Ministerpräsident Schweitzer fordert bundesweite Lösung

Fakten zum Fall des aggressiven Flüchtlings in Windesheim

Stand

Ein Geflüchteter aus Afghanistan soll Mitbewohner bedroht und angegriffen haben. Er lebt nun in einem Container neben einer Flüchtlingsunterkunft in Windesheim bei Bad Kreuznach, die rund um die Uhr bewacht wird.

Der Geflüchtete sei im September 2023 in den Landkreis Bad Kreuznach gekommen, erklärt die Landrätin des Kreises, Bettina Dickes (CDU), dem SWR. Zunächst habe er mit zwei anderen Männern in einer Wohngemeinschaft in einem kleinen Ort in der Verbandsgemeinde Rüdesheim im Landkreis Bad Kreuznach gelebt.

Warum ist der Mann den Behörden negativ aufgefallen?

In der Unterkunft in dem kleinen Ort habe es immer wieder Ärger gegeben, berichtet der Bürgermeister der Verbandsgemeinde, Markus Lüttger (CDU): "Der junge Mann ist in der Wohngemeinschaft mit einem Stock auf seine Mitbewohner losgegangen, hat Porzellan kaputt geschlagen und Scheiben eingeworfen."

Seine Bedrohungen hätten oft religiösen Bezug gehabt, so Lüttger, er habe seinen Mitbewohnern vorgeworfen, ihren Glauben nicht richtig zu leben und sie nachts geweckt, um sie zum Beten zu bewegen.

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Warum kam er in die Unterkunft in Windesheim?

Die Mitbewohner hätten sich zunehmend bedroht gefühlt, so der Bürgermeister, und so habe die Verwaltung entschieden, den Mann in eine Notunterkunft zu verlegen.

Vor wenigen Monaten sei der 20-Jährige dann in die Unterkunft für Flüchtlinge in Windesheim gezogen. "Wir dachten, dort beruhigt sich die Lage, weil er auch betreut wird", so Lüttger. Doch auch dort habe sich der Mann weiter aggressiv verhalten. Bewohner und auch Mitarbeiter der Unterkunft hätten Sorgen und Ängste geäußert.

Laut Landrätin Dickes wurde dann überprüft, ob der Mann in die Psychiatrie eingewiesen werden muss. Eine Ärztin des Gesundheitsamtes und eine Sozialarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes hätten ihn begutachtet. "Nach deren Aussage waren zu diesem Zeitpunkt keine akuten Anhaltspunkte für eine Einweisung feststellbar", so Dickes.

Der Kreis habe sich daraufhin entschieden, den Mann in einem eigenen Container unterzubringen. Für die restliche Unterkunft habe man ihm ein Hausverbot erteilt. An gemeinsamen Mahlzeiten mit den anderen Geflüchteten nehme er nicht teil, das Essen werde ihm gebracht.

Wie wird der Mann bewacht?

Wie Landrätin Dickes erklärt, wurde ein privater Sicherheitsdienst engagiert, der die Unterkunft mit zwei Personen rund um die Uhr bewacht. Das koste den Kreis jeden Monat 40.000 Euro.

Allerdings könnten die Sicherheitsleute dem Mann auch nicht auf Schritt und Tritt folgen, so Dickes: "Wenn er weg ist, ist er weg." Aber zumindest sei so die Sicherheit innerhalb der Einrichtung gewährleistet, sowohl des Personals als auch der Bewohner.

Was kann die Justiz aktuell tun?

Gegen den Afghanen wurden vier Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung erstattet. Dafür wird er sich demnächst vor dem Bad Kreuznacher Amtsgericht verantworten müssen.

Ich kann nachvollziehen, dass die Situation als unbefriedigend empfunden wird, für meinen Bereich sehe ich derzeit jedoch keine weiteren Handlungsmöglichkeiten.

Der Leitende Bad Kreuznacher Oberstaatsanwalt Gerd Deutschler sagte nach Bekanntwerden des Falls, dass diese Taten allerdings nicht so schwerwiegend seien, dass sie eine strafrechtliche Freiheitsentziehung, also etwa Untersuchungshaft, rechtfertigen würden. Er könne gut verstehen, wenn das von vielen Menschen als unbefriedigend empfunden werde, so Deutschler. Aber diese Grenzen gebe der Rechtsstaat eben vor.

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Warum wurde der Mann noch nicht abgeschoben?

In einem Brief, der dem SWR vorliegt, hatte sich Landrätin Dickes im vergangenen November an das von den Grünen geführte rheinland-pfälzische Integrationsministerium gewandt und die Abschiebung des Mannes gefordert.

Es kann nicht sein, dass nach Gewalttaten von Flüchtlingen immer gefragt wird, warum die Behörden nichts getan haben. Hier wollen wir was tun, und können es nicht. Wir sind ohnmächtig.

Dass das Ministerium erst Mitte Januar geantwortet habe, nannte Dickes "unbefriedigend".

In dem Antwortschreiben, das dem SWR ebenfalls vorliegt, schreibt ein Abteilungsleiter des rheinland-pfälzischen Integrationsministeriums, er verstehe die "Bedenken hinsichtlich des Verhaltens" des Geflüchteten "sowie der Sicherheitslage sowohl für Mitbewohner als auch für das Personal in den Unterkünften". Die geschilderten Vorfälle seien "in der Tat besorgniserregend".

Das Ministerium habe die zuständigen Stellen bereits gebeten, die notwendigen Schritte für eine schnelle Abschiebung einzuleiten. Man stehe in engem Austausch mit der für die Beendigung des Aufenthalts zuständigen Ausländerbehörde. Denn der Asylantrag des Mannes sei "unanfechtbar abgelehnt" worden.

Und was macht der Bund?

Auf SWR-Anfrage teilte das Ministerium mit, Rückführungen nach Afghanistan seien grundsätzlich im Einzelfall möglich, hingen aber davon ab, ob der Bund weitere Rückführungsflüge organisieren könne. Integrationsministerin Katharina Binz (Grüne) sagte dem SWR, das Beispiel Windesheim zeige die Schwierigkeiten, die es in solchen Fällen gebe, da es keine diplomatischen Beziehungen mit den Taliban gebe.

Es gibt keine diplomatischen Beziehungen mit den Taliban, aus guten Gründen, und deshalb ist es nicht einfach, Menschen zurückzuführen und es kann nur durch komplexe Bemühungen des Bundes gelingen.

Das rheinland-pfälzische Integrationsministerium nutze "stets alle Möglichkeiten, Straftäter und Gefährder, wenn dies rechtlich möglich ist, in ihre Herkunftsstaaten zurückzuführen" und setze sich auf bundespolitischer Ebene dafür ein. Die finale Entscheidung über die abzuschiebenden Personen treffe aber das Bundesinnenministerium.

Warum wird der Geflüchtete nicht eingesperrt, bis alle Formalitäten geregelt sind?

Wie die Kreisverwaltung Bad Kreuznach am Montag mitteilte, hat der Flüchtling keine Papiere bei sich. Die Ausländerbehörde habe in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Ministerium schon "alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Identitätsklärung ergriffen", heißt es in der Mitteilung des Kreises. Der Afghane verweigere aber seine Mitwirkung, was dazu führe, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet bis zur Klärung der Identität geduldet werden müsse. Eine Abschiebehaft könne erst angeordnet werden, wenn ein konkreter Rückführungstermin feststehe.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Der Deutsche Bundestag hat am 29. Januar dem Migrationsantrag der CDU mehrheitlich zugestimmt. Darin spricht sich die CDU unter anderem für einen Ausreisearrest für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder aus. Das heißt, abgelehnte Asylbewerber, die gleichzeitig als gefährlich gelten oder wegen schwerer Straftaten eine Gefängnisstrafe abgesessen haben, sollen mit einem Ausreisearrest so lange festgesetzt werden, bis sie abgeschoben werden können. Diesen Ausreisearrest können sie jederzeit selbst beenden, indem sie freiwillig in ihr Heimatland zurückreisen.

Gernot Ludwig aus der SWR-Redaktion Landespolitik geht davon aus, dass sich eine solche Regelung auch auf den abgelehnten Asylbewerber in Windesheim anwenden ließe. Das hinge davon ab, wie der Bundestag eine solche Regelung konkret formulieren würde. Und: Der Bundestag müsse eine solche Regelung erst Mal auf den Weg bringen.

Bei Verschärfungen des Aufenthaltsrechts gelten die Grünen oft als Bremser. Wie steht das grün geführte Integrationsministerium in Rheinland-Pfalz zu dem Thema?

Integrationsministerin Binz hat sich vergangene Woche im Landtag ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder in einen Ausreisearrest kommen. Die Abschiebung solcher Menschen scheitere oft daran, dass die Herkunftsländer nicht kooperieren, so die Grünen-Politikerin. Sie unterstütze deshalb Überlegungen, einen Ausreisearrest einzuführen. Ein solcher Arrest sei in Rheinland-Pfalz aber nur möglich, wenn der Bund entsprechende Gesetze ändere. 

Was sagen Ministerpräsident Schweitzer (SPD) und die Bundestagsabgeordnete Klöckner (CDU) zu dem Fall?

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer fordert neue Möglichkeiten zur Unterbringung von aggressiven Flüchtlingen. Schweitzer sagt, es müsse eine bundesweite Lösung zur Bewachung geben, solange der Mann nicht abgeschoben werden kann.

Weil Windesheim im Wahlkreis der CDU-Bundestagsabgeordneten Julia Klöckner liegt, hat auch sie sich in die Debatte um den Fall eingeschaltet. In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb sie: "Aufgrund seines unberechenbaren Verhaltens und der geschilderten Radikalisierung, halte ich es für dringend erforderlich, diese Person sehr zeitnah abzuschieben." Das hänge am Bund, der Rückführungsflüge nach Afghanistan zu organisieren habe. 

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