Baustelle von oben

Hessen Halbfertige Wohnungen in Idstein drohen zur Bauruine zu verkommen

Stand: 08.09.2024 09:06 Uhr

In Idstein sollten für insgesamt 16 Parteien Wohnungen und Reihenhäuser entstehen. Viele der Häuser waren Ende 2022 fast einzugsbereit. Plötzlich konnte der Bauträger nicht mehr zahlen. Bis heute scheint zwischen Käufern, Bauträger und finanzierender Bank keine Lösung in Sicht.

Die Küche ist schon eingebaut, das Zimmer von Dennis Leopolds zwölf Jahre alter Tochter fast vollständig eingerichtet. Es fehle seit über 18 Monaten kaum noch etwas außer der Strom- und Wasseranschlüsse im Reihenhaus in der Ringgasse in Idstein (Rheingau-Taunus). "Wir könnten rein", sagt Leopold. "Es ist wirklich ein Desaster, was hier seit zwei Jahren vonstattengeht."

Die Ringgassenhöfe in Idstein sollten ein Vorzeigeprojekt des Wiesbadener Bauträgers werden, der Deutschen Entwicklungs- und Anlagengesellschaft (Deag). Acht Reihenhäuser sowie acht Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus sollten im Stadtteil Wörsdorf entstehen, "Fertigstellung Frühjahr 2022", wie es einst auf der Webseite der Deag hieß. Diese Seite ist mittlerweile nicht mehr abrufbar.

Vier Millionen Euro gezahlt - und es geht nicht weiter

In zwei der Reihenhäuser regnet es durch die nicht fertig gebaute Decke, Schimmel breitet sich an den Rohbau-Wänden aus. Andere Häuser, wie das von Dennis Leopold, sind seit über anderthalb Jahren fast fertig - aber eben nur fast. Leopold und die anderen Käufer der Wohnungen und Häuser haben nach eigenen Angaben insgesamt bereits über vier Millionen Euro in ihren Traum vom Eigenheim gesteckt.

Doch ein schöner Traum ist das Projekt für sie mittlerweile nicht mehr. Laut der Stadt Idstein kam es im Dezember 2022 zu einem Baustopp durch die Handwerksfirmen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen die Deag wegen Insolvenzverschleppung.

Dennis Leopold vor dem fast fertigen Reihenhaus, in das er nicht einziehen kann.

Dennis Leopold vor dem fast fertigen Reihenhaus, in das er nicht einziehen kann.

Viele Bauträger in der Krise

Laut dem Leipniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sind deutschlandweit die Insolvenzen in der Baubranche im ersten Quartal des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 44 Prozent gestiegen - eine Folge der gestiegenen Zinsen und Baukosten.

Anders als viele andere Bauträger in Hessen ist die Deag bislang nicht insolvent, Zahlungsprobleme räumt sie aber ein. Laut einer Aufstellung der Käufer summierten sich die offenen Posten im Idsteiner Bauprojekt im Juni 2024 auf rund 650.000 Euro.

Auf Nachfrage schreibt die Deag: "Ursache der Probleme ist, (...) dass durch Corona, Krieg und Inflation extrem gestiegene Baukosten in 2022 die Kalkulationsgrundlage zunichte gemacht haben." Und weiter: "Leider mussten genau in 2022 die teuersten Arbeiten ausgeführt werden."

Baustopp ärgert Immobilienkäufer in Idstein

Käufer sind verzweifelt

Seitdem es auf der Baustelle nicht weitergeht, häufen sich bei Dennis Leopold und den anderen Käufern zusätzliche Ausgaben: monatliche Bereitstellungszinsen für ihre eigenen Baukredite, weiterlaufende Mieten, Anwaltskosten, bei einigen auch Kosten für zusätzliche Umzüge oder die Zwischenlagerung von Möbeln.

"Wenn ich nicht in meiner Familie jemanden hätte, der mich unterstützt, könnte ich direkt Privatinsolvenz anmelden", sagt Christa Obersteiner. Sie habe ihr ganzes Erspartes in die Dachgeschosswohnung des Mehrfamilienhauses gesteckt, die sie als Altersvorsorge gedacht hatte.

Ein anderer Käufer, Frank Dettloff aus Idstein-Wörsdorf, hatte eine der Wohnungen im Mehrfamilienhaus für seine 86 und 99 Jahre alten Eltern gekauft. "Wir wollten, dass sie den Rest ihres Lebens hier verbringen können, in der Nähe ihrer Enkel, wo wir sie auch unterstützen können", sagt Dettloff. Jetzt müsse sein Vater womöglich ins Pflegeheim, was ihm die neue Wohnung hätte ersparen sollen.

Keiner kommt alleine weiter

Das Vertrackte an der Lage: Da die Wohnungen für die Eigentümergemeinschaft über die Deag als Bauträger entstehen sollten, ist aktuell noch die Frankfurter Volksbank, die der Deag das Bauvorhaben finanziert, im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen.

Laut der Deag kann sich aber auch deshalb niemand aus der Erwerbergemeinschaft lösen und alleine weiterbauen, weil nur die gesamte Wohnanlage als Einheit eine Baugenehmigung habe. Deshalb brauche es eine gemeinschaftliche Lösung zwischen den Käufern, der Bank und dem Bauträger.

Gutachten: 2,5 Millionen Euro fehlen noch

Versuche, eine solche Lösung zu finden, verlaufen bislang in Sackgassen: So soll im Sommer 2023 ein Gutachten Klarheit über den Stand der Baustelle, ihren Wert und die noch nötigen Investitionen schaffen.

Das Ergebnis des Gutachtens: Die kalkulierte Gesamtbruttosumme des Bauvorhabens von rund 4,8 Millionen Euro erscheine "nicht auskömmlich". Die Kosten für die weitere Fertigstellung und Beseitigung der entstandenen Mängel wird laut dem Gutachten auf rund 2,5 Millionen Euro geschätzt.

Von der Deag heißt es dazu: "Die Zahlen des Gutachtens werden leider vielfach falsch interpretiert."

Keine Einigung in Sicht

Letzten Endes können sich die Deag, die Bank und die Käuferparteien offenbar auch auf Grundlage des Gutachtens nicht einigen, wie der Bau weiterfinanziert werden soll. Ende 2023 gibt es dann einen neuen Vorschlag: Die Frankfurter Volksbank schickt den Käuferparteien eine "Abwicklungsvereinbarung". Die Bank bietet an, den Weiterbau zu finanzieren - unter der Bedingung, dass die Käufer die Kosten, die durch den Bauverzug entstanden sind, selbst übernehmen.

Die Deag betont, man habe im Februar 2024 ein entsprechendes Konzept vorgelegt, um nach dieser Vereinbarung weiterzubauen. Doch nicht alle Käuferparteien hätten unterschrieben.

Von den unterschiedlichen Käufern heißt es immer wieder, man habe das Vertrauen in die Deag verloren. Auch ein plötzlicher Geschäftsführerwechsel in dem Unternehmen im Jahr 2023 habe viele stutzig gemacht.

Die Anfragen des hr beantwortete allesamt der ehemalige Geschäftsführer und jetzige Gesellschafter des Unternehmens. Einen Kontakt zum neuen Geschäftsführer, einem 86-Jährigen, über den rund 20 unterschiedliche Firmen gemeldet sind, wurde dem hr auch auf Nachfrage verweigert.

Die Insolvenz als Ausweg?

Wer am Ende die Verantwortung für das "Desaster" um die Idsteiner Ringgassenhöfe trage, sei ihm mittlerweile egal, sagt Dennis Leopold. "Ich will einfach nur, dass uns wirklich geholfen wird", sagt er. Christa Obersteiner sagt, sie hoffe nun darauf, "dass der Insolvenzverwalter kommt und den Bau fertigstellt".

Christa Obersteiner vor dem fast fertigen Haus, in das sie nicht einziehen kann.

Christa Obersteiner sagt, sie habe ihr ganzes Erspartes in die Wohnung gesteckt.

Das Insolvenzgericht Wiesbaden bestätigte auf Anfrage, dass ein Antrag auf Insolvenz vorliege. Ob ein Verfahren eröffnet werde, sei aber noch nicht entschieden. Zudem bestätigte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden, dass sie wegen einer Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung gegen das Unternehmen ermittle.

Ob eine Insolvenz der Deag den Käufern letztlich helfen würde, ist nicht sicher: "Es kann sein, dass es Ansprüche gibt, die man bei einem insolventen Bauträger nicht mehr geltend machen kann", warnt Younes Frank Ehrhardt, Geschäftsführer der Eigentümervereinigung Haus und Grund in Hessen.

"Wir waren nicht naiv"

Ehrhardts Ratschläge, die beim Bau über einen Bauträger zu beachten seien, haben die Käufer der Ringgassenhöfe aber offenbar größtenteils berücksichtigt: etwa, die Seriösität des Unternehmens zu prüfen, oder nur in Raten für den Baufortschritt zu zahlen.

"Wir waren nicht naiv", ist sich Christa Obersteiner rückblickend noch immer sicher. Und dennoch stehen sie und die anderen, die eigentlich längst Nachbarn wären, nun vor Wohnungen und Häusern, die sich vorerst nicht bewohnen lassen.