
Friedhofskultur im Wandel Letzte Ruhe in neuen Formen
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18. April 2025, 09:09 Uhr
Ein Grab mit Regenbogen, oder eine letzte Ruhe als Urne in einer Gemeinschaftsstele: Die klassischen Erd- und Urnengräber werden immer seltener. Die Friedhofskultur ist im Wandel. So liegen beispielsweise Gemeinschaftsgräber im Trend. Ein Gang über den Friedhof in Saalfeld.
Leise rascheln auf dem Saalfelder Friedhof die Blätter der Bäume im Wind, die Sonne scheint auf die Gräber und erste Besucher sind auf der weitläufigen Anlage unterwegs. "Wie ein großer Park", sagt Lukas Welsche, mit dem ich über die großen breiten Wege laufe. Der Friedhofsmitarbeiter ist noch nicht lange hier, kennt sich aber bestens aus und kann mir auch viel erzählen, wie sich der Friedhof über die letzten Jahre verändert hat.
Trend zu Gemeinschaftsgräbern
Auffällig ist, wie viele große freie Flächen es inzwischen gibt. Wo früher Reihe an Reihe die klassischen Erd- oder Urnengräber waren, ist jetzt Wiese. Laut Lukas Welsche liegt das vor allem an den vielen neuen Bestattungsformen, die einfach weniger Platz brauchen. "Der Trend geht zu Gemeinschaftsanlagen", sagt Lukas Welsche. "In den letzten Jahren haben wir immer mehr Grabanlagen, die schon vor dem Ablauf der gebuchten Liegezeit aufgelöst werden." Gründe für den Rückzug gibt es viele. Etwa, wenn Angehörige aus Saalfeld wegziehen. Oder gesundheitlich nicht mehr in der Lage sind, das Grab ihrer Angehörigen zu pflegen.
Deshalb wächst die Zahl der Gemeinschaftsanlagen. Allein vier große Felder gibt es, auf denen die Urnen der Verstorbenen vor großen Stelen beigesetzt werden. 16 Urnen passen vor jede Stele, die Namen finden sich auf dem Stein. Nicht jeder mag den Anblick der Stelenfelder. Für Pfarrer Christian Sparsbrod sehen sie aus wie "Kriegsgräber". Auch er verfolgt den Trend zum Gemeinschaftsgrab. Auf der anderen Seite, sagt er, werden die Trauergottesdienste oder Trauerfeiern immer individueller. Mit Musik passend zum Verstorbenen. Und mit persönlichen Reden, die nahe Angehörige halten. Eigentlich ein Widerspruch, sagt er. Aber inzwischen auf vielen Friedhöfen Realität.
Der Pfarrer mag die individuellen Gräber, wo jeder Stein einen Spruch trägt, der auch etwas über die Verstorbenen erzählt. Wo sich Angehörige Gedanken machen über das Material, die Form. Und über die Gestaltung des Grabes.
Gräber erzählen Stadtgeschichte
Wir bleiben bei den Familiengräbern an der Friedhofsmauer stehen. Viele davon gehörten bekannten Saalfelder Familien. Sie erzählen auch ein bisschen Stadtgeschichte. Laut Lukas Welsche finden sie nun Stück für Stück neue Eigentümer, die sie vor dem Verfall retten. Mancher lässt die historische Gestaltung an der Wand und gestaltet den Platz davor nach eigenem Geschmack. Andere verknüpfen Geschichte mit neuen Motiven. Wie zum Beispiel mit einem Regenbogen, der schon von weitem ins Auge fällt.
Mitten auf dem Friedhof haben die Mitarbeiter neue Bäume gepflanzt. Ebenfalls ein Gemeinschaftsgrab für Urnen. Nur ein einzelner Stein direkt am Weg kennzeichnet das Grab. Hier können Angehörige Blumen niederlegen und verweilen. Kleine Schilder tragen die Namen derer, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Wenn Eltern um ihre Kinder trauern
Wir laufen weiter zum neuen Gendenkort für sogenannte "Sternenkinder". Kinder, die noch vor oder während der Geburt verstorben sind. "Wir haben gestern hier das erste Sternenkind beerdigt", sagt Lukas Welsche. Eigentlich sollten erst im Juni die ersten Kinder hier ihre letzte Ruhe finden. Der Friedhof wollte allerdings den Eltern ihren Wunsch nicht abschlagen, dass ihr Sternenkind bei den anderen liegen kann.
Das Sternenkindergrab ist nicht die einzige besondere Grabstätte auf dem Saalfelder Friedhof. Ein Denkmal für gefallene Soldaten der Roten Armee liegt nicht weit entfernt von den Opfern der schweren Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg. Auch Zwangsarbeiter liegen hier begraben. Besonders berührt ein kleiner Bereich auf dem Friedhof, auf dem Kinder ihre letzte Ruhe gefunden haben. Wir stehen vor einem Grab mit einem Mädchen, das erst gestern seinen fünften Geburtstag gefeiert hätte. Reich geschmückt mit kleinen Spielsachen und Osterdekoration. Wir können fühlen, wie wichtig dieser Ort für die Eltern ist.
Den Angehörigen nicht zur Last fallen
Viele derer, die sich für ein Gemeinschaftsgrab entscheiden, wollen ihren Angehörigen nicht zur Last fallen, sagt Lukas Welsche. Laut Pfarrer Christian Sparsbrod sehen diese das meist anders. "Sie wollen einen Ort zum Trauern, sie wollen die Anonymität eigentlich nicht", sagt er. "Gerade Angehörige von Menschen, die lange im Krankenhaus liegen, kommen trotzdem regelmäßig dorthin." Sie verstünden auch, wenn Menschen nach langer Leidenszeit sterben wollen. Trotzdem ist für sie Erinnerung wichtig.
Nichts erzählt allerdings von denen, die in der Mitte des Friedhofs begraben sind. Hier werden Menschen völlig anonym bestattet. Vor allem soziale Fälle liegen hier, bei denen die Stadt die Kosten für die Bestattung übernimmt. Kein Name, keine Geburts- und Sterbedaten. Auch dieser Ort wird von den Mitarbeitern des Friedhofs gepflegt.
Am Ende unseres Rundgangs zeigt mir Lukas Welsche noch ein großes Blatt aus Glas. Hier können die Namen von zwei Verstorbenen eingraviert werden. Sogenannte Paargräber soll es bald geben. Zwei Urnenplätze, ein Blatt. Die nächste Form der Bestattung auf dem Saalfelder Friedhof.
MDR (adr,ask)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit | 18. April 2025 | 18:00 Uhr
Anita L. vor 4 Wochen
Wer den Wandel in Bestattungs- und Grabgepflogenheiten als Wertverlust bezeichnet, vergisst möglicherweise, dass
- auch das Urnenbegräbnis sich dieses Vorwurfs hat erwehren müssen, während inzwischen zumindest in Deutschland das Sargbegräbnis eher als Ausnahme gilt,
- dass es Völker gibt, die es absolut unvorstellbar finden, ihre Toten überhaupt zu be-erd-igen, zu verbrennen,
- die alten Römer vielleicht auch von Wertverlust gesprochen hätten, als antike Weihe- und Kulturstätten zu Friedhöfen umfunktioniert wurden.
Wer behauptet, mit dem Wandel der Begräbnisart wäre ein Verfall familiärer Strukturen verbunden, vergisst vielleicht, dass wir in einer Gesellschaft leben, in denen nur noch wenige an ein Leben nach dem Tod glauben und es daher sinnvoller und wichtiger ist, Familie und Freunde vor allem im Leben wertzuschätzen, nicht danach.
Anita L. vor 4 Wochen
Nehmen Sie es mir nicht übel, aber wie ein gläubiger Mensch nicht unbedingt eine ausgeschmückte Kirche benötigt, um Zwiesprache mit seinem Gott zu halten, benötigen andere Menschen nicht unbedingt einen Friedhof, um das Andenken an verstorbene liebe Menschen aufrecht zu erhalten. Gerade unsere Freundin wird ihrem Bruder weit näher sein, wenn sie demnächst in seiner Lieblingsgegend wandern geht, als wenn sie jedes Mal einen Friedhofsbesuch einplanen muss.
MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT vor 4 Wochen
Mag sein: ich bin altmodisch.
Mag sein: ich hab keine Ahnung.
Mag sein: ein Grab — ist ein Grab. Ist ein Grab…
…und ich hab‘ eben auch keine Lösung dafür, wie „effizient“ die Trauerkultur
in Zukunft sein „darf“ und wenn das Sozialamt weder den Angehörigen noch
den anderen Trauergästen einen schwarzen Anzug oder ein schwarzes Kleid (nicht mal leihweise!) zur Verfügung stellt, ja, im Trauerfall nicht mal das Wort
„Beileid !“ im (abgelehnten) Antrag benutzt und wenn selbst die Landeskirche
meint, dass schwarz heute nicht mehr die 1. Wahl zur Trauerfeierkleidung ist,
dann stehe ich dieser Transformation als Trauernde(r) doch etwas sehr hilflos
und alleingelassen gegenüber…
….andrerseits:
wer möchte nicht gern diesem irdischen Jammertal in Freuden entfliehen
und eine „schöne“ Trauer feiern — mit Tanz und Freudengesängen
und ruhen an einem fröhlichen Ort ?!
…und, liebe EKMD:
Euch möcht‘ ich sehen, wenn die Antependien am
Karfreitag an Kanzel und Altar „bunt“
(statt tiefschwarz) hängen…!