Björn Höcke AfD

Thüringen Der unantastbare Partei-Chef: Wie Björn Höcke mit Kritikern in der AfD umgeht

Stand: 03.01.2025 09:00 Uhr

Björn Höckes Macht in der Thüringer AfD scheint zementiert zu sein. Erst vor Kurzem wurde er als Parteichef wiedergewählt. Doch im vergangenen Jahr mehrten sich Vorwürfe, er würde seine Kritiker aus der Partei treiben. Übrig soll bleiben, wer auf Höcke-Linie ist. Wie autoritär ist sein Führungsstil wirklich? Und was hält ihn davon ab, den Schritt in den Bundestag zu wagen? Einschätzung und Stimmungsbild einer Ein-Mann-Partei.

Von Katharina Osterhammer, MDR THÜRINGEN

Thüringer Landtag, 12. Dezember: Mario Voigt (CDU) wird mit absoluter Mehrheit zum Ministerpräsidenten gewählt. Während andere Abgeordnete klatschend aufstehen, um dem neuen Regierungschef die Ehre zu erweisen, bleiben die AfD-Mitglieder sitzen, applaudieren nicht, einige haben ihren Kopf in die Hände gestützt, als wäre es kein guter Tag für die Politik in Thüringen. Denn für sie ist es das nicht.

Arnstadt, zwei Tage später. Björn Höcke steht auf einer Bühne, die gerahmt ist von deckenhohen AfD-Bannern in himmelblau und einer meterlangen Deutschlandflagge. In seiner Eröffnungsrede des Landesparteitages sagt er "dass nicht Mario Voigt der wahre Ministerpräsident von Thüringen ist - und das sage ich in aller Bescheidenheit, ihr kennt mich - sondern dass ich der wahre Ministerpräsident von Thüringen bin".

Thüringer AfD mit Spitzenkandidaten-Tandem

Ergebnis der Landtagswahl speist Höckes Regierungsanspruch

Die AfD ist bei der Landtagswahl im September mit 32,8 Prozent stärkste Kraft geworden. Keine andere Partei hat es auch nur in die Nähe dieses Ergebnisses geschafft. Daraus leitet die AfD ihren Regierungsanspruch ab - allerdings will niemand mit ihr koalieren. Die Parteimitglieder, die sich im Dezember in Arnstadt im Saal versammelt haben, pflichten Höcke als "eigentlichem Ministerpräsident Thüringens" jedoch mit Standing-Ovations bei.

Die "Höcke! Höcke! Höcke!"-Rufe dauern so lange, dass er seine Rede in der vorgegebenen Zeit kaum mehr beenden kann. "Es wird keine fünf Jahre dauern, dann werden wir es zu Ende gebracht haben und darauf freue ich mich", ruft er noch, bevor er das Rednerpult verlässt.

Höcke lenkt Thüringer AfD seit mehr als zehn Jahren

Björn Höcke ist Fraktionschef der AfD im Thüringer Landtag, seit sie 2014 erstmals dort eingezogen ist. Vorsitzender des Landesverbandes ist er seit kurz nach dessen Gründung 2013. Beim Landesparteitag in Arnstadt wurde Höcke nun als Landeschef bestätigt - mit einer überwältigenden Mehrheit von 220 von 240 Stimmen, 91,67 Prozent. Der große Rückhalt dürfte für Björn Höcke Grund zur Freude sein.

Für einen anderen Mann im Arnstädter Saal ist der jedoch hauptsächlich ein weiterer Beweis dafür, dass Höcke alle seine Kritiker in der Partei verprellt, sodass nur noch die übrig bleiben, die Höcke-Fans sind. Einer der wenigen Kritiker, der demnach noch übrig ist, ist Klaus Stöber. Er sitzt seit 2021 für die AfD im Bundestag und vertritt dort als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Eisenach - Wartburgkreis - Unstrut-Hainich-Kreis.

Klaus Stöber (AfD), Mitglied des Deutschen Bundestages, spricht im Plenum des Deutschen Bundestages.

Klaus Stöber ist für die AfD direkt in den Bundestag gewählt worden.

Streit um Parteivorstand geht monatelanger Machtkampf voraus

Das Verhältnis von Höcke und Stöber ist zerrüttet. Im Frühjahr 2024 drohte die Landesführung erstmals mit einem Parteiausschlussverfahren: Stöber hatte sich darüber beschwert, dass der Landesvorstand um Höcke die demokratisch gewählten Landtags-Direktkandidaten im Wartburgkreis verhinderte, indem er seine Unterschrift verweigerte. Ohne Unterschrift keine Zulassung zur Wahl und damit keine Direktmandate für die AfD - stattdessen gingen die Wahlkreise an die CDU.

Die langfristige Folge: Bei der Landtagswahl konnte Höcke nur knapp über die Liste einziehen - seinen eigenen Greizer Wahlkreis gewann er nicht. Hätten die zwei ursprünglich geplanten Wartburgkreis-Kandidaten antreten und ihren Wahlkreis für sich entscheiden können, hätte Höcke den Wiedereinzug in den Landtag möglicherweise verpasst.

Auf Kritik an Höcke folgt Aufforderung an Gegner, die Partei zu verlassen

Stöber warf Höcke und dem AfD-Co-Landesvorsitzenden Stefan Möller auf die verweigerte Unterschriften hin Boykott des Wahlkampfes vor, dass die Arbeit der Basismitglieder untergraben werden würde und forderte den Vorstand auf, zurückzutreten. Stöbers Kritik bezeichnete Höcke wiederum als "grob parteischädigendes Verhalten" - weswegen er nun will, dass Stöber die Partei verlässt.

Im Kreis Saalfeld-Rudolstadt ereignete sich zur Kreistagswahl im Frühjahr ebenfalls ein Machtkampf zwischen Höcke und partei-internen Gegnern, der bis vor Gericht ging. Auch hier wurde ihm vorgeworfen, sich nur mit "Ja-Sagern" zu umgeben und Kritiker aus der Partei zu jagen. Einer der lautstärksten, Karlheinz Frosch, ist inzwischen aus der AfD ausgetreten.

Berufliche Qualifikation spielt keine Rolle bei der Besetzung von Posten [in der Thüringer AfD]. Das Einzige, was zählt, ist 100-prozentige Ergebenheit gegenüber dem Landesvorstand. Klaus Stöber, AfD-Bundestagsabgeordneter |

Machtkampf zwischen Stöber und Höcke eskaliert beim Parteitag

Klaus Stöber hingegen ist noch immer Mitglied - bis das Parteiausschlussverfahren gegen ihn entschieden ist. Bis es soweit ist, möchte Stöber die Bühne nutzen, die ihm geboten wird. Und das tut er: Bei der Wahl des AfD-Vorsitzenden während des Landesparteitags Mitte Dezember trat er als einziger gegen Björn Höcke an.

Noch bevor Stöber seine Bewerbungsrede beginnen kann, wird die Redezeit von fünf auf zwei Minuten gekürzt. Und selbst die versuchen zahlreiche Parteimitglieder auf Höcke-Linie im Saal zu stören. Sie klatschen so laut, dass Stöber kaum zu verstehen ist. Mit versteinerter Miene beginnt er seine Ansprache: "Ich weiß, dass ich diese Wahl nicht gewinnen kann, aber ich werde meine kurze Redezeit nutzen, um hier einiges klarzustellen."

Während Höckes Rede zu Beginn des Parteitags von Standing Ovations und Jubel begleitet wurde, schlagen Stöber und seinen Vorwürfen gegenüber Höcke "Buh"-Rufe entgegen, jemand schreit "erbärmlicher Wicht", ein anderer "Lügner".

Vorwurf: Höcke führt Partei undemokratisch

Der Saal steht hinter Höcke. Das zeigt sich auch am späteren Wahlergebnis: Während die 220 erwähnten Parteimitglieder dafür sind, dass die AfD weiter von ihm geführt wird, erhält Stöber nur 14 Stimmen. Der sagt: Wer nicht mit Höcke einverstanden sei, der sei entweder schon längst nicht mehr in der AfD oder hätte aufgegeben, zu den Mitgliederversammlungen zu kommen. Tatsächlich haben nur gut zehn Prozent der Mitglieder der Thüringer AfD am Landesparteitag teilgenommen - obwohl alle dazu berechtigt waren.

"Verdienste für die Partei und berufliche Qualifikation spielen keine Rolle bei der Besetzung von Posten. Das einzige was zählt, ist 100-prozentige Ergebenheit gegenüber dem Landesvorstand", sagt Stöber. Mit Höcke als Chef gäbe es keine Hoffnung auf demokratischen Umgang in der Partei, das sei ihm mit der Zeit immer klarer geworden. Warum er dann überhaupt noch in der AfD ist und sogar als Vorstand kandidiert hat? Eher für den eigenen Seelenfrieden als für politischen Wandel: "Ich wollte den Parteivorsitz nie haben - ich wollte mein Herz erleichtern."

Konflikte in der AfD: System oder Einzelfall?

Sind die Konflikte zwischen Höcke und Stöber - und Höcke und Frosch im Frühjahr - also nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen Individuen oder gibt es tatsächlich ein strukturelles Problem in der AfD? Verhindert Höcke Demokratie in der eigenen Partei?

Der Jurist Raimond Ernst von der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität sagt dazu: "Sobald jemand Kritik äußerte, wurden dessen reale Machtoptionen in der AfD abgeschnitten. Das führt zu einem Kartell des Schweigens, sodass sich in der Partei womöglich niemand mehr trauen wird, Kritik am Parteivorsitzenden zu äußern."

Das [Verhalten der AfD-Landesführung] führt zu einem Kartell des Schweigens, sodass sich in der Partei womöglich niemand mehr trauen wird, Kritik am Parteivorsitzenden zu äußern. Raimond Ernst, Jurist an der Friedrich-Schiller-Universität Jena |

Im Parteiprogramm der AfD werde zwar gefordert, die Basisdemokratie zu stärken - innerhalb der AfD würde Höckes Führungsstil dem aber nicht entsprechen. "Die eigene Zukunft [in der Partei] wird ja gewissermaßen daran gekoppelt, in der Gunst des Vorsitzenden zu stehen. In einer Demokratie kommt es dagegen auf die Zustimmung möglichst großer Kreise an", so Ernst.

Porträtbild eines jungen, lächelnden Mannes mit Brille im hellblauen Hemd

Raimond Ernst ist Jurist am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Soziologe: "Höckes autoritärer Partei-Führungsstil repräsentativ für gewünschte Gesellschaftsform"

Dass Höcke so handelt, überrascht auch den Soziologen Andreas Kemper nicht. Er wurde vor etwa zehn Jahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er nachwies, dass Björn Höcke unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" Artikel in völkischen Zeitschriften wie der "Eichsfeld Stimme" veröffentlichte. Der Verfassungsschutz nannte Kempers Analyse "nahezu unbestreitbar" und stufte daraufhin die von Höcke mitgetragene Gruppierung "Der Flügel" in der AfD als rechtsextremen Verdachtsfall ein.

Höcke bildet [die gewünschte Gesellschaftsform] schon in der Partei ab: dass es einen Führer gibt, auf den alles ausgerichtet ist. Andreas Kemper, freier Soziologe |

Laut Kemper fragt man sich als AfD: "Was für eine Gesellschaftsform wollen wir?" Dem Soziologen nach sei das eine autoritäre - im Führerstil. "Und das bildet Höcke in der Partei schon ab. Dass es einen starken Führer gibt, auf den alles ausgerichtet ist." Das schreibt Höcke auch selbst auf Seite 286 in seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss": Der "Uomo virtuoso", also der Anführer,  könne nur "als alleiniger Inhaber der Staatsmacht ein zerrüttetes Gemeinwesen wieder in Ordnung bringen".

Björn Höcke

Björn Höcke ist das Gesicht der Thüringer AfD.

Höcke weist Unterstellungen zurück

Zu den Vorwürfen sagte Höcke beim Parteitag in Arnstadt: "Es ist Teil der Kultur, die ich dem Landesverband Thüringen seit elf Jahren eingeimpft habe, dass keine guten Leute weggedrückt werden, weil sie zur Konkurrenz werden könnten." Diese - laut dem Parteichef - "guten" Leute würden in der AfD gefördert werden und darauf sei er stolz. Höcke bekommt dafür Applaus aus dem Publikum.

Auf MDR THÜRINGEN-Anfrage schreibt Höcke zu dem Vorwurf, er würde keine Kritik zulassen: "Ich umgebe mich mit Menschen, die mich kritisieren und von denen ich lernen kann. Ich habe mich intensiv mit pädagogischem Leadership beschäftigt und weiß, dass der Erfolg der Organisation und mein persönlicher maßgeblich auf dem hohen Leistungsniveau der Mitarbeiter und einer fehlerfreundlichen Feedbackkultur fußen."

Höcke macht nur dann etwas, wenn er weiß, dass er gewinnt. Soziologe Andreas Kemper |

Paradox: Trotz dominanten Führungsstils entscheidet Höcke oft vorsichtig

Der Soziologe Kemper findet aber, dass Höckes Aussage nicht mit dem Verhalten zusammenpasst, das er über Jahre hinweg bei ihm beobachtet hat: "Höcke macht nur dann etwas, wenn er weiß, dass er gewinnt. […] Er ist kein Märtyrer, er ist als Parteiführer relativ ängstlich", so Kemper weiter. "Wenn die 'Landolf-Ladig'-Texte von ihm sind, dann will er eine Revolution. Das beißt sich aber mit seiner vorsichtigen Persönlichkeit [als Parteichef]."

Der Soziologe Andreas Kemper

Andreas Kemper forscht als freier Soziologe unter anderem zur AfD und Faschismus.

Parteimitglieder wegzudrängen, die Kritik an Höcke üben, würde sich einreihen in dieses sicherheitsbedürftige Muster. Übrig blieben die, von denen er keinen Widerspruch zu erwarten habe. Heißt Höckes Devise in der AfD also: Eine autoritäre Revolution wollen, aber dabei lieber in Sicherheit bleiben? Sich ein behütetes, wohlig-warmes Nest in der Partei schaffen, statt den kalten Wind der Kritik zuzulassen und dadurch in der Führungsposition angegriffen zu werden?

Höcke provoziert - und verliert dadurch nicht an Unterstützung

Was der vermeintlichen Ängstlichkeit Höckes widerspricht, sind dessen ständige Provokationen, beispielsweise durch verbotene SA-Parolen, wegen derer er auch vor Gericht steht. Von der Staatsanwaltschaft wurden ursprünglich acht Monate Haft auf Bewährung und ein zeitweiliges Verbot fürs Bekleiden öffentlicher Ämter gefordert. Entschieden ist noch nichts, Höcke hat Revision eingelegt.

Kemper vermutet, dass er mit dem mehrfachen Aussprechen der Parole zwar einen Prozess in Kauf genommen habe, jedoch nicht erwartet habe, dass es tatsächlich dazu kommen würde, folglich als vorbestraft zu gelten.

Der dominante und provozierende Führungsstil scheint Höckes Ansehen in der Partei jedoch nicht zu schaden. Der Jenaer Jurist Ernst fasst zusammen: "Höcke sitzt fest im Sattel. Das zeigt die eindeutig gewonnene Kandidatur für den Landesvorstand und die deutlich gewonnene Landtagswahl." Negative öffentliche Aufmerksamkeit, wie durch die Verfahren wegen der SA-Parolen und die Enthüllungen ums Potsdamer Remigrations-Treffen, sei außerdem abgeflacht - davon profitiere Höcke zusätzlich.

Steht für Höcke ein Wechsel in die Bundespolitik an?

Trotz aller AfD-Erfolge ist jedoch die gewünschte Regierungsübernahme in Thüringen ausgeblieben. Von keiner anderen nennenswerten Partei auf Landesebene gibt es Zeichen, dass eine Koalition mit der AfD künftig denkbar ist. "Langsam muss sich Höcke die Frage stellen lassen, was er angesichts der nicht zu erreichenden Machtübernahme noch auf Landesebene erreichen wird", so Ernst. Ruft also der Bundestag für ihn? Beim Parteitag in Arnstadt hat er sich nicht für die Wahl im Februar aufstellen lassen.

Stattdessen wurden der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner und Co-Landeschef Stefan Möller als Spitzenkandidaten für Thüringen nominiert. Als "Thüringen-Tandem", das im Team den Freistaat in Berlin repräsentieren soll, stehen sie auf den ersten beiden Listenplätzen für die Bundestagswahl im Februar. Zu erwarten ist aber ohnehin, dass die AfD-Kandidaten - oder wie Höcke sie nennt "Parteisoldaten" - per Direktmandat in den Bundestag einziehen und die Listenaufstellung damit eher Formsache ist.

Dennoch auffällig bei der Besetzung der Listenplätze: Die vordersten Positionen wurden an Männer vergeben, die als Höcke-nah gelten, darunter Torben Braga, rechte Hand von Höcke und juristischer Strippenzieher der AfD - beispielsweise bei dem von der Partei ausgerichteten parlamentarischen Hindernislauf während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags.

Die Bundestagswahl 2025 wird Höcke also nicht nach Berlin führen. Auch für künftige Wahlen rechnet Soziologe Kemper nicht damit, dass der Thüringer AfD-Chef kandidieren wird: "Wenn er weiß, er kann den Bundes-Fraktionsvorsitz übernehmen, dann lässt er sich aufstellen. Wenn [das nicht absehbar ist], dann kandidiert er erst gar nicht."

Dem Soziologen nach befindet sich Höcke auch hier wieder in dem gleichen Zwiespalt wie bereits bei der Kandidatur zur Thüringer Parteichef-Wahl: "Typisch für einen Faschisten wäre es, Sachen zu machen, die als tapfer und mutig gelten - auch wenn er verlieren könnte. Dort ist er aber tatsächlich sehr zurückhaltend."

In der Bundespartei hatte man immer die Angst: Was passiert, wenn Höcke sich tatsächlich aufstellen lässt und er tatsächlich gewählt wird?  Raimond Ernst, Jurist an der Friedrich-Schiller-Universität Jena |

Warum Höckes Einfluss im Bund ohnehin geschwächt ist

Selbst wenn Höcke erfolgreich in den Bundestag gewählt werden würde, gibt es jedoch mehrere Anzeichen dafür, dass er die Bundestagsfraktion der AfD nicht ähnlich dominant führen könnte wie die Thüringer Landtagsfraktion oder Partei.

Mehrere AfD-Landesverbände, die mit Abgeordneten im Bundestag vertreten sind, sind nicht auf Höcke-Linie - beispielsweise der größte Verband Deutschlands aus Nordrhein-Westfalen. Damit würde ihm bereits die Unterstützung einer festen Gruppe in der Bundestagsfraktion fehlen. Der Grund dafür laut Kemper: Höcke ist unter anderem den NRW-AfDlern zu radikal.

Laut Jurist Ernst von der Jenaer Uni hat sich außerdem verändert wie Höcke von der Bundes-AfD wahrgenommen wird: "Er war zwar schon immer nur einer von 16 Landesvorständen. Aber er hatte einen realpolitischen Machtvorteil, weil man in der Bundespartei immer die Angst hatte: Was passiert, wenn er sich tatsächlich aufstellen lässt und er tatsächlich gewählt wird? Dieser Effekt des Pöbelns und Polterns nutzt sich mit der Zeit ab." Die Bundes-AfD habe gesehen: Höcke versuche gar nicht, sich aufstellen zu lassen. Dadurch sei sein Einfluss im Bund geschwunden, so Ernst.

AfD-Politiker sehen womöglich keinen Platz für Höcke in Bundes-AfD

Laut Höcke-Kritiker Stöber hat es außerdem klare Zeichen aus dem AfD-Bundesvorstand gegeben, dass Höcke dort nicht willkommen ist. Auf MDR THÜRINGEN-Rückfrage, ob Co-Chef Tino Chrupalla das bestätigen oder dementieren könne, reagierte er nicht. Höcke selbst antwortet auf die Nachfrage, was ihn davon abhalte für den Bundestag zu kandideren: "Ich habe den Anspruch, Ministerpräsident zu werden. Und ich liebe Thüringen."

Aus Sicht der derzeitigen Bundestagsfraktions-Vorsitzenden, Alice Weidel und Tino Chrupalla, könnte Höcke möglicherweise auch deswegen keinen Platz finden, weil er ähnliche Rollen verkörpern würde wie die beiden: Weidel, die scharfzüngige Parteiführung - wenn auch mit gemäßigterem Auftreten als Höcke. Chrupalla als Vertreter des Ostens.

AfD nominiert Weidel als Kanzlerkandidatin

Für Höcke scheint es also keinen Platz im Bund zu geben. Jurist Ernst und Soziologe Kemper sind sich allerdings darin einig, dass die zu erwartenden künftigen Mandate der Höcke-Vertrauten Braga und Möller ausreichen dürften, um die Höcke-Linie bis nach Berlin fortzuspinnen und von dort Infos zu erhalten.

Welchen Vorteil es für Höcke hat, in Thüringen zu bleiben

Was für Höckes Aussage spricht, er wolle bei der AfD in Thüringen bleiben: Seine Wirkmöglichkeiten als Teil der stärksten Kraft und größten Oppositionspartei im Thüringer Landtag sind dort weitaus größer als im Bundestag, wo die AfD nur gut zehn Prozent aller Sitze belegt. Mit Blick auf die angebrochene achte Legislaturperiode des Thüringer Landtags erwartet Jurist Raimond Ernst "dass Höcke die Position, die [die AfD] sich hier erkämpft hat, auch ausnutzen will und alles Mögliche unternehmen wird, damit sie im politischen Geschäftsbetrieb quasi täglich zur Sprache kommt". Auf die Frage wie Höcke vorhat, mit seiner Fraktion Opposition zu leben, antwortet er: "kritisch-konstruktiv".

[Das derzeitige Schweigen der AfD als Oppositionspartei], ist eher die Ruhe vor dem Sturm. Raimond Ernst, Jurist an der Friedrich-Schiller-Universität Jena |

Jurist Ernst und Soziologe Kemper sind sich einig: Dass die Thüringer AfD sich seit der Landtagswahl so ruhig verhalten hat, deutet nicht auf eine neue Versöhnlichkeit oder gemäßigtere Politik hin. Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl schätzt Ernst das Schweigen der AfD eher so ein: "Ich würde sagen, es ist vielleicht mehr die Ruhe vor dem Sturm."

Die AfD habe sich im Landtag seit jeher destruktiv verhalten, mit dem Ziel, möglichst viel Schaden anzurichten. Mit Bezug auf Höckes Bücher und die "Landolf-Ladig"-Texte vermutet Kemper, Höcke wolle eine autoritäre Gesellschaftsordnung, weswegen er kein Interesse daran habe, im jetzigen Staat konstruktiv mitzuarbeiten.

Die [Thüringer] AfD wird immer radikaler werden. Andreas Kemper, freier Soziologe |

Aus welchen Leuten künftig die Thüringer AfD bestehen könnte

Worin sich Wissenschaftler, Höcke-Kritiker und er selbst einig sind: Höcke wird vorerst in Thüringen bleiben - ob das so ist, weil er nicht anders will oder kann, bleibt offen. Wo Höckes Aussagen seinem öffentlichen Verhalten und den Einschätzungen der Forscher und Stöber entgegenstehen, ist bezüglich seines Umgangs mit Gegenwind in der Partei.

Jurist Ernst sagt zwar, dass - unabhängig vom Führungsstil - Streit in einer Partei programmiert sei, die dermaßen schnell gewachsen sei (alleine innerhalb von neun Monaten ab Ende 2023 von 1.588 Mitgliedern in Thüringen auf 2.139).

Soziologe Kemper ergänzt jedoch: "Die AfD wird immer radikaler werden." Je mehr Kritiker des Parteichefs verstummen würden, desto mehr Gewicht bekämen die extremen Stimmen. Die komplette Thüringer AfD gilt seit inzwischen drei Jahren als rechtsextremistisch. "Wer sich jetzt zu einer Mitgliedschaft entscheidet, tut das teilweise auch genau aus diesem Grund", ist sich der Jurist Raimond Ernst sicher. Wer also in die Thüringer AfD eintritt, dürfte radikal sein - und auf Höcke-Linie.

MDR (ost)