Schleswig-Holstein Northvolt mit Milliarden Schulden: Warum macht die Batteriefabrik weiter?
Der schwedische Batterie-Hersteller Northvolt hat Schulden von knapp sechs Milliarden US-Dollar. Trotzdem geht der Bau der neuen Fabrik in Dithmarschen weiter. Das Unternehmen selbst und auch die Politik halten an dem Plan fest.
Houston, Texas. 8.800 Kilometer Luftlinie liegen zwischen der amerikanischen Metropole und der Kreisstadt Heide in Dithmarschen. In Houston entscheidet sich, wie es für das Unternehmen insgesamt weitergeht. Am dortigen Bankruptcy Court hat das Unternehmen einen Antrag auf ein Sanierungsverfahren nach US-Insolvenzrecht gestellt, dem sogenannten Chapter 11.
Bei einer ersten Anhörung am Freitag (20.12.) wurde das Verfahren noch nicht eröffnet. Die Gläubiger äußerten sich bei der rund einstündigen Anhörung kaum, sie waren sich aber einig, dass sie daran interessiert sind, Chapter 11 durchzuführen. Wann eine Entscheidung fällt, ist noch unklar. Auf dem matschigen Marschland am Stadtrand von Heide baut Northvolt unterdessen weiter an seiner deutschen Gigafactory.
"Chapter 11 ist wie ein Haarschnitt"
Auf der Liste der Gläubiger stehen neben Volkswagen und anderen auch die KfW-Förderbank - und damit die deutschen Steuerzahler. Die Wandelanleihe der KfW in Höhe von 600 Millionen Euro haben zur Hälfte der Bund und zur Hälfte das Land Schleswig-Holstein abgesichert. "Northvolt hat mit dem Chapter-11-Verfahren die Chance, sich zu entschulden", erklärt Marc Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Der Batteriehersteller hält eine Tochtergesellschaft in den USA und kann deswegen dort das Verfahren vor einem Gericht beantragen. "Ganz typischerweise wird die Forderung der Gläubiger danach viel weniger wert sein", sagt Liebscher. Es komme zu einem sogenannten Haircut, also einem Haarschnitt. "Die Forderungen der Bundesrepublik und des Bundeslandes werden erheblich zurückgeschnitten werden - möglicherweise bis zu 100 Prozent." Im Fall von Schleswig-Holstein wären das 300 Millionen Euro plus Zinsen - also umgerechnet mehr als 100 Euro für jeden Einwohner im nördlichsten Bundesland.
Landtag hatte Wandelanleihe einstimmig zugestimmt
Die 600 Millionen Euro hatte die KfW vor etwa einem Jahr an Northvolt ausgezahlt. Der Landtag in Kiel hatte die Bürgschaft für den Kredit einstimmig bewilligt. Wussten die Verantwortlichen damals schon von den Schwierigkeiten des Unternehmens? Die konkreten Zahlen der Verluste seien nicht bekannt gewesen, sagt Lasse Petersdotter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag. Aber er ergänzt: "Wenn es risikolos gewesen wäre, dann wäre es auch am Markt von alleine gelaufen."
Gutachten: Ausfallrisiko der Wandelanleihe gering
Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte das Risiko für Land und Bund bewertet. Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein hielten die Experten einen Totalausfall der Wandelanleihe für unwahrscheinlich: Dem Gutachten zufolge lag das Risiko bei gerade mal einem Prozent. Dieses Gutachten stammt laut Bernd Buchholz (FDP) allerdings aus dem Sommer 2023. "Der Sommer ist aber nicht der Zeitpunkt, an dem die Bürgschaften für die Wandelanleihe gezeichnet wurden", sagt Buchholz Freitag im Interview mit NDR Schleswig-Holstein. Er fragt sich, warum niemand ein halbes Jahr später bei der tatsächlichen Überweisung geprüft hat, ob der Stand aus dem Sommer noch aktuell ist.
Die SPD hat Akteneinsicht beantragt. "Konkret wollen wir wissen, auf welcher Grundlage eine Risikoabschätzung stattfand und ob den Abgeordneten auch wirklich alle wichtigen Informationen über geschäftliche Risiken der Northvolt-Ansiedlung und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens mitgeteilt wurden", teilten die beiden SPD-Abgeordneten Beate Raudies und Kianusch Stender dazu mit.
Geldverbrennungsrate: 30 Millionen Euro - pro Woche
Northvolt macht derzeit keine Gewinne und sucht neue Geldgeber. Die Ausgaben sind um ein vielfaches höher als die Einnahmen. Pro Woche braucht das Unternehmen nach eigenen Angaben etwa 30 Millionen US-Dollar. Das geht aus den Unterlagen hervor, die Northvolts Anwälte an das Insolvenzgericht geschickt haben. Experten wie Marc Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger sprechen von der "Cash Burn Rate". Er rechnet vor: Wenn Northvolt die Geldverbrennungsrate auf etwa 20 Millionen pro Woche reduzieren könnte, müsste ein Investor pro Jahr immer noch eine Milliarde Dollar in das Unternehmen stecken, allein, um es am Leben zu erhalten.
China sättigt den Batteriemarkt vollständig
Northvolts Produktionsprobleme im Stammwerk in Nord-Schweden sind erst in der zweiten Jahreshälfte 2024 öffentlich bekannt geworden. BMW stornierte einen Großauftrag. Es zeigte sich: Northvolt hat Schwierigkeiten, Lieferverträge einzuhalten. Die Produktion konnte nicht so schnell hochgefahren werden wie ursprünglich angenommen. Dazu produzierte das Werk in Schweden viel zu viel Ausschuss. Von bis zu 30 % unbrauchbaren Batteriezellen ist die Rede. Nach Einschätzung von Experten hängen die Schweden den chinesischen Wettbewerbern Jahre hinterher.
"Die Asiaten hatten eben sehr, sehr viele Jahre, um das langsam zu lernen", sagt der Batterieforscher Tim Wicke vom Fraunhofer Institut in Karlsruhe. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Nachfrage nach E-Auto-Batterien noch nicht so hoch gewesen. Neue Player in der Branche müssen ihre Produktion jetzt viel schneller hochfahren, um eine Rolle spielen zu können.
Eine Frage der nationalen Sicherheit?
Das Angebot aus Asien würde laut Batterieforscher Wicke auch für die deutsche Autoindustrie genügen. Doch Bund und Land halten an Northvolt fest - trotz der Marktlage und finanziellen Schwierigkeiten Die Regierungen hoffen nach wie vor, dass der schwedische Batteriehersteller seine Fabrik in Schleswig-Holstein fertig baut und irgendwann dort tatsächlich Batterien produziert. "Der Verkehr der Zukunft wird elektrisch sein", sagt Lasse Petersdotter (Grüne) im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein. Aus seiner Sicht kann die deutsche Autoindustrie nicht alle Batterien aus China importieren. "Nicht in der geostrategischen Lage, in der wir uns befinden." Das seien maximale Abhängigkeiten, die ein großes Risiko für unsere Wirtschaft seien, sagt Petersdotter. "Angenommen, wir haben einen schlagenden Konflikt mit China. Dann werden wir ernsthafte Probleme in der Chip- und Batterieindustrie haben." Das seien nicht nur Bequemlichkeitsprobleme, meint der Grünen-Politiker. "Das hat etwas mit der inneren Sicherheit zu tun. Das hat was mit der Stabilität unseres Landes zu tun", sagt Lasse Petersdotter. Fast erscheint es, als sei Northvolt aus politischer Sicht zum Erfolg verdammt.
Bund und Land wollen Batteriefabrik weiter unterstützen
Batterieforscher Tim Wicke verfolgt gespannt, ob und inwieweit die Politik eine europäische Batterieproduktion noch weiter unterstützen wird. Bund und Land wollen Northvolt - neben der Wandelanleihe - mit rund 700 Millionen Euro an direkten Fördergeldern unterstützen. Die Schweden können die direkte Förderung allerdings erst abhängig vom Fortgang des Projekts abrufen. Wann das sein wird, ist noch offen. Genau so, wie der Ausgang des Verfahrens: Wenn die Sanierung samt Schuldenschnitt nicht gelingt, droht dem einstigen Hoffnungsträger für eine weitgehend unabhängige Batterieproduktion in Europa das Ende.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 20.12.2024 | 19:30 Uhr