Eine kolumbianische und eine deutsche Pflegekraft stützen einen dementen Rentner.

Niedersachsen Zukunft der kolumbianischen Pflegehelfer in Wilstedt bleibt unklar

Stand: 15.11.2024 20:55 Uhr

Weil ihre Asylanträge abgelehnt wurden, droht zehn Pflegehelfern eines Heims in Wilstedt die Abschiebung nach Kolumbien. Das Haus müsste dann schließen, warnt die Heimleitung. Sie hat eine Petition gestartet.

Am Freitagnachmittag hatte die von den Heimbetreibern und den Angehörigen der Heimbewohnenden auf der Plattform innn.it veröffentlichte Petition für den Verbleib der Kolumbianer bereits knapp 36.000 Unterschriften. Angeblich drohe die Abschiebung der Pflegekräfte bereits am 16. November. Das Innenministerium in Hannover widerspricht dieser Darstellung. Am Donnerstag hieß es aus dem Ministerium, man prüfe aktuell die einzelnen Fälle.

Landesregierung äußert Bedauern

Die niedersächsische Landesregierung hat den Fall der ausreisepflichtigen kolumbianischen Mitarbeiter eines Pflegeheims bedauert. "Das ist eine absurde Situation, die die Landesregierung außerordentlich bedauert", sagte Regierungssprecherin Anke Pörksen am Freitag in Hannover. Der Landesregierung seien jedoch die Hände gebunden.

Alle Betroffenen besitzen eine Arbeitserlaubnis

Die Leitung des Pflegeheims für Demenzkranke in Wilstedt im Landkreis Rotenburg hatte sich am Dienstag mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Demnach drohe zehn aus Kolumbien stammenden Pflegekräften die unmittelbare Abschiebung und dem "Haus Wilstedt" damit wegen Personalmangels das Aus. In dem Schreiben verlangen die Unterzeichnenden, darunter die Heimleiter Andrea und Tino Wohlmacher, die Abschiebungen auszusetzen. Sollten die zehn Pflegehelferinnen und Pflegehelfer abgeschoben werden, verliert das Heim nach eigenen Angaben ein Drittel seiner Pflegekräfte. Nach Auskunft der Heimbetreiber besitzen alle Kolumbianer eine Aufenthaltserlaubnis bis Juni kommenden Jahres und hätten zudem eine Arbeitserlaubnis bis 2027, einige sogar bis 2028. 

Offener Brief: Asylanträge der Pflegekräfte wurden abgelehnt

Die kolumbianischen Pflegerinnen und Pfleger haben nach Angaben der Heimleitung Asylanträge gestellt und diese ausreichend begründet. Eine Pflegerin sei beispielsweise vor Schutzgeldforderungen an ihre Familie geflohen. Ein anderer Pfleger sei vor der Befreiungsarmee geflohen, die bereits einen Familienangehörigen getötet hatte. Zudem lebten die Beschäftigten in Mietwohnungen, engagierten sich beruflich und in Vereinen und ihre Kinder gingen zur Schule, teilte das Pflegeheim weiter mit. Allerdings wurden die Asylanträge laut offenem Brief abgelehnt mit der Begründung, dass Kolumbien als sicheres Herkunftsland gilt.

Anerkennungsquote für Asylanträge aus Kolumbien: 0,6 Prozent

Nach Angaben des Ministeriumssprechers beträgt die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus Kolumbien etwa 0,6 Prozent. Ein sogenannter Spurwechsel sei nicht möglich. "Wenn Sie einen Asylantrag stellen und dieser abgelehnt wird, haben Sie nicht die Möglichkeit, in die Fachkräftezuwanderung zu wechseln. Dieser Spurwechsel ist gesetzlich nicht möglich, er ist nicht erlaubt, er ist ausgeschlossen." Der Landkreis Rotenburg hat mitgeteilt, dass es sich bei den Kolumbianern nicht um Fachkräfte, sondern um "ungelernte Hilfskräfte" handelt - zumindest also um Arbeitskräfte, die nicht nach deutschen Standards ausgebildet sind.

Ministerium: "Das falsche Tor nach Deutschland"

Laut geltendem Einwanderungsrecht können sich Asylbewerbende, die zum Stichtag 29. März 2023 im Asylverfahren waren und bereits hier arbeiten, um einen Daueraufenthalt als Fachkräfte bewerben. Dies gelte jedoch nur für Personen, die ihren Asylantrag rechtzeitig zurückgezogen hätten, sagte der Ministeriumssprecher. Die kolumbianischen Pflegekräfte hätten "schlicht das falsche Tor nach Deutschland" gewählt. Den zehn Betroffenen bleibe als letzter Ausweg, sich an die Härtefallkommission des Landes Niedersachsen zu wenden.

Bewohner könnten in Psychiatrie eingewiesen werden

Sollte es zu einer Abschiebung des kolumbianischen Pflegepersonals kommen, befürchten die Angehörigen, dass die 48 demenzkranken Bewohnerinnen und Bewohner auf weit entfernte Einrichtungen aufgeteilt werden. Jede gravierende Änderung im Leben Demenzkranker sei für sie ein großes Problem, heißt es in dem offenen Brief: "Möglicherweise müssen sie in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden, um Verhaltensauffälligkeiten medikamentös wieder zu regulieren." Da würden die Bewohnerinnen und Bewohner aber nicht hingehören.

Heimleiter rechnet nicht damit, neues Personal zu finden

"Es ist absolut unverständlich, warum Menschen, die so gut integriert sind, hier Steuern zahlen und das Sozialsystem stützen, abgeschoben werden sollen", so Einrichtungsleiter Tino Wohlmacher. Wegen des Pflegenotstands rechne er nicht damit, neues Personal zu finden. Wohlmacher ist der Ansicht, dass seine aus Kolumbien stammenden Pflegekräfte einen "wertvollen Beitrag" für die Gesellschaft leisten. "Die Landesregierung und Bundesminister sind gefordert, hier schnell einzugreifen und zu helfen."

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 14.11.2024 | 12:00 Uhr