Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff war auch in Rheinland-Pfalz tätig - unter anderem in Heimen im Kreis Ahrweiler und dem Westerwald. Nach einer WDR-Dokumentation hatten sich viele Menschen gemeldet, die als Kinder und Jugendliche von dem Bonner Psychiater behandelt wurden. Er soll ihnen unter anderem jahrelang Psychopharmaka verschrieben haben, die sedierend wirken und schwerste Nebenwirkungen haben können - und das zum Teil ohne Diagnose.
Opferanwalt: Betroffene leiden bis heute unter Nebenwirkungen
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm deshalb gefährliche Körperverletzung durch Beibringung von Gift vor. Die insgesamt 36 Taten sollen sich demnach zwischen 2004 und 2021 ereignet haben. Durch den sedierenden Effekt des Medikaments sollten die Kinder laut Anklage für die von dem Angeklagten vertretenen autoritären Erziehungsmethoden gefügig gemacht werden. Diese Erziehungsmethoden habe er den Erziehungsberechtigten empfohlen.
Laut Anklage soll er sie aber nicht umfassend über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt haben. Stattdessen habe er ihnen erklärt, das Medikament Pipamperon mache die Kinder emotional erreichbar. "Dieser angebliche Wirkmechanismus ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar", sagte die Staatsanwältin am ersten Prozesstag.
Viele Kinder fühlten sich laut Anklage "wie Roboter", als Winterhoff sie mit dem Medikament behandelte. Die Betroffenen leiden laut einem Opferanwalt bis heute seelisch und auch körperlich unter den Folgen. Bei vielen Patienten sind den Angaben zufolge Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Bewegungssteifheit und erhebliche Gewichtszunahmen aufgetreten.
Winterhoffs Verteidigerin bestreitet Vorwürfe
Winterhoffs Verteidigerin wies die Vorwürfe am ersten Verhandlungstag zurück. Ihr Mandant habe das Medikament nicht standardmäßig verschrieben, um Patienten ruhigzustellen, sondern nur "als flankierende Maßnahme" mit medizinischem Grund. Es gebe keine Beweise, dass Winterhoffs medikamentöse Behandlung Schäden verursacht habe.
Kinderpsychiater hatte Praxis Ende 2021 geschlossen
Der Kinderpsychiater, der seine Praxis Ende 2021 geschlossen hat, stand vor dem Prozess für ein Interview nicht zur Verfügung. Er erklärte schriftlich, Medikamente nur eingesetzt zu haben, wenn es medizinisch klar notwendig gewesen sei, Patienten also nicht mehr in der Lage waren, angemessen auf eine soziale Ansprache zu reagieren oder am schulischen Alltag teilzuhaben.
Die Sorgeberechtigten seien stets ordnungsgemäß aufgeklärt worden und die Verordnungen nicht systematisch erfolgt. Dass eine Weiterbehandlung notwendig ist, sei regelmäßig überprüft worden. Die Dosierung sei so gewählt worden, dass Nebenwirkungen, insbesondere Sedierungen, vermieden würden.
Patientenakten und Beweismaterial bei Durchsuchungen gesichert
Seit mehreren Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Kinderpsychiater. In der Folge hatten zahlreiche Kriminalbeamte 15 Kinderhilfe-Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen durchsucht, in denen Winterhoff tätig war. Dabei wurden Patientenakten und umfangreiches Beweismaterial beschlagnahmt.
Das Bonner Landgericht hat für den Prozess rund 40 Verhandlungstage bis Ende Juli angesetzt.