenn sich jemand Sorgen macht. Denn oft gab es das Gefühl: Bei uns ist ja noch nichts passiert. Durch diese Sensibilisierung, manchmal auch durch die Risikoanalysen, sind alle Mitarbeitenden mit diesem Thema vertraut und viele, und dazu ermutige ich immer, rufen mich an, schreiben mir eine Mail. Manchmal entschuldigen sie sich, weil sie denken: Vielleicht ist es gar nicht so wichtig. Aber ich bin unfassbar dankbar dafür, dass die Sensibilisierung für dieses Thema enorm zugenommen hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Monika Weber führte Liane Gruß, rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das Interview können Sie auch im Audio-Player nachhören.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.01.2025, 14:25 Uhr

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8 Kommentare

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  1. 6.

    Sich an Schutzbefohlene zu vergehen, sie sexuell auszubeizen, passt nicht zu den christlichen Werten, die die Christlichen Kirchen gerne verbreiten.

  2. 5.

    Ja, es ist furchtbar. Die Kirchen haben einen sehr großen Einfluss auf den Sender. Beiträge, die hart kritisieren gegen die Kirchen und ehrliche Worte beinhalten, werden kaum veröffentlicht. Da habe ich viele Erfahrungen gesammelt. Der rrb, macht da leider keine Ausnahme. Die Macht der Kirchen ist sehr groß bei den öffentlich Rechtlichen.

  3. 4.

    Traurig wie die beiden Kirchen immer noch versuchen alles zu vertuschen. Aber bekommen Steuermittel von den Länder.

  4. 3.

    Ja und nur dagegen. Gegen sonst nichts oder was? Habt ihr sonst nichts zu tun? Dabei gäbe es doch soviele Dinge. Insbesondere was so Religionen anbelangt. Da sieht es in anderen Ländern mit der freien Religionsausübung anders aus. Aber die naive EK hält ja seit einer gefühlten Ewigkeit schon die andere Wange hin. Als ob es was ändern würde.

    Wie krass der Hauptaugenmerk immer auf der Kirche liegt bei der Berichterstattung dieses Senders.

  5. 2.

    Gut finde ich, das inzwischen gefühlt die Mehrheit der Geistliche Damen sind!

  6. 1.

    Hauptsache ist doch, die evangelische Kirche positioniert sich gegen Rechts.