Brandenburg Berlin Risiken von "Buy now, pay later"-Angeboten: Jetzt kaufen, später schulden
Beim Online-Shopping wird es immer einfacher, erst zu bestellen und später zu bezahlen. Besonders beliebt sind die "Buy now, pay later"-Angebote bei jungen Menschen. Doch die Gefahr, damit in Schulden zu rutschen, ist groß. Von Linh Tran
Nicht einmal eine Minute dauert es, da hat Shae Hampl sich einen Pullover auf dem Handy ausgesucht und könnte auf den Bezahl-Button drücken. "Bezahlen Sie Ihre Bestellung 30 Tage später", steht direkt unter dem Button. Daneben leuchtet der Text "Popular" auf und suggeriert, wie "beliebt" die Option ist, Bestellungen erst später zu bezahlen. "Es wird einem direkt hingehalten: Du hast kein Geld? Dann bezahl' in 30 Tagen”, sagt die 22-Jährige mit Blick auf ihr Handy. Shae nutzt die "Pay later"-Option oft, vor allem, weil sie nicht immer genug Geld auf dem Konto hat, um sofort zu bezahlen.
Shae Hampl studiert im ersten Semester Kindheitspädagogik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin-Karlshorst. Seit wenigen Wochen wohnt sie zum ersten Mal allein in einem Studierendenapartment in Friedrichshain. Die Miete zahlen zum Glück ihre Eltern. Für Lebensmittel, Klamotten, Sportkurs und Freizeitaktivitäten muss sie selbst aufkommen. Das Problem: Sie weiß nie, wieviel Geld sie im Monat eigentlich zur Verfügung hat.
Weil Shae in der Konzert-Gastro arbeitet, variiert ihr monatliches Gehalt, je nachdem wie viele Konzerte es gibt, auf wie vielen Events sie eingeteilt wird und wieviel Trinkgeld sie bekommt. In der Regel schwanke es zwischen 200 und 480 Euro, und im Sommer habe sie oft mehr Geld als im Winter, sagt sie.
Trotzdem will sie bestimmte Sachen nicht missen: Mit ihren Freundinnen essen gehen, sich etwas Schönes kaufen oder auf Konzerte gehen.
Sich irrationale Käufe schönrechnen
Wie erst kürzlich, als Rapper Cro auf dem Lollapalooza-Festival aufgetreten ist. "Die Künstler veröffentlichen ihre Tourdaten gefühlt immer dann, wenn man gerade kein Geld hat", erzählt sie. "Und dann habe ich wirklich Panik, dass es sofort ausverkauft ist und drücke lieber auf 'in 30 Tagen bezahlen'." In diesen Momenten ist es Shae Hampl wichtig, auf das Konzert zu gehen – egal, ob genug Geld auf dem Konto ist oder nicht.
"Das Geld wird sich ja auch lohnen, denn man hat lange was davon", denke sie sich dann. "Girlmath" nennt sie das. Unter dem Hashtag machen auf Instagram und Tiktok viele junge Mädchen und Frauen vor, wie sie sich irrationale Käufe schönrechnen. Das geschieht meistens mit Augenzwinkern.
Nur oft ist das Geld aber nun einmal nicht da.
"Bei 'Buy now, pay later' kann man sehr kurzfristig impulsiv kaufen und muss sich keine Gedanken machen. Die Zahlungsform ermöglicht den Kauf direkt in dem Moment", sagt Oliver Salmen im Interview mit rbb|24. Er arbeitet bei der Schuldner- und Insolvenzberatung der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Spandau und berät regelmäßig Menschen bei finanziellen Herausforderungen. Das Problem bei den Käufen via Zahlungsdienstleister sei: "Der Gedankengang oder die Frage 'Habe ich die finanziellen Mittel eigentlich?' fällt weg", sagt Salmen.
Fast ein Drittel der jungen Menschen nutzt "Buy now, pay later"
Besonders bei jungen Menschen ist das "Buy now, pay later"-Modell wie es Finanzdienstleister wie Paypal und Klarna anbieten, beliebt: Laut einer Schufa-Umfrage von 2023 nutzt fast ein Drittel der 16- bis 25-Jährigen diese Möglichkeit des Kaufens, das auf Kleinkrediten basiert. Die Rechnungen kann man entweder nach 30 Tagen begleichen oder auch längerfristig in Raten abbezahlen. Bei Ratenzahlung fallen zusätzlich Zinsen an. Jede:r Zehnte wurde schon einmal von der Kontoabbuchung nach Ablauf der Zahlungsfrist überrascht.
Dass nicht alle gut mit den Später-Zahlen-Möglichkeiten umgehen können, darauf deutet auch der aktuelle Schuldneratlas [boniversum.de] hin: Während die Überschuldung in Deutschland insgesamt rückläufig ist (von 8,15 Prozent im vergangenen Jahr auf 8,09 Prozent in diesem), steigt sie bei den unter 30-Jährigen seit zwei Jahren leicht an (+0,11) auf 6,76 Prozent (siehe Grafik).
Der aktuelle Atlas zeigt auch: Inzwischen ist fast jeder zweite neu aufgenommene Ratenkredit ein Kleinkredit unter 1.000 Euro.
"Ich habe gar nicht gelernt, mit Geld umzugehen."
Fragt man Shae Hampl nach ihrem Haushaltsplan, wird deutlich: Einen richtigen Überblick über ihre Finanzen hat die Studentin nicht. Sie weiß zwar noch, wieviel die letzten Konzertkarten gekostet haben. Doch wieviel Geld sie ausgibt und wieviel sie einnimmt, das weiß sie nicht im Detail. Einmal hat sie die sogenannte Umschlagmethode ausprobiert, bei der am Monatsanfang für jeden Kostenpunkt, wie Lebensmittel, Kleidung und so weiter, wochenweise eine festgelegte Summe in einem Umschlag zurückgelegt wird. Doch auch das hat ihr nicht geholfen, sich bei den Ausgaben zu beschränken.
Für Shae bedeutet es Stress, offene Rechnungen zu haben. Vor allem zwischen Monatsende und der nächsten Gehaltsüberweisung Mitte des Monats. "Weil ich dann weiß, dass ich die Rechnungen bezahlen muss, aber eigentlich gar nicht das Geld habe." Jeden Monat ist sie nach eigenen Angaben ungefähr 50 Euro im Minus. Bisher sei sie aber noch nie so im Verzug gewesen, dass eine Mahnung kam oder gar ein Inkasso-Verfahren drohte.
"Das lernt man auch nicht in der Schule"
"Ich glaube, ich haber gar nicht gelernt mit Geld umzugehen", sagt die 22-Jährige. Ihre Mutter habe ihr ab und an mal Taschengeld gegeben, viel zusammen Shoppen seien sie allerdings auch gewesen. Nur ihr Vater lebe etwas sparsamer, kaufe sich nur einmal im halben Jahr etwas Neues. "Das lernt man auch nicht in der Schule", sagt Hampl. "Da lernt man Mathe, aber das richtige Mathe, Geld sparen, lernt man nicht."
Auch Salmen merkt bei seinem Finanzbildungsunterricht an Berufsschulen, dass bei vielen jungen Menschen oft die Grundlagen fehlen. "Jede Finanzentscheidung muss langfristig rational durchdacht sein", sagt Salmen. In der Praxis sehe das aber oft anders aus. "Die meisten konsumieren irrational. Wir konsumieren häufig aus dem Impuls heraus und machen uns dann erst Gedanken darüber, wie das eigentlich langfristig für uns zu finanzieren ist."
EU-Verbraucherkreditrichtlinie soll Verbraucher:innen in Zukunft schützen
Die meisten Zahlungsdienstleister prüfen die Rückzahlungswahrscheinlichkeit derzeit nicht anhand von Informationen über Ein- und Ausgaben, erklärt Johannes Müller vom Bundesverband der Verbraucherzentrale. Er ist Referent im Team Finanzmarkt und kommuniziert die Interessen der Verbraucher:innen an politische Entscheidungsträger:innen und die Öffentlichkeit. Eine gesetzliche vorgeschriebene Kreditwürdigkeitsprüfung muss erst ab einer Höhe von 200 Euro angestellt werden, und für die reiche derzeit in den meisten Fällen eine Anfrage bei einer Auskunftei aus, sagt Müller. Die bekannteste Auskunftei ist die Schufa.
Auf rbb-Nachfrage verweisen die Zahlungsdienstleister Klarna und Paypal auf diverse Maßnahmen, um zu verhindern, dass Kund:innen sich verschulden. Paypal gibt an, zumindest bei Ratenzahlung die Kreditwürdigkeit zu überprüfen und dabei auch auf die Daten von Kreditauskunfteien zurückzugreifen. Klarna erklärt, bei jeder Transaktion die Zahlungsfähigkeit zu überprüfen, und verweist dabei auf interne und externe Datenquellen. Außerdem werde die Nutzung der Services bei ausstehenden Zahlungen eingeschränkt, so dass es nicht möglich sei, Schulden "anzuhäufen".
Verbraucherschützer Müller kritisiert dagegen: Bei der Art und Weise, wie die Kreditwürdigkeit bei diesen Kleinkrediten aktuell festgestellt werde, gebe es "keinen wirklichen Schutz vor Überschuldung, weil keine Informationen über das Einkommen und die regelmäßigen Ausgaben verarbeitet werden". Die EU-Verbraucherkreditrichtlinie, die im Oktober 2023 verabschiedet wurde, soll das ändern und Verbraucher in Zukunft besser vor Überschuldung schützen. Die "Buy now, pay later"-Anbieter müssen dann genauer prüfen, ob sich jemand eine Ratenzahlung leisten kann.
Genaue Bonitätsprüfung erfordert Einblick in die Kontodaten
Wie konkret dann eine Bonitätsprüfung im Kaufprozess aussehen wird, wird noch ausgetüftelt. "Dafür könnte zukünftig die Technologie des Kontoeinblicks verwendet werden", sagt Müller. Dabei können Verbraucher:innen ihre Zustimmung dafür geben, dass Kreditgeber ihr individuelles Zahlungsverhalten analysieren können, um auf dieser Grundlage über die Kreditvergabe zu entscheiden. "Damit die Kreditentscheidung nicht darauf beruht, in welchem Supermarkt Verbraucher:innen gern einkaufen oder wer ihr Arbeitgeber ist, sollte ein gesetzlicher Filter vorgeschrieben werden, der verhindert, dass diese Daten von Kreditgebern verarbeitet werden können", fordert Müller.
Das Gesetz zur neuen Verbraucherkredit-Richtlinie soll bis November 2025 beschlossen werden und dann bis November 2026 in Kraft getreten sein. Bis dahin kann Shae Hampl nur versuchen, weniger auf Pump einzukaufen. Den Pullover, den sie auf dem Handy ausgewählt hat, will sie diesmal zumindest nicht kaufen. Ihr Vorsatz für das neue Jahr: Vor dem Kaufen wirklich nachzudenken, ob sie die Sachen nun wirklich braucht und nachzurechnen, ob sie sich die Sachen auch wirklich leisten kann.
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.11.2024, 19:30 Uhr