Gabelstapler fahren durch Fabrikhalle mit verpackten Papierstapeln

Hessen Ehemaliger Papierfabrik Glatfelter in Nidda droht das Aus

Stand: 05.09.2024 18:28 Uhr

Der "Spezialpapierfabrik Ober-Schmitten" in Nidda droht das Aus. Dabei hatte erst vor einem Jahr ein Investor die Fabrik vom Konzern Glatfelter gekauft – und Investitionen geplant.

Knapp 200 Mitarbeitenden der "Spezialpapierfabrik Ober-Schmitten" in Nidda (Wetterau) droht der Verlust ihrer Jobs. Die Geschäftsführer beantragten am Mittwoch beim Amtsgericht Friedberg ein vorläufiges Insolvenzverfahren. Was der Grund für das Verfahren ist, war zunächst unklar.

Investorenprozess soll starten

Eine Sprecherin des Bezirks Mittelhessen der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) bestätigte am Donnerstag, dass neben den 200 Beschäftigten auch fünf Auszubildende betroffen seien. Nachdem die Papierfabrik schon im vergangenen Jahr vor dem Aus stand, seien noch neue Leute verpflichtet worden.

Das Amtsgericht bestellte einen Insolvenzverwalter. Dieser teilte am Donnerstag mit, die Möglichkeiten für eine Sanierung des Unternehmens ausloten zu wollen. "Um die Papierproduktion hochzufahren, muss die Rohstoff-Lieferkette wieder aufgebaut werden", hieß es. Außerdem solle "zügig ein internationaler Investorenprozess starten".

Gewerkschaft: Investor war vor Ort präsent

Mitte August 2023 hatte die türkische İŞ Holding die Fabrik für Spezialpapiere vom amerikanischen Konzern Glatfelter übernommen. Das Unternehmen hatte seinerzeit angekündigt, ein tragfähiges Konzept für die Zukunft umsetzen zu wollen. Man werde in Papierproduktion für die Glas- und Elektroindustrie investieren, hieß es.

Auch zuletzt noch gab es positive Nachrichten, weil investiert werden sollte: Noch im Frühjahr war die Rede von einer weiteren Papiermaschine.

Nach Angaben der Gewerkschaftssprecherin hatte der türkische Investor Investitionen versprochen, war vor Ort präsent und blieb im Tarif. Entsprechend groß sei nun der Schock.

Gehälter für drei Monate über Insolvenzgeld

Die Mitarbeitenden seien "total verunsichert und auch verärgert", weil sie die Insolvenz nicht haben kommen sehen. Die Gehälter für August sind laut Gewerkschaft noch nicht gezahlt worden. Nach Angaben des Insolvenzverwalters werden die Löhne und Gehälter der rund 190 Beschäftigten für drei Monate zunächst über eine Insolvenzgeldvorfinanzierung gesichert. Auch die fünf Auszubildenden würden fachlich betreut.

Nach Angaben der Gewerkschaftssprecherin vom Donnerstag war der Kontakt zum türkischen Investor vor etwa einem Monat abgerissen, auf Anfragen der IGBCE und auch des Betriebsrats meldete sich niemand. Die Sprecherin sprach von "wegducken".

Papierproduktion für Lebensmittelverpackungen

Die Produkte der Papierfabrik hätten eine "Zukunftsperspektive", die Fabrik selbst brauche aber dringend Investitionen, sagte die Sprecherin. Das habe der alte Besitzer vernachlässigt, die Maschinen seien veraltet.

In Ober-Schmitten werden vorwiegend zwei Arten von speziellen Papieren produziert. Zum einen das Glassine-Papier: Das Pergamyn wird unter anderem für die Verpackung von Lebensmitteln eingesetzt, erinnert an Butterbrot- oder Bastelpapier. "Es enthält kein Plastik, ist recycle- und kompostierbar", erklärte Werksleiter Hagen Knodt. Hier stecke ein großes Potenzial.

Firmenchefs rechnen mit erhöhter Nachfrage

Die Firmenchefs rechnen nach eigenen Angaben wegen veränderten Regularien fest mit einer erhöhten Nachfrage als Ersatz zu plastikhaltigen Produkten. Viele Verpackungen würden in absehbarer Zukunft durch Pergamyn ersetzt werden.

Das zweite Spezialpapier ist das "Electrical Grade Paper". Es wird für Kondensatoren, Kabel, Transformatoren und Spulen eingesetzt, ist zum Beispiel in Solaranlagen zu finden.