Hessen Tödliche Polizeischüsse in Schwalmstadt: Erschossene 20-Jährige hatte keine scharfe Waffe bei sich
Die von Polizisten in Schwalmstadt getötete Frau hat womöglich gar nicht auf die Beamten geschossen. Zumindest führte sie keine Waffe mit Munition bei sich. Wie jetzt klar ist, hatte der Vorfall am Donnerstagmorgen eine Vorgeschichte.
Einen Tag nach dem Tod einer 20-Jährigen durch Polizeischüsse in Schwalmstadt (Schwalm-Eder) haben die Staatsanwaltschaft Marburg und das Landeskriminalamt (LKA) neue Details veröffentlicht.
Demnach wurde die Frau bereits in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wegen des Verdachts auf Trunkenheit im Verkehr sowie unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf die Polizeistation in Schwalmstadt gebracht. Nachdem sie eine Blutprobe abgegeben habe, sei sie wieder entlassen worden.
Am frühen Donnerstagmorgen sei sie schließlich zurückgekehrt und zunächst in ihrem Auto auf dem Hof der Polizeiwache sitzen geblieben. Daraufhin hätten sich drei Beamte und eine Beamtin ihrem Fahrzeug genähert.
Schusswaffe auf Beamte gerichtet
Die 20-Jährige sei ausgestiegen und habe eine Schusswaffe auf die Einsatzkräfte gerichtet. In der Folge sei es zum "polizeilichen Schusswaffengebrauch" gekommen, wie die Behörden mitteilten.
Die Untersuchung ihrer Waffe habe gezeigt, dass es sich dabei nicht um eine scharfe Waffe mit Munition gehandelt habe. Sie habe einer solchen aber "zum Verwechseln ähnlich" gesehen, hieß es in der Mitteilung von Freitag. Es könne sich um eine Schreckschusspistole oder eine Softair-Waffe handeln.
Ermittlungen gegen Polizeibeamte
Fest steht auch nicht, ob die 20-Jährige tatsächlich Schüsse abgegeben hat. Dies werde ebenso untersucht wie die genaue Art der Waffe, hieß es am Freitag. Gegen die vier Polizeibeamten sei ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Totschlags eingeleitet, teilten Staatsanwaltschaft und LKA mit. Dies sei ein übliches Vorgehen in solchen Fällen.
Laut Obduktionsbericht wurde die Frau von mindestens zwei Kugeln getroffen. Die Todesursache ist demnach eine Verletzung der inneren Organe, die mit einem hohen Blutverlust einhergegangen sei.
In ihrem Blut habe es Hinweise auf Alkohol und Drogen gegeben, die unter das Betäubungsmittelgesetz fielen. Um welche genau es sich handele, müsse noch untersucht werden, sagte Staatsanwalt Timo Ide dem hr. Es werde geprüft, ob sie zum Zeitpunkt der Tat möglicherweise eine drogeninduzierte Psychose gehabt habe.
Frau war polizeibekannt
Die Frau war am Donnerstag trotz Erster-Hilfe-Maßnahmen an ihren Verletzungen gestorben. Sie sei nicht dem "klassischen Drogenmilieu" zuzurechnen gewesen, sagte Staatsanwalt Ide, wohl aber darin vernetzt.
Die 20-Jährige habe zuletzt einen "Unterschlupf" in Schwalmstadt, aber seit mindestens einigen Wochen keinen festen Wohnsitz gehabt. Zuvor habe sie im Raum Gießen gelebt. Obdachlos sei sie nach aktuellen Erkenntnissen aber nie gewesen.
Sie sei nicht vorbestraft, aber polizeibekannt gewesen - allerdings nie wegen der Gefährdung anderer. Demnach hatte sie mehrere Einträge im Bundeszentralregister. Zwei Verfahren wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl seien eingestellt worden, weil sie zum Tatzeitpunkt jünger als 21 Jahre alt gewesen sei, so Ide.
Im Oktober 2023 wurde wegen des Verdachts der Trunkenheit im Verkehr, Urkundenfälschung, Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetzes gegen sie ermittelt.
Innenminister drückt Anteilnahme aus
Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) war noch am Donnerstag zum Tatort in Schwalmstadt gereist, um den Einsatzkräften seine Anteilnahme und Wertschätzung zu zeigen.
"Es ist gerade bei einem solchen Ereignis wichtig, dass die Beamtinnen und Beamten wahrnehmen, dass es Rückendeckung für ihre Tätigkeit gibt", sagte er.