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Sachsen-Anhalt Hoher Leerstand in Sachsen-Anhalt: Warum sich die Situation noch verschärfen könnte

Stand: 23.10.2024 08:40 Uhr

Bereits jetzt hat Sachsen-Anhalt die höchste Leerstandsquote aller Bundesländer. Jens Zillmann, Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft, erklärt im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT, warum kaum Besserung in Sicht ist – und welche Rolle "inakzeptable" Pläne der Landesregierung dabei spielen.

Von MDR SACHSEN-ANHALT
  • Vor allem in den ländlichen Regionen beklagen Wohnungsunternehmen in Sachsen-Anhalt immer höhere Leerstände.
  • Die Folge: Mieteinnahmen fehlen, Investitionen sind kaum möglich. Das liegt auch an der fehlenden Förderung, sagt Jens Zillmann vom Verband der Wohnungswirtschaft.
  • Die Ankündigung der Landesregierung, Mittel zur Städtebauförderung drastisch kürzen zu wollen, bezeichnet er als "Offenbarungseid".

Herr Zillmann, welche Gründe sehen Sie für den hohen Leerstand in Sachsen-Anhalt?

Jens Zillmann: Punkt eins: die Demografie. Im vergangenen Jahr wurden 13.500 Kinder geboren, 35.000 Menschen sind verstorben. Das bedeutet, dass sich eine Stadt so groß wie Köthen demografisch pulverisiert hat. Die zweite Ursache ist, dass kaum noch abgerissen wird. Angesichts der demografischen Entwicklung müsste mehr Wohnraum vom Markt genommen werden, der nicht mehr vermietbar ist. Dazu fehlen aber die finanziellen Mittel. Und der dritte Grund für den hohen Leerstand ist die fehlende Modernisierung. Wenn Unternehmen die Wohnungen energieeffizient und modern sanieren, Barrierefreiheit schaffen würden, wären auch die Mieter da. Aber auch dafür fehlt die Unterstützung, weil es vom Bund quasi gar keine und aus dem Land eine nur sehr eingeschränkte Wohnungsbauförderung gibt.

Die Menschen werden immer älter. Wir bräuchten mehr barrierefreie Wohnungen. Aber die wird es nicht geben. Jens Zillmann, Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt |

Welche Forderungen haben Sie an die Politik?

An den Bund: die Abkehr von dem Ziel der Bundesregierung, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen. Das kann nicht das strategische Ziel für Sachsen-Anhalt sein. Wir haben 30.000 leere Wohnungen. Das heißt: Wir brauchen keinen flächendeckenden Neubau, sondern die Konzentration der Wohnungsbauförderung auf den Bestand. Aktuell findet die Bundesförderung für die Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt de facto nicht statt, weil die Mittel an zwei Bedingungen geknüpft sind: Belegungsbindung und Mietpreisbindung. Die Unternehmen sollen neu bauen und diese Wohnungen dann an Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen vermieten mit einer Spitzenmiete von 6,50 Euro pro Quadratmeter. Das ist wirtschaftlich nicht möglich. Und wir werden in Sachsen-Anhalt ja auch nicht nur immer älter, sondern auch ärmer. Die Ost-Renten sind die niedrigsten der ganzen Republik. Damit lassen sich steigende Mieten schlichtweg nicht bezahlen.

Die Landesregierung kündigte zuletzt an, die Mittel für die Städtebauförderung drastisch kürzen zu wollen. Wie stehen Sie diesen Plänen gegenüber?

Das ist schlichtweg inakzeptabel. Die Rückbauförderung ist schon jetzt deutlich zu gering budgetiert. Unsere Unternehmen planen den Abriss von 2.000 Wohnungen, weil sie nicht mehr vermietbar sind, auch nicht im sanierten Zustand, gerade im ländlichen Raum. Dafür bräuchten wir knapp zehn Millionen Euro Förderung. Die sind nicht da. Und wenn die Landesregierung nun auch noch ankündigt, dass sie aufgrund der extrem gestiegenen Ausgaben beim Wohngeld die Städtebauförderung halbieren will, ist das ein Kahlschlag. Das ist ein Offenbarungseid der Wohnungs- und Städtebauförderung.

Was würde diese Kürzung bedeuten?

Stillstand und Stagnation. Dann werden wir überall leere Blöcke sehen. Wir sind die sozialen Vermieter, die breite Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum versorgen. Wir organisieren die Flüchtlingsversorgung mit Wohnraum, bringen die Bezieher von Sozialleistungen unter. Aber das wird von der Politik nicht honoriert. Wenn wir als Branche nicht mehr in der Lage sind, zu investieren, wird es schwer. Die Menschen werden immer älter. Wir bräuchten mehr barrierefreie Wohnungen. Aber die wird es nicht geben.

Stichwort: Städtebauförderung

Die Städtebauförderung ist laut zuständigem Ministerium "eines der wichtigsten Instrumente zur Förderung einer nachhaltigen Stadtentwicklung". Die Städtebauförderung konzentriert sich seit 2020 auf folgende Programme: "Lebendige Zentren", "Sozialer Zusammenhalt" und "Wachstum und nachhaltige Erneuerung". Die Städtebauförderung wurde 2023 in Sachsen-Anhalt mit Bundes- und Landesmitteln in Höhe von rund 91,3 Millionen Euro gefördert. Für die Förderung der regulären Programme gilt der Grundsatz der Drittelfinanzierung von Bund, Land und Kommune.  

Nun verweist das Land auf andere Förderprogramme wie das Aufzugsprogramm zum Einbau von Liften.

Ja, das war zunächst mit zwei Millionen Euro ausgestattet. Damit kriegen sie zehn Fahrstühle eingebaut in ganz Sachsen-Anhalt (Anm. d. Red.: Mittlerweile wurden die Fördermittel laut Ministerium auf 6,5 Millionen Euro aufgestockt). Im Gesamthaushalt des Landes von 14,7 Milliarden Euro beträgt die Wohnungsbauförderung 4,2 Millionen Euro. Damit konnten im vergangenen Jahr gerade einmal 367 Wohnungen saniert werden. Das sind 0,1 Prozent unserer Bestände. Das ist eine Entwicklung, die wir so nicht akzeptieren werden. Was ist denn so schwer daran, sich auf Schrumpfung einzustellen und die Unternehmen dabei zu begleiten, die Wohnraumversorgung, vor allem im ländlichen Raum, in Zukunft sicherzustellen? Das ist auch gar nichts, worum wir betteln müssen, sondern ein verfassungsgemäßer Grundsatz: gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen.

In welchem Dilemma steckt die Wohnungswirtschaft aktuell?

Neben den bereits genannten Punkten der fehlenden finanziellen Unterstützung für Sanierung und Abriss führen die gestiegenen Baukosten in Verbindung mit den gestiegenen Kapitalkosten dazu, dass kaum mehr neu gebaut wird. Zwar brauchen wir diesen Neubau nicht zwingend zur Wohnraumversorgung, aber natürlich ist das ein wichtiges Thema, um alle Zielgruppe abzudecken. Das geht nur durch punktuellen Neubau in größeren Städten wie Halle oder Magdeburg. Für den Neubau nach den hohen Energiestandards, die die Bundesregierung setzt, haben wir Mieten von 14,52 Euro pro Quadratmeter. Bei einer Durchschnittsmiete in Sachsen-Anhalt von 5,50 Euro pro Quadratmeter lassen sich diese Baukosten aber nicht refinanzieren.

Welche Rolle spielen die zahlreichen Plattenbauten im Land?

Sie machen zwei Drittel unserer Wohnungsbestände aus und sind ein Teil unserer DDR-Geschichte. Es gibt viele Projekte, die zeigen, dass man dem sogenannten Plattenbau ein Antlitz verleihen kann, dass sie gar nicht mehr erkennen, dass es einer ist. Da gibt es Möglichkeiten, energetisch zu sanieren, Grundrisse zu ändern und die Objekte barrierearm zu gestalten. Die Förderkulisse stimmt allerdings nicht. Deshalb kommen wir mit den Sanierungen nicht hinterher. Wir müssten drei Prozent unserer Bestände jährlich sanieren, um zukunftsfähigen Wohnraum zu schaffen. Dafür bräuchten wir aber 135 Millionen Euro Förderung und nicht vier Millionen Euro wie aktuell. Das ist das große Dilemma, indem wir stecken. Und dann gibt es noch einen weiteren Aspekt.

Und welcher wäre das?

In den vergangenen Jahren haben wir eine Explosion der kalten und warmen Betriebskosten zu verzeichnen. Die Energiepreise sind um 40 bis 60 Prozent gestiegen. Wir haben die höchsten Stromkosten Europas. Die Kosten für Fernwärme haben sich verdoppelt. Sie können nicht beliebig an der Energiepreis-Schraube drehen und das den Haushalten überhelfen. Sonst ist die Bezahlbarkeit des Wohnens gefährdet. Wir finden vielerorts bereits die Situation wieder, dass die Betriebskostenvorauszahlungen höher sind als die Kaltmiete. Das engt für die Wohnungsunternehmen jedweden Spielraum ein, Kaltmieten zu erhöhen, um investieren zu können. Und dann treffen wir auch noch auf eine Mietenpolitik der Bundesregierung, die von Mietendeckeln und der Mietpreisbremse gekennzeichnet und die der Meinung ist, dass wir die Kosten der Energiewende unbegrenzt den Menschen überhelfen können. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

Hoffnungen waren mit der Ansiedlung von Intel und dem damit einhergehendem Zuzug verbunden. Wie haben Sie den zumindest vorübergehenden Stopp der Pläne aufgenommen?

Die größte Infrastruktur-Investition Europas vor den Toren der Stadt Magdeburg zu sehen, hat ja irgendwie alle bezuckert und bezaubert. Auf der anderen Seite waren die Probleme, die sich um diese Ansiedlung rankten, auch immer präsent: Wo kommt das Wasser her? Wo kommt der Strom her? Welche Rolle spielt der Fachkräftemangel? Natürlich gab es die große Hoffnung in der Wohnungswirtschaft, dass sich aus dieser Ansiedlung auch eine Wohnungsnachfrage generiert. Aber wir waren vorsichtig genug, nicht auf Vorrat 1.000 Wohnungen zu bauen. Von daher ist es schade für die Stadt und die Region, aber für uns als Wohnungswirtschaft im Moment nicht relevant.

Das Gespräch führte Daniel George.

MDR (Daniel George) | Erstmals veröffentlicht am 20.10.2024