Bei den Missbrauchsfällen im Bistum Trier nimmt ein Bericht die Rolle von Bischof Spital in den Blick.

Rheinland-Pfalz Missbrauch im Bistum Trier: Viele Intensivtäter unter Bischof Spital

Stand: 24.07.2024 16:45 Uhr

Auch in der Amtszeit von Bischof Hermann Josef Spital konnten Priester offenbar Kinder missbrauchen, ohne harte Sanktionen fürchten zu müssen. Das geht aus einem neuen Bericht über sexuellen Missbrauch im Bistum hervor, den Historiker am Mittwoch vorgestellt haben.

Pfarrer V. inszeniert sich in den 1990er-Jahren als selbstloser Helfer in der Ukraine. Doch hinter der Maske des Wohltäters versteckt sich ein Sexualstraftäter. In mindestens 28 Fällen soll sich der Priester an Kindern vergangen haben.

Im November 1994 verurteilt ihn das Amtsgericht Saarbrücken zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Im Bistum sind die Vorwürfe damals bekannt. Verantwortlich: Der damalige Trierer Bischof Hermann Josef Spital. Er beurlaubt V. zunächst, schickt ihn dann in Therapie und versetzt ihn schließlich in die Ukraine zum Hilfswerk Renovabis, dem Osteuropa-Hilfswerk der katholischen Kirche.

"Milder Umgang" - Keine kirchenrechtlichen Verfahren in der Ära Spital

Typischer Umgang mit Missbrauchstätern

Der Fall ist offenbar beispielhaft für den Umgang von Bischof Hermann Josef Spital mit Straftätern in den eigenen Reihen. Das geht auch aus dem neuen Zwischenbericht hervor, den Historiker der Universität Trier am Mittwochnachmittag vorgestellt haben. Spital war von 1981 bis 2001 Bischof von Trier. 

"Spital setzte auf professionelle Therapien"

1.000 Akten ausgewertet

Grundlage bilden mehr als 1.000 ausgewertete Akten und 20 Gespräche mit Betroffenen und Zeitzeugen, die die Wissenschaftler vom "Projekt zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier" geführt haben. Damit wollten die Wissenschaftler Licht ins Dunkel der Jahre 1981 bis 2001 bringen - in die Missbrauchsfälle während der Amtszeit von Bischof Hermann Josef Spital. Vergangenes Jahr hatten sich die Fachleute bereits mit Bischof Bernhard Stein befasst, der von 1967 bis 1981 Missbrauchstaten von Priestern vertuscht haben soll.

Versetzen statt bestrafen

Doch auch in der Zeit danach sei der Umgang der Kirche mit Missbrauchstätern "befremdlich" gewesen, wie es im Bericht heißt. Anfänglich hätten der Bischof und die eingeweihten Geistlichen die Straftaten als Bagatellen bewertet. Manchmal wurden die Täter ins Ausland geschickt oder als Seelsorger in Altenheime versetzt. "Man hat die Vorwürfe auf die leichte Schulter genommen", sagt die Historikerin Lena Haase, die an dem Bericht mitgeschrieben hat: "Man ist da eher milde umgegangen mit den Verurteilten - in pastoraler Zuwendung, würde man vielleicht sagen." Zur Anzeige gebracht wurde in dieser Zeit keine einzige Tat von der Kirche selbst: "Es waren immer Dritte, die die Vorfälle gemeldet haben."

Die Historikerin Lena Haase von der Universität Trier ist eine der Autorinnen des neuen Missbrauchsberichtes.

Die Historikerin Lena Haase von der Universität Trier ist eine der Autorinnen des neuen Missbrauchsberichtes.

Robbers sieht auch "Schritte in die richtige Richtung"

In diesem Vorgehen sieht auch Gerhard Robbers, der Leiter der Aufarbeitungskommission im Bistum Trier, einen Versuch, "den Ruf der Kirche zu schützen und Missbrauchsfälle unter den Teppich zu kehren". Gleichwohl sieht er auch Verbesserungen beim Umgang mit dem Missbrauch gegenüber Spitals Vorgänger Bernhard Stein. Dieser habe die Taten der Priester bewusst vertuscht, wie Robbers hervorhebt.

Der frühere rheinland-pfälzische Justizminister Gerhard Robbers ist Vorsitzender der Aufarbeitungskommission im Bistum Trier.

Der frühere rheinland-pfälzische Justizminister Gerhard Robbers ist Vorsitzender der Aufarbeitungskommission im Bistum Trier.

"Es gab in Spitals Amtszeit auch schon Schritte in die richtige Richtung", findet Robbers. So sei der Bischof erstmals auf die Familien von Betroffenen zugegangen und habe mit ihnen das Gespräch gesucht. Außerdem gab es ab den Neunzigern immerhin Therapien für die Missbrauchspriester - wenn auch mit mäßigem Erfolg. Und so seien Täter laut Bericht immer wieder rückfällig geworden.

Mehrere Intensivtäter mit mehr als zehn Opfern

49 Beschuldigte konnten die Wissenschaftler insgesamt ausmachen, 194 Betroffene identifizieren, vor allem kleine Jungen. Das sind zwar etwas weniger als in der Ära Bernhard Stein. Dafür habe es aber eine Reihe von Intensivtätern gegeben, die mehr als zehn Opfer missbraucht haben, weitestgehend unbehelligt von ihren Vorgesetzten. Was sie alle eint, sagt Historikerin Lena Haase: "Sie waren zugewandt, waren sehr aktiv in der Kinder- und Jugendarbeit und eigentlich angesehen in der Gemeinde."

Da wäre zum Beispiel der Priester Claus Weber, der sich seit 1978 in Trier und später in seinen Waisenhäusern in Bolivien immer wieder an Kindern vergangen hat - und das ohne dass jemand eingeschritten wäre. Oder auch Edmund Dillinger, der saarländische Priester, der über Jahrzehnte hinweg mindestens 19 Menschen missbraucht haben soll. Beide starben, bevor die Vorwürfe öffentlich bekannt wurden. Sie mussten weder kirchenrechtliche noch strafrechtliche Verfolgung fürchten.

Folge von Missbrauch: Depression, Angst, Selbstmord

Ihre Opfer hingegen leiden bis heute, heißt es in dem Bericht der Wissenschaftler. Ein Teil der Betroffenen sei durch die Taten traumatisiert worden. Typische Diagnosen sind: Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen, Alkohol- und Drogensucht. Drei Menschen hätten sich kurz nach den Taten das Leben genommen.

Diese Vorfälle seien "unerträglich", schreibt Bischof Stephan Ackermann in einer Stellungnahme zum neuen Missbrauchtsbericht. Weiter erklärt Ackermann, dass die damaligen "Machtstrukturen und Rollenverständnisse in der Kirche den sexuellen Missbrauch von Kindern begünstigt hätten". Die Kirche habe die Aufklärung und Ahndung der Taten verhindert, so der Bischof, der sich nach eigener Aussage dafür einsetzen will, dass die Kirche ein sicherer Raum für die Gläubigen bleibt.

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann

Bischof Stephan Ackermann kritisiert den Umgang seines Vorgängers Hermann Josef Spital mit den Missbrauchsfällen im Bistum Trier.

MissBit stört sich an Formulierung im Bericht

Von der Organisation MissBit, die sich für Betroffene im Bistum Trier einsetzt, wird der aktuelle Bischof hingegen selbst immer wieder für seinen Umgang mit dem Thema kritisiert. Und auch am aktuellen Missbrauchsbericht stört Sprecher Hermann Schell vor allem eine Formulierung. In dem Bericht heißt es nämlich, Bischof Spital habe keine Taten "aktiv vertuscht". Das hingegen sieht Schell anders: "Vertuschung ist für mich jede Zurückhaltung von Informationen. Man geht hier zu vorsichtig mit dem Begriff um."

Hermann Schell ist Sprecher der Organisation MissBit, die sich für Betroffene von Missbrauch im Bistum Trier einsetzt.

Hermann Schell ist Sprecher der Organisation MissBit, die sich für Betroffene von Missbrauch im Bistum Trier einsetzt.

Bischöfe haben Missbrauch offenbar unterschätzt

Die Wissenschaftler benennen in ihrem Bericht aber trotzdem klare Fehler von Spital. Der Bischof habe die Gefahr durch die Täter unterschätzt und den Priestern zu viel Vertrauen geschenkt. Sein Verhalten bewerten die Historiker im Rückblick als "völlig unangemessen angesichts des hohen Rückfallrisikos gerade von Intensivtätern". Keine gute Rolle hat offenbar auch Weihbischof Leo Schwarz gespielt. Er soll persönliche Verbindungen zu den beschuldigten Priestern gehabt haben - zum Beispiel zu Claus Weber. Und das habe sein Urteilsvermögen getrübt.

Der ehemalige Trierer Bischof Hermann-Josef Spital in einer Pressekonferenz im Jahr 1999.

Hat auch Bischof Hermann Josef Spital Missbrauchs-Fälle vertuscht? Spital war von 1981 bis 2001 Bischof von Trier - hier zu sehen während einer Pressekonferenz im Jahr 1999.

Bischof Spital und Weihbischof Schwarz genossen in Trier einen guten Ruf. "Ein Vorbild, ein überzeugender geistlicher Mensch, der mit ganzer Kraft für die Kirche gearbeitet hat" - so spricht der damalige Trierer Bischof Reinhard Marx noch 2007 über seinen gerade verstorbenen Vorgänger. Spital setzte sich für Arbeitslose und in der Friedensbewegung ein. Er galt als liberal und sozial engagiert.

Dennoch: Wie falsch der Umgang der beiden mit Missbrauchspriestern war, zeigt der Fall V. in der Ukraine. Trotz Therapie und Versetzung hörte der Priester nicht auf. Er missbrauchte laut Bericht in der Ukraine zwei Jungen im Alter von 13 und 16 Jahren.

Wissenschaftler wollen auch Rolle von Bischof Ackermann untersuchen

Der aktuelle Bericht soll noch nicht der Abschluss der Aufarbeitung sein. Auch die Amtszeiten der Trierer Bischöfe Reinhard Marx und Stephan Ackermann wollen die Wissenschaftler untersuchen. Das Projekt zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle läuft noch bis Ende 2025.

Sendung am Mi., 24.7.2024 14:30 Uhr, SWR4 RP Studio Trier

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