Thüringen Aufrufe zu Schein-Wahlen von "Wahlkommission Reuß" - Wer steckt dahinter?
Prinz Reuß steht derzeit wegen Terrorverdachts in Frankfurt am Main vor Gericht. Gleichzeitig tauchen in Thüringen Aufrufe zu Schein-Wahlen einer selbst ernannten "Wahlkommission Reuß" auf. Wer steckt dahinter?
Noch bis Ende November könnten sich die "Stimmberechtigten" für die "Staatliche Gemeinderatswahl" oder die "Wahl des Verwesers" eintragen lassen. So ist es zu lesen auf öffentlichen Aushängen, die im Saale-Orla-Kreis sowie im Landkreis Greiz aufgetaucht sind. An den angeblichen Abstimmungen teilnehmen könne, wer eine "Staatsangehörigkeit nach Reuß jüngere oder ältere Linie" nachweisen könne.
Dazu aufgerufen hat eine Gruppierung, die sich "Wahlkommission Reuß" nennt. Bei solchen Aktivitäten geht es um eine in der Reichsbürger-Szene zentrale Verschwörungserzählung, wonach ehemalige Gebiete des Deutschen Kaiserreichs durch Schein-Wahlen reaktiviert werden könnten. Solche angeblichen Abstimmungen werden von selbst ernannten "Wahlkommissionen" organisiert, die es in ganz Deutschland gibt.
So sieht der Aufruf zur Schein-Wahl aus, der in Ostthüringen die Runde macht.
Nicht strafbar, aber gefährlich
Das Abhalten von Schein-Wahlen ist nicht verboten. Dennoch warnen Sicherheitsbehörden vor der Ideologie, die Reichsbürger-"Wahlkommissionen" verbreiten. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz lehnen die Szene-Angehörigen die "Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem" ab und sprächen den "demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten die Legitimation" ab.
Deshalb bestehe die Besorgnis vor Rechts-Verstößen. 25.000 Menschen rechne die Behörde der Szene in Deutschland zu. Rund zehn Prozent seien "gewaltorientiert".
Der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) spricht von "einer verworrenen Ideologie, die "nicht selten zu Aggression, Gefahrensituationen oder gar schwersten Straftaten" führe. Felix Steiner, Extremismus-Experte beim Verein Mobit, sagt: "Die Szene verbreitet ihre Verschwörungserzählungen und pseudojuristischen Annahmen an Tausende Menschen, die sich dadurch weiter von der Demokratie abwenden und sich aus der Gesellschaft zurückziehen."
Oft würden mit dem Eintauchen in die Szene ganze Leben zerstört. Zudem habe sich immer wieder gezeigt, dass diese Ideologie auch den Weg zu Gewalt - vor allem gegen Mitarbeiter staatlicher Institutionen - in sich berge.
"Wahlkommission Reuß" mit "Gruppe Reuß" nicht identisch
Zu den Schein-Wahlen in Thüringen ruft eine Gruppierung auf, die sich "Wahlkommission Reuß" nennt. Nach Informationen von MDR Investigativ wurde sie unter anderem von Heinrich XIII Prinz Reuß gegründet, der sich derzeit in Frankfurt am Main wegen Terrorverdachts vor Gericht verantworten muss.
Reuß gilt als Prominenter im Reichsbürger-Milieu. Erstmals waren im Jahr 2020 Videos von ihm aufgetaucht, in denen er die Bundesrepublik als "Firma" bezeichnete. Im selben Jahr rief er im Saale-Orla-Kreis, wo er ein kleines Jagdschloss besitzt, den Fantasiestaat "Fürstentum Reuß" aus. Bald darauf tauchten auch dort an Bäumen im Umfeld des Anwesens ähnliche Schein-Wahl-Aufrufe einer "Wahlkommission Reuß" auf - so wie heute.
Derzeit wirft der Generalbundesanwalt Heinrich Prinz Reuß und einer weiteren Reichsbürger-Gruppe, die mit der "Wahlkommission Reuß" nicht identisch ist, die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung eines gewaltsamen Umsturzversuches vor.
Deswegen sind derzeit insgesamt 26 Frauen und Männer in Stuttgart, Frankfurt am Main und München angeklagt. Reuß steht in Frankfurt als einer von zwei mutmaßlichen Rädelsführern vor Gericht. Für alle Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Die "Gruppe Reuß" gilt heute als zerschlagen.
Wahl-Aufrufe in Thüringen: Wer steckt dahinter?
Auf MDR-Anfrage zu den Aushängen der "Wahlkommission Reuß" teilt Hans Sieg, einer der Anwälte des Prinzen, mit: "Prinz Reuß befindet sich seit 2022 in U-Haft und diese Haft wird in der schärfsten Form vollzogen, die unsere Strafprozessordnung zulässt." Reuß unterliege "geradezu uneingeschränkter Kontrolle und selbst die Verteidigerpost wird von einem Richter gelesen".
Derselbe Strafverteidiger hatte dem MDR vor einigen Monaten mitgeteilt, sein Mandant distanziere sich inzwischen von jeglichen Reichsbürger-Aktivitäten. Zusammengenommen legen beide Stellungnahmen den Schluss nahe, dass Prinz Reuß mit den Schein-Wahl-Aufrufen offenbar nichts zu tun hat.
Verantwortlich für die Aushänge und die Weiter-Existenz der "Wahlkommission Reuß" könnte hingegen unter anderem Ingo R. sein. Der 63-Jährige stammt aus Sachsen und lebt im Erzgebirgskreis. Für ein geplantes bundesweites Reichsbürger-Treffen Mitte November in Heiligenstadt war er im Programm als Redner und Vertreter der "Wahlkommission Reuß" angekündigt worden.
In einem Werbe-Video für die Veranstaltung war er vor einer Flagge des Thüringer Adelsgeschlechts "Reuß jüngere Linie" aufgetreten. Nach MDR-Recherchen gilt er bei den Terrorverdachts-Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen die inzwischen zerschlagene Gruppe Reuß als "verfahrensrelevante Person".
Dazu hatten die Organisatoren des Mitte November geplanten und von der Stadt Heiligenstadt schließlich untersagten Reichsbürger-Treffens mitgeteilt: "Wir bitten Sie niemanden vor einer Rechtsprechung eines Richters vorab zu verurteilen. Nur weil jemand Teil einer Ermittlung ist, kann es sich dabei schließlich auch um Zeugen oder Opfer handeln."
Auf aktuelle MDR-Anfrage behauptet darüber hinaus ein Sprecher der "Wahlkommission Reuß": Prinz Reuß gehöre nicht zu den Gründern der gleichnamigen Wahlkommission. Mit den aktuellen Aufrufen habe Reuß nichts zu tun. Eine aktuelle Verbindung zu ihm gäbe es nicht. Zudem distanziere man sich von dem Begriff "Reichsbürger". Wörtlich heißt es in der Mitteilung: "Wir streben nach Frieden, Freiheit und Souveränität und lehnen jegliche Form von Gewalt ab."
MDR (jn)