Menschen stehen mit Protestschildern auf einem Platz in der Innenstadt

Hessen Apotheken wegen Streik geschlossen – 1.000 Teilnehmer bei Kundgebung in Frankfurt

Stand: 28.06.2024 12:08 Uhr

Aus Protest gegen Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Lauterbach sind viele Apotheken in Hessen geschlossen. In Frankfurt fand eine Kundgebung statt. Gegen den "Todesstoß für den gesamten Berufsstand" will sich der Apothekerverband entschieden wehren.

Viele Apotheken in Hessen blieben am Donnerstag und bleiben am Freitag geschlossen. Wie der Hessische Apothekerverband (HAV) ankündigte, werde damit gegen die Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) protestiert, die vor wenigen Tagen in einem Referentenentwurf genauer vorgestellt wurden.

1.000 Teilnehmer aus Hessen bei Kundgebung in Frankfurt

Am Donnerstagmittag fand eine große Kundgebung in Frankfurt auf dem Opernplatz statt. Rund 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Hessen beteiligten sich nach Angaben des Verbands daran. Es nahmen auch Apotheken-Teams aus Rheinland-Pfalz und Thüringen teil.

Aktuell gibt es in Hessen rund 1.320 Apotheken, Anfang 2023 waren es noch fast 1.400. Laut Apothekerverband blieben gut 90 Prozent der 1.320 Apotheken am Donnerstag geschlossen.

Wichtige Rezepte sollten Patientinnen und Patienten möglichst vorher einlösen. Aber auch an den beiden Protesttagen sind Notdienstapotheken geöffnet. Auf einer Karte kann man die Öffnungszeiten einsehen.

"Todesstoß für Berufsstand"

Holger Seyfarth, der Vorsitzende des Verbandes, bezeichnete die vorgelegten Pläne des Bundesgesundheitsminister als "Todesstoß für den gesamten Berufsstand". Der Entwurf habe die "schlimmsten Erwartungen" noch weit übertroffen.

Seyfarth kritisierte insbesondere, dass mit den Änderungen weder wohnortnahe Versorgung noch Arzneimittelsicherheit in den Fokus gerückt würden. Stattdessen werde der Berufsstand der Apothekerinnen und Apotheker "als letzte Kontrollinstanz und letzter Sicherheitsfaktor" aufgeopfert.

Virtuelle Beratung von Apothekern geplant

So wolle Lauterbach "Pseudo-Apotheken" schaffen, in denen keine Apothekerinnen und Apotheker mehr zur Beratung in Präsenz bereitstünden. "Das ist eine nicht hinnehmbare Einschränkung in der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger, geht zu Lasten der Arzneimittelsicherheit, kann Menschenleben gefährden und hat rein gar nichts mit Telepharmazie zu tun", kritisierte Seyfarth.

Laut des Entwurfs des Bundesgesundheitsministeriums soll die Telepharmazie ausgebaut werden. Mithilfe von interaktiven Videoverbindungen soll eine Apotheke auch dann öffnen können, wenn die Apothekerin oder der Apotheker selbst nicht vor Ort ist. Mindestens acht Stunden pro Woche muss die Apothekenleitung aber persönlich anwesend sein.

Auch finanzielle Bedenken

"Nach unseren Berechnungen verursachen Lauterbachs Vorhaben perspektivisch weitere Einbußen in Höhe von 170 Millionen Euro für die Apotheken in der Bundesrepublik", sagte der HAV-Vorsitzende. Dabei fordere der Verband eigentlich schon lange eine Erhöhung der Vergütung, die seit 20 Jahren kaum verändert worden sei.

Die "Scheinreform" bringe keine Entlastung für öffentliche Apotheken, von denen immer mehr schließen, weil die Inhaberinnen und Inhaber aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine Nachfolgerinnen und Nachfolger finden, so die Kritik.

In Lauterbachs Entwurf sind unter anderem "Honoraranreize" für Standorte in ländlichen Regionen und eine gerechtere Verteilung der Honorare vorgesehen. Dafür soll der Zuschlag pro Arzneimittelpackung, den es zu Notdienstzeiten gibt, von 21 auf 28 Cent erhöht werden. Geplanter Effekt: Da Apotheken in Regionen mit wenigen anderen Apotheken öfter Notdienst haben, profitieren sie besonders.

Flexiblere Öffnungszeiten und "Filialverbünde"

Zusätzlich sind flexiblere Öffnungszeiten geplant. Statt der Vorgabe, werktags von 8 bis 18.30 Uhr offen zu sein, sollen es künftig "sieben Stunden während der ortsüblichen Geschäftszeiten" sein - und samstags statt fest von 8 bis 14 Uhr künftig eine entsprechende Spanne von vier Stunden. 

Außerdem sollen künftig "Filialverbünde" möglich sein. Diese können sich aus einer Hauptapotheke, bis zu drei Filialen und maximal zwei weiteren "Zweigapotheken" zusammensetzen. Um die Gründung von Filialen zu erleichtern, sollen sie in einem größeren Umkreis liegen als bisher.

Kritik von Hessens Gesundheitsministerin

Auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände kritisierte die Pläne. Sie warnte vor einer "zerstörerischen Reform, die die Versorgung durch Apothekerinnen und Apotheker in der Apotheke vor Ort abschafft und zehntausende Arbeitsplätze gefährdet". Das Ministerium machte klar, an den Plänen festhalten zu wollen.

Hessens Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU) lehnt die Pläne zu flexibleren Vorgaben für Apotheken ebenfalls ab. "Die inhabergeführte Apotheke darf nicht zerschlagen werden", sagte sie am Montag nach einem Besuch in einer Apotheke in Wiesbaden. "Apothekerinnen und Apotheker sind die Garanten für eine niederschwellige und hochwertige Beratung in der Stadt und auf dem Land." Dafür mache sich die Landesregierung stark. "Wir haben in der Pandemie gesehen, wie wichtig die Apotheken sind und welche Rolle ihnen zukommt", erklärte Ministerin Stolz. "Daran sollten wir nicht rütteln."

Weitere Streiktage möglich

Bei den beiden Protesttagen wird es in Hessen vermutlich nicht bleiben: Der Beschluss des Reformentwurfs ist laut Apothekerverband für Mitte Juli angedacht.

Die Zeit bis dahin werde man nutzen, um "noch einmal klar und entschlossen zu verdeutlichen, welchen destruktiven Weg das BMG da gerade einschlägt", kündigte Seyfarth an.