Symbolbild: Der leere Plenarsaal vor der Plenarsitzung im Berliner Abgeordnetenhaus. (Quelle: dpa/Fabian Sommer)

Berlin Nach der Landtagswahl: Was bedeutet das Brandenburg-Ergebnis für Berlin?

Stand: 23.09.2024 19:15 Uhr

Der Ausgang der Wahl im Nachbar-Bundesland hat auch den Parteien in der Hauptstadt viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Manche wollen schnell Lehren ziehen, andere sehen dazu keinen Anlass. Von Sabine Müller

In Berlin müssen sich vor allem die Parteifreundinnen und -freunde der großen Verlierer fragen, was sie aus Wahlkampf und Wahlabend in Brandenburg lernen können. Allen voran Linke und Grüne, deren Brandenburger Pendants aus dem Potsdamer Landesparlament geflogen sind. Die Co-Parteichefin der Berliner Linken, Franziska Brychcy, versucht erst gar nicht, das Debakel schönzureden und kündigt Konsequenzen an. "Das muss ein Weckruf für uns sein. Klar ist, dass wir uns grundsätzlich neu aufstellen müssen", sagte sie dem rbb.

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Die Linke blickt in eine ungewisse Zukunft

Erster Schritt dazu wird ein Strategiepapier von Partei- und Fraktionsspitzen sein, das an diesem Dienstag vorgestellt wird und das natürlich nicht erst nach der Brandenburg-Wahl geschrieben wurde. Unter anderem heißt es dort: "Unsere Arbeit wird sich ändern: wir helfen mit – etwa Mieter- und Sozialberatungen, wir organisieren – etwa mit Mieterversammlungen oder mit Kiezratschlägen bei akuten Problemen, wir gehen in den Protest bei drohenden Schließungen sozialer Einrichtungen, bei Tarifkämpfen oder bei Privatisierungsvorhaben öffentlicher Infrastruktur."
 
Näher ran an die Menschen, mehr Aktionen vor Ort, weniger Politik in Sitzungssälen und klarer Fokus auf Kernthemen wie die Verteilungsfrage – das soll den Erfolg bringen. Wirklich neu sind diese Rezepte allerdings nicht und gerade auch in Konkurrenz zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stellt sich die Frage, ob das reichen wird, einen Abstieg wie in Brandenburg zu verhindern. "Das ist nicht ausgemacht", meint Co-Parteichefin Brychcy. Echte Zuversicht klingt anders.

Die Grünen wollen nicht mehr nur die Anti-AfD sein

Weniger existenzbedrohlich ist die Lage der Berliner Grünen, aber dass die Partei in Brandenburg nicht mehr im Landtag vertreten ist, zementiert einen Niedergang im Osten, der auch den Berliner Landesverband aufrütteln muss. Ein Rezept heißt nun: Profilschärfung.
 
"Einfach nur zu sagen, wir sind der Antipol zur AfD, das reicht nicht", betont Co-Parteichefin Nina Stahr. Das eigene Programm mit Themen wie Klimaschutz oder bezahlbarem Wohnraum soll wieder mehr im Mittelpunkt stehen. Außerdem setzt der grüne Landesverband wie auch die Linke darauf, durch gute Arbeit vor Ort nah an den Menschen zu überzeugen. Für Stahr heißt das, vor allem die Leistungen der sechs Bezirksbürgermeisterinnen und Bürgermeister der Partei herauszustellen.

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Gute Ratschläge statt Nabelschau bei der CDU

Dritte große Wahlverliererin in Brandenburg war die CDU, die ein historisch schlechtes Ergebnis in Ostdeutschland einfuhr und nur auf Platz vier landete, sogar hinter dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Da erstaunte es nicht, dass die Generalsekretärin der Hauptstadt-CDU, Ottilie Klein, eilends betonte, mit den Berliner Christdemokraten habe das alles nichts zu tun, hier laufe es prima.
 
Berlins CDU-Parteichef und Regierender Bürgermeister Kai Wegner betreibt am Tag nach der Wahl dann auch keine Nabelschau, sondern verteilt gute Ratschläge Richtung Brandenburg. Dort will die SPD als erstes mit der CDU sprechen, was Brandenburgs CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann aber für wenig sinnvoll hält, schließlich hätten die beiden Parteien keine Mehrheit im Potsdamer Landtag. Wegner verteilt sanfte Stupser über die Landesgrenze: "Ich glaube, die CDU sollte sich offen zeigen für Gespräche. Klar kann man das eine oder andere aus der Vergangenheit nochmal besprechen, aber der Wahlkampf ist jetzt vorbei."

So reagieren die Wahlgewinner

Über Lehren aus dem Brandenburger Wahlergebnis denken in Berlin aber auch Parteien nach, die sich über das Abschneiden im Nachbarland freuen können. Was ihr Landesverband aus dem Wahlsieg für Ministerpräsident Dietmar Woidke lernen kann, beschreibt SPD-Co-Parteichefin Nicola Böcker-Giannini im rbb so: "Klar ist, dass eine starke Persönlichkeit wie Dietmar Woidke zusammen mit einem starken Programm gezogen hat. Das bedeutet für die Berliner SPD, dass wir jetzt in die Programmentwicklung gehen müssen."
 
Die Arbeit am neuen Programm "Berlin 2035" läuft jetzt an, eine starke Führungspersönlichkeit für die nächste Wahl in Berlin ist bei der SPD allerdings noch nicht in Sicht. Zweimal hatte Franziska Giffey diese Rolle inne, aus der Brandenburg-Wahl nimmt die amtierende Wirtschaftssenatorin auch diese Botschaft mit: "Da haben viele Bürgerinnen und Bürger ihren Unmut zum Ausdruck gebracht, das muss man ernst nehmen."

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Das BSW will die anderen kommen lassen

Ernst nehmen müssen die Berliner Parteien bald vermutlich auch eine neue Akteurin in der politischen Landschaft in der Hauptstadt, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Eins zu eins könne man das Brandenburger Erfolgsrezept zwar nicht auf Berlin übertragen, sagt BSW-Landeschef Alexander King, dazu seien die beiden Bundesländer zu unterschiedlich.
 
Auch er will aber auf Themen wie Krieg und Frieden, Migration oder Bildung setzen, für Berlin sieht er außerdem noch einen Schwerpunkt auf Fragen von Wohnen und Mieten. King ist überzeugt, dass die junge Partei bald auch in der Hauptstadt ein Machtfaktor sein wird. Er sieht allerdings keine Notwendigkeit, sich etwa CDU oder SPD schonmal vorsorglich anzudienen: "Wir haben es nicht nötig, uns bei anderen politischen Akteuren beliebt zu machen. Die äußern ihr Interesse ganz von alleine."

Wie viel Brandenburg will die Berliner AfD?

Bleibt noch die Berliner AfD, die sich die Finger lecken würde nach einem Ergebnis wie in Brandenburg. Knapp 30 Prozent sind in der Hauptstadt allerdings unrealistisch, auch wenn Parteichefin Kristin Brinker nach zuletzt 9,1 Prozent bei der Abgeordnetenhauswahl auf Zuwächse spekuliert. Bei der Wahlkampfstrategie können sich die Berliner durchaus etwas von den Brandenburgern abschauen, meint Brinker. "Die Brandenburger AfD war sehr stark überall im Land unterwegs. Sie hat überall Familienfeste abgehalten, hat vor Ort Stände gehabt, hat mit den Leuten gesprochen. Sie war nahbar, anfassbar und ich glaube, das war ein wichtiges Erfolgsrezept."
 
In einer anderen Frage gibt sich Brinker zurückhaltend, was das Lernen von Brandenburg angeht. Gehört es bald auch bei der Berliner AfD zum Repertoire, Songs übers millionenfache Abschieben von Migranten zu grölen, wie es auf der AfD-Wahlparty in Potsdam passierte? Die Migration sei natürlich auch für die Berliner AfD Thema, antwortet Brinker. "Ob wir Songs spielen, werden wir sehen."