
Vereinsleben Teurer Traum vom Ponyhof: Wie Thüringer Reitställe gefordert sind
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02. Februar 2025, 18:04 Uhr
In Thüringen steigen immer mehr Menschen aufs Pferd - im Verein. Doch von den Reitvereinen gibt es immer weniger. Der finanzielle Druck auf einen ohnehin schon teuren Sport wächst. Man müsse wirtschaftlich denken, sagt eine Betreiberin aus Südthüringen. Hat das Reiten seinen Zauber verloren?
Kinderstimmen und Hufgetrappel auf der Stallgasse: An diesem Samstagvormittag ist in Mupperg im Kreis Sonneberg viel Betrieb. Vor 15 Jahren hat Lisa Rädlein die Reitschule von ihren Eltern übernommen. Sie hatten sie nach der Wende gegründet und übergeben, als sie in Ruhestand gingen.
Mit einem Pferd legte Lisa Rädlein los, gab selbst Reitunterricht und stellte später Personal ein, weil die Nachfrage groß genug war. Heute hat sie 30 Schulpferde im Stall und drei Angestellte. Wer hier reiten lernen möchte, der bucht seine Unterrichtsstunde online. An diesem Vormittag gibt es auch eine Erwachsenen-Reitstunde.
1.000 Mitglieder mehr in Thüringer Reitvereinen in vergangenen zehn Jahren
Eine ihrer Reitschülerinnen ist Renate Zumhülsen. Die 47-Jährige kommt seit anderthalb Jahren in den Reitstall Rädlein. Ihre Tochter hatte das Reiten angefangen und Renate an ihr vor Jahren abgelegtes Hobby erinnert. Das Interesse an dem Sport mit Pferden ist hoch: Im vergangenen Jahr seien fast 7.400 Menschen in Thüringen in einem Reitverein angemeldet gewesen, sagt der Landessportbund. Das sind 1.000 Pferdefreunde mehr als noch im Jahr 2015.
Wirtschaftliche Freiheiten eher ohne Verein möglich
In Mupperg können Interessierte aller Altersklassen das Reiten erlernen. Einen Reitverein gebe es aber bei Lisa Rädlein nicht - aus gutem Grund, wie sie selbst sagt. Über große Anschaffungen oder geänderte Strukturen müsste dann jedes Mal abgestimmt werden. "Man sieht es bei den ganzen anderen Ställen, die Vereine sind, es hemmt einen. In der Entscheidung, ob du ein Schulpferd kaufst, welches du kaufst, wie du die Unterrichtsstunden gestaltest. Da ist man schon eher gehemmt - wirtschaftlich gesehen."
Für Lehrgänge und Reitabzeichen arbeitet sie mit dem Reitverein in Neustadt bei Coburg zusammen. Und auch Aktionen wie Tag der offenen Stalltür und Feiern integriert sie in ihr Programm. Denn auf gemeinsame Aktivitäten außerhalb des Unterrichts möchte sie nicht verzichten. Und auf die freiwillige Hilfe ihrer Schüler könne sie auch zählen, obwohl sie keinen Verein hat.
Früher […], da war man eigentlich im Reitverein - das war ganz klar.
Interesse an Vereinsleben sinkt
Laut Landessportbund gab es 2024 in ganz Thüringen 209 Reitvereine - das waren 30 weniger als vor zehn Jahren. Laut Annett Oschmann-Kohl vom Thüringer Reit- und Fahrverband liegt das auch an den Sparmaßnahmen der großen Pferdeställe. Und diese reagieren damit auch auf das sinkende Interesse der Reiter am Vereinsleben und dem Wunsch nach mehr Flexibilität.
Reiten lernen sei immer noch beliebt, dafür gebe es aber weniger qualitativ gute Angebote. Es sei schwer, überhaupt erstmal einen Platz in einer Reitschule zu bekommen. Es sei deshalb kein Muss mehr, im Verein zu sein. "Früher war der Vereinssport noch viel mehr im Trend, da war man eigentlich im Reitverein - das war ganz klar. Und heute wird das oft hinterfragt, so ist auch mein Gefühl, dass viele sagen: Was habe ich davon und was kriege ich dafür?"
Auch sinke die Zahl der Turniere. Der Leistungssport ist weniger beliebt: teure Startgelder, hohe Boxenmieten, Hotel und Verpflegung. Dafür wachse laut Verband das Interesse am Breitensport, also Disziplinen, in denen die Partnerschaft mit dem Pferd und weniger die reiterliche Karriere im Fokus stehe. Zumindest letzteres sei eine erfreuliche Entwicklung, findet Oschmann-Kohl.
Sorgen um gestiegene Tierarztgebühren
Wie in anderen Lebensbereichen hat auch der Reitsport mit gestiegenen Betriebskosten zu kämpfen. Schulpferde seien schwer zu bekommen. Ein neues Förderprogramm der Reiterlichen Vereinigung soll Reitschulen beim Kauf finanziell unterstützen. Und: Eine vor zwei Jahren neu eingeführte Gebühr für Tierärzte erhöht den Druck für die Reitställe. Wenn Pferde krank werden, dann hänge daran auch ein wirtschaftlicher Faktor, so Lisa Rädlein.
Auch sie habe in der Vergangenheit Pferde abgeben müssen, denn alles müsse im Einklang sein: Auslastung, Pausen und die Haltungskosten. Die Tierarztgebühren seien laut Rädlein nicht unbedingt zum Wohl der Tiere gestiegen. Viele Pferdebesitzer würden sich gut überlegen, ob sie einen Arzt hinzurufen oder nicht.
Betriebe dürften keine Angst haben, mehr Geld für eine Unterrichtsstunde zu verlangen. "Wir mussten in all den Jahren die Preise mehrmals erhöhen, sonst wären wir nicht mehr da." Derzeit kosten regelmäßige Gruppenreitstunden in Mupperg für Kinder 30 Euro, etwa das Doppelte als vor zehn Jahren.
Pferde dürfen nicht zu stark belastet werden
Damit sich die Haltung eines Pferdes für die Reitschule lohnt, erfasst sie, welches Pferd wie oft im Unterricht läuft, auch aus Tierschutzgründen. Oschmann-Kohl bestätigt, dass immer mehr Betriebe zusätzliche Reitstunden anbieten, damit es sich rechnet. Aber es gebe klare Grenzen: "So ein Pferd soll auch nicht mehrere Stunden hintereinander laufen. Da wollen wir auch gucken, dass es keine Maschinerie wird."
Reiten ist ein Kinderhobby und an Kindern wird oft als letztes gespart.
Dennoch müssten die Reitbetriebe umdenken, ihr Angebot anpassen oder ausweiten, sagt auch Lisa Rädlein. Und viele würden die Stunden, insbesondere auf dem Land, immer noch zu günstig anbieten. Die Leute seien bereit, das Geld zu bezahlen - jedenfalls bis zu einem gewissen Maße.
"Reiten ist ein Kinderhobby und an Kindern wird oft als letztes gespart", erzählt sie. Frische Luft und Bewegung, das sei es vielen Familien wert. Nur wenige seien aus Kostengründen ausgestiegen.
Jetzt hat man häufiger Kinder, die viel zu sehr wie Erwachsene denken.
Reitferien, Ponystunde oder Fortgeschrittenenkurse - ein breites Angebot gebe den Betrieben zwar mehr finanzielle Sicherheit, aber sei auch dringend nötig, so Rädlein. Denn auch die Arbeit mit den Kindern am Pferd hätte sich verändert. Manche bräuchten länger, sich an die Tiere zu trauen oder ein gutes Körpergefühl zu entwickeln.
Vor zehn bis fünfzehn Jahren seien die jungen Reitschülerinnen und Reitschüler weniger verkopft gewesen. "Jetzt hat man häufiger Kinder, die viel zu sehr wie Erwachsene denken, die viel zu sehr nachdenken", berichtet Rädlein.
Liebe für Pferde vergeht nicht
Renate, die heute auf Cooper reitet, ist keine ängstliche Reiterin. "Sie kriegt alle Pferde zum Laufen", sagt Lisa Rädlein, während sie an der Bande steht. Heute lernen die vier Frauen in der Reitstunde, wie sie den Pferden feine Hilfen mit Schenkel und Zügel geben, damit die Tiere gesunderhaltend geritten werden.
Für Renate ist der Sport deshalb besonders, weil sie sich immer neu auf das Lebewesen einstellen muss. Der Wiedereinstieg sei ihr schnell gelungen, trotz etlicher Stunden mit Muskelkater. "Reiten und Fahrradfahren, das verlernt man nicht."
MDR (lou/ost)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Nachmittag | 02. Februar 2025 | 15:00 Uhr
brightspirit vor 5 Wochen
Da sollte der Thüringer Reit- und Fahrverband sich mal an seine eigene Nase fassen! Es ist ein eingeschworener Klüngel, neue Vereine werden schlicht kaum bis gar nicht beachtet. Musterbeisoiele: man wird weder gefragt noch vorgeladen, wenn es Verbandsposten zu besetzen gibt. Ein Landesjugendwart ist längst über das Alter hinaus, wird aber nicht ersetzt, Landestrainer? Fehlanzeige! Förderung/Anerkennung von engagierten Vereinsleuten gibt es nur für alteingesessene und aus "passenden" Vereinen stammende Leute ....." man kennt sich halt" und wenn man nur 3-7 Vereine hofiert, werden neue Leute, neue Vereine eben immer aussen vor bleiben. Es ist ein absolutes Trauerspiel! Ich bin da aus anderen Bundesländern ganz andere. Arbeit gewohnt - und dort gibt es auch nehr Vielfalt, bunteres Vereinsleben und mehr Erfolge für den Landesverband
Maria A. vor 5 Wochen
Da kommen Erinnerungen an meine Kindheit hoch. War ja auch so pferdenärrisch. Doch in der DDR waren Pferde rar geworden, selbst in größeren Dörfern gab es in den 70ern nur wenige. Einzelbauern waren sowieso dünn gesät wegen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Und die wenigen, die davon Pferde hielten, beschränkten sich auf Kaltblüter. Reitpferde galten als unnützer Luxus. Ich fand es toll, dass in den Jahren nach der Wende ein Umdenken erfolgte und sich tüchtige Menschen Pferdehaltung mit Reitmöglichkeit zuwandten. Es gehörte Herzblut dazu und Courage. Pferdehaltung, besonders die von Warmblütern, ist kostenintensiv. Schade, dass ich keine Enkelin hatte, die sich als "Pferdemädchen" fühlte. Ich hätte ihr gerne Reitstunden nebst Ausrüstung finanziert. Wünsche allen Pferdehaltenden Durchhaltevermögen, Erfolg und sichere Einnahmen. Allen Reitbegeisterten verständnisvolle finanzielle Unterstützung zum Ausüben des Hobbys. Oder der Berufung.