Saarland Logopäden helfen auch gesunden Patienten
Zum Logopäden geht man normalerweise, wenn man zum Beispiel lispelt oder stottert. Immer wieder kommt es aber vor, dass Menschen beim Logopäden sitzen, ohne überhaupt ein medizinisches Problem zu haben. Woran das liegt.
Max Zettler / Onlinefassung: Axel Wagner
„Was fällt Dir dazu ein?“, fragt die Logopädin den Jungen in ihrer Therapiezimmer. „Orange! Ähhmm … Banane! Äpfel!“, antwortet er. Deutsch ist nicht seine Muttersprache. Gemeinsam erarbeiten die beiden gerade Wörter zum Thema Obst.
Ein geringer Wortschatz kann zwar auf ein logopädisches Problem zurückzuführen sein. Gerade bei mehrsprachigen Kindern wie dem Jungen ist aber manchmal gar nicht sicher, ob eine Entwicklungsstörung oder die Sprachbarriere die Ursache ist.
Enormer Leidensdruck bei Kindern und Familien
„Es kam durchaus mal vor, dass Patienten, gerade Kinder in erster Linie, ohne direkten logopädischen Befund oder eine logopädische Indikation zu uns kamen“, sagt J.P. Da Costa. Er ist Logopädie-Auszubildender im zweiten Lehrjahr.
Seine Kollegin Ellen Deutsch ergänzt: „Die Eltern und die Familien haben einen Leidensdruck, das Kind auch. Es möchte am Leben teilnehmen, am gesellschaftlichen wie auch am schulischen Leben zum Beispiel. Und da muss es natürlich auch einen fundierten deutschen Wortschatz haben.“
Schwierige Diagnose
Wortschatzerweiterung betreiben die beiden Logopädie-Azubis in ihren Therapien öfters. Dabei liegt manchmal gar kein medizinisches Problem vor. Die Diagnose „Sprachentwicklungsstörung“ sei aber gerade bei mehrsprachigen Patienten weder für Kinderärzte noch für Logopäden einfach, erklärt Lehrlogopädin und Mehrsprachigkeitsexpertin Sarah Schmeier aus Saarbrücken.
„Ein Kind, das erst seit Kurzem in Deutschland ist und sich einem Wortschatztest unterzieht, kann wahrscheinlich noch keine ausreichende Anzahl an Wörtern vorweisen, sodass es möglicherweise in diesem Diagnostikverfahren in einen Störungsbereich fallen würde, oder in eine Auffälligkeit“, so Schmeier. „De facto ist das aber gar nicht der Fall, weil die Wörter in der Erstsprache gar nicht berücksichtigt werden.“
Tests oft nur auf Deutsch
Das Problem: Die Materialien für die Diagnose liegen meist nur in einer Sprache vor – Deutsch. Es gibt zwar auch zweisprachige Materialien, und die machen nach Ansicht der Expertin auch eine präzisere Diagnose möglich. Nur gibt es davon zu wenig.
„Die Grammatiken von Sprachen beispielsweise sind ganz unterschiedlich aufgebaut“, erklärt Schmeier. „Das bedeutet: Was in der einen Sprache schon klappen muss, weil es ein relativ simpler Vorgang ist oder einer einfacheren Regel folgt, muss nicht auch für eine andere Sprache gelten. Es kann sein, dass beispielsweise die Verbkonjugation viel, viel komplexer ist. Und da dann auch gute Normwerte zu finden, mit denen wir das Kind klassifizieren, das ist die große Schwierigkeit.“
Systematisches Erfragen von Informationen
Im Idealfall bräuchte es Menschen, die gleich zwei Sprachen auf Muttersprachen-Niveau sprechen, um solche Materialien herzustellen, sagt Schmeier. Es gebe aber auch Alternativen. „Systematisches Erfragen von Informationen bei Eltern kann sehr, sehr hilfreich sein, um den Sprachstand zu beurteilen. Wie sieht es auf der Erstsprache aus? Wenn da alles klappt, dann können wir schon ein bisschen genauer nochmal nachfragen und auch eingrenzen.“
Auch Dolmetscher erleichtern die Diagnose – einige davon arbeiteten sogar ehrenamtlich, erklärt Schmeier.
Logopäden helfen trotzdem
Abgelehnt werden die mehrsprachigen Kinder in den logopädischen Praxen trotzdem selten. Denn wie es die beiden Azubis Ellen Deutsch und J.P. Da Costa schon betont haben: Der Leidensdruck ist da. Und da wollen die beiden auch helfen.
Auch Dolmetscher erleichterten die Diagnose - einige davon seien sogar ehrenamtlich. Abgelehnt werden die mehrsprachigen Kinder in den logopädischen Praxen trotzdem selten. Wie die Auszubildenden schon betonten: Der Leidensdruck ist ja da. Und da wollen die beiden auch helfen.
Sie verweisen auf ihre Verantwortung gegenüber den Kindern. „Sprache, Kommunikation ist auch ein Teil der Sozialisierung“, sagt Da Costa. „Ich möchte jemandem helfen, sich sozial zu integrieren. Und da gehört einfach die Sprache auch essenziell dazu. Wenn jetzt keine direkte logopädische Indikation vorliegt, heißt das immer noch nicht, dass ich als Logopäde nicht tätig sein muss.“
Über dieses Thema hat auch die SR 3 Region am Nachmittag vom 30.10.2024 berichtet.