Nordrhein-Westfalen Scholz-Vorschlag: Sinkt bald die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel?
Kanzler Scholz möchte den Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel senken. Das soll die Bürger entlasten. Was der Vorschlag mit Wahlkampf zu tun hat - und was er für uns bedeuten würde.
Der einfache Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel soll von sieben auf fünf Prozent sinken - wenn es nach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht. "Das würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen. Und es wäre für den Bundeshaushalt keine übermäßige Belastung", sagte er am Dienstagabend im ARD-Tagesthemen-Interview. Trotz des Rückgangs der Energiekosten würden viele die Inflation noch stark spüren.
Auf die Frage, ob er auch den Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie senken würde, sagte der SPD-Politiker, dass es nun erst einmal wichtig sei, "dass wir etwas sehr Überschaubares machen, was jeder beim täglichen Bedarf jeden Tag merkt". Ein Vorschlag, der Fragen aufwirft.
Kanzler Olaf Scholz (SPD)
Zumindest zeitlich passt der Vorstoß von Scholz bestens in den Wahlkampf: Sein Vorschlag kam nur einen Tag bevor der Kanzler am Mittwoch in einem Schreiben an den Bundestag eine Abstimmung über die Vertrauensfrage kommenden Montag beantragen will.
Sollte er diese Abstimmung wie erwartet verlieren, wäre Scholz nur noch als geschäftsführender Kanzler bis zu der geplanten Neuwahl am 23. Februar im Amt. Damit wäre der bereits anlaufende Wahlkampf auch offiziell eröffnet.
Fest steht: Die SPD hat offenbar ihre Haltung geändert. Denn als CSU-Chef Markus Söder 2023 sogar ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gefordert hatte, meinte der damalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, es gebe "bessere Vorschläge" zur Entlastung von Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen.
Das dürfte schwierig werden: Bis zur Bundestagswahl ist der Spielraum für Entscheidungen von Kanzler Scholz eng begrenzt. Denn seine rot-grüne Regierung hat nach dem Bruch der Ampel-Koalition keine Mehrheit mehr im Bundestag.
Unionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU)
Eine ausreichende Unterstützung von Oppositionsparteien ist nicht zu erwarten. Zumal die Union den Vorschlag von Scholz ablehnt: "Es macht jetzt natürlich keinen Sinn, wenige Tage vor der Wahl sozusagen mit Wahlgeschenken um die Ecke zu kommen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, am Mittwoch den Sendern RTL und NTV.
Grundsätzlich gibt es in Deutschland für Lebensmittel den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Dieser gilt allerdings nicht für alle Produkte, sondern nur für Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte sowie Backwaren. Für Genussmittel wie Schokolade oder alkoholische Getränke liegt der Mehrwertsteuersatz jedoch bei 19 Prozent.
Der Paragraf 12 des Umsatzsteuergesetzes regelt, welche Steuersätze für welche Produkte gelten. Die Anlage 2 zu diesem Paragrafen umfasst eine Liste von Lebensmitteln, für die der einfache Steuersatz von sieben Prozent gilt. Dabei gibt es an den Einordnungen auch Kritik: So seien für einen "Coffee to go" mit einem Schuss Milch 19 Prozent fällig, erläuterte der Bundesrechnungshof - für Latte Macchiato mit aufgeschäumter Milch und Espresso aber sieben Prozent.
Das kommt auf die Konsumgewohnheiten der Verbraucherinnen und Verbraucher an und auf die Mengen, die jeweils eingekauft werden. Wer wissen möchte, wie hoch die Entlastung durch den Scholz-Vorschlag ist, kann das für sich an Beispielen zumindest abschätzen.
Ersparnis von vier Cent bei Butter
Besonders teuer ist momentan Butter, wie eine Tagesschau-Analyse im Oktober ergeben hat. Derzeit kostet ein 250-Gramm-Päckchen in Supermärkten und Discountern ab 2,39 Euro - bei aktuell sieben Prozent Mehrwertsteuer. Bei dem geplanten Steuersatz von fünf Prozent würde das Päckchen Butter derzeit also theoretisch 2,35 Euro kosten. Das wäre also eine Ersparnis von vier Cent.
Frische Vollmilch kostet beim Discounter derzeit etwa 1,25 Euro - inklusive der sieben Prozent Mehrwertsteuer. Bei fünf Prozent wäre der Preis dafür bei 1,23 Euro. Die Einsparung beträgt in diesem Fall 2 Cent.
Inwiefern eine Senkung bei den privaten Haushalten ankäme, ist umstritten. Jedes Unternehmen entscheide für sich, ob es eine Steuerersparnis weitergebe - ob die Endverbraucher profitierten, sei daher ungewiss, erläuterte etwa der Bundesrechnungshof. Und: Auch aus anderen Gründen kann der Preis schwanken.
Laut Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung, würde ein Zweipersonenhaushalt, der 450 Euro im Monat für Lebensmittel zum reduzierten Steuersatz ausgibt, durch die Maßnahme etwa acht Euro im Monat sparen. Allerdings nur, wenn die Steuersenkung vom Handel vollständig in niedrigeren Preisen weitergegeben werde.
VdK-Präsidentin Verena Bentele
Zustimmung kommt vom Sozialverband VdK. Für ihn geht der Kanzler-Vorschlag in die richtige Richtung, aber noch nicht weit genug. "Durch die nach wie vor hohe Inflationsrate, vor allem bei Lebensmitteln, kommen immer mehr Menschen an ihre finanziellen Grenzen", sagte Präsidentin Verena Bentele.
Geringverdienende, arme Rentner und Grundsicherungsempfänger litten besonders darunter. Der VdK forderte daher, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf null Prozent zu senken.
Das gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Der Finanzwissenschaftler Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bezeichnete eine Ermäßigung von sieben auf fünf Prozent als teuer und wenig treffsicher.
"Es stimmt zwar, dass Lebensmittel im Warenkorb ärmerer Haushalte wichtiger sind", sagte Heinemann am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. "Dennoch gibt es große Mitnahmeeffekte im Mittelstand und bei den Wohlhabenden, sie alle würden davon profitieren." Außerdem müsse die Gemeinschaft aller Steuerzahler für die Einnahmeausfälle aufkommen.
Nach Einschätzung von ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hingegen würde eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel einkommensschwachen Haushalten helfen. "Für sie machen die Lebensmittel ja einen relativen höheren Anteil an den Gesamtausgaben als bei einkommensstarken Haushalten."
Der Vorschlag von Scholz leiste "einen kleinen Beitrag" dazu, "die soziale Schere angesichts der hohen Inflation der letzten Jahre nicht noch weiter auseinandergehen zu lassen".
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen Reuters, DPA und AFP
- ARD-Tagestemen-Interview mit Olaf Scholz
- ARD-Tagesschau-Analyse der Butter-Preise
- Liste der dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegenden Gegenstände