Thüringen Was die Brombeerkoalition Thüringen verspricht
Am vergangenen Freitag haben die drei angehenden Regierungsparteien in Thüringen - CDU, BSW und SPD - ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Wir haben aufgeschlüsselt, was darin steht und was die Koalitionspartner konkret schaffen wollen.
"Mut zur Verantwortung. Thüringen nach vorne bringen", steht als Titel auf dem sogenannten Regierungsvertrag, auf den sich CDU, BSW und SPD geeinigt haben. Auf den 126 Seiten ist zu lesen, was die Brombeerkoalition in den kommenden fünf Jahren schaffen will. "Einfach mal machen wird das Credo sein", sagte Mario Voigt bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages am vergangenen Freitag. Und Katja Wolf (BSW) sagte dem MDR: "Der Koalitionsvertrag ist die Handlungsmaxime und daran werden wir uns entlanghangeln."
Die wichtigsten Punkte
Gleich nach der Präambel listen die Partner komprimiert sechs Punkte mit "entscheidenden Themen" auf, wie es im Vertrag heißt. Hier sollen "konkrete Maßnahmen schnell" eingeleitet werden. Da ist von verlässlichem Unterricht in der Schule die Rede und davon, dass "Ärztinnen und Ärzte und Apotheken überall im Land in maximal 20 Minuten erreichbar" sein sollen.
Die Thüringer Wirtschaft soll von "überflüssiger Bürokratie" befreit werden. Außerdem will die Brombeer-Koalition eine zentrale Landesausländerbehörde schaffen, Verwaltungsprozesse digitalisieren und Kommunen entlasten. Eine "Konzentration auf das Wesentliche" soll das sein, "über parteipolitische Grenzen hinweg".
Was das konkret heißt, ist auf den nächsten Seiten in zehn Bereiche aufgeschlüsselt. Zu diesen Bereichen zählen etwa "Bildung, Wissenschaft und Innovation" oder "Migration, Sicherheit und Justiz". Wir haben aus jedem Bereich einige Punkte herausgegriffen, um sie hier vorzustellen. An diesen ihren eigenen Zielen wird sich die Brombeerkoalition in den nächsten fünf Jahren messen lassen müssen.
Wie soll die Bildungspolitik aussehen?
Sprachkompetenztests: Dafür sollen verpflichtende Deutschtests zur Ermittlung von Sprachkompetenzen und Deutschkenntnissen im 5. Lebensjahr eingeführt werden. Kinder mit festgestelltem sprachlichen Förderbedarf sollen vor ihrer Einschulung ein verpflichtendes Vorschuljahr mit verbindlichen Förderangeboten in den Kindergärten absolvieren.
Gegliedertes Schulsystem: Die Brombeer-Koalition hält am gegliederten Schulsystem fest. Das bedeutet, dass es in Thüringen weiterhin Grundschule, Regelschule, Gymnasium, Gesamtschule, Gemeinschaftsschule, Berufsbildende Schule und Förderschule geben soll. Auch Schulen in freier Trägerschaft sollen ein wichtiger Bestandteil der Schullandschaft bleiben.
Noten soll es nach der Schuleingangsphase verpflichtend geben. In allen Klassenstufen sollen Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung in den Zeugnissen verpflichtend beurteilt werden. Dafür reicht aber eine Beschreibung.
Hortgebühren sollen abgeschafft werden.
Warmes Mittagessen für alle: Im Koalitionsvertrag ist von einem "Einstieg in ein kostenfreies, warmes Mittagessen an Schulen und in Kindergärten" die Rede. Dafür soll es eventuell einen Landeszuschuss ab August 2027 geben. Das heißt, ein "warmes Mittagessen für alle" ist eher Wunsch als konkrete Maßnahme.
Keine Bundeswehr-Werbung: Die Bundeswehr soll zukünftig nicht mehr an den Thüringer Schulen werben dürfen. Ob damit ein klares Verbot gemeint ist, bleibt offen.
Handyverbot in Kernschulzeit: In Grundschulen soll die Handynutzung verbindlich eingeschränkt werden. Damit soll der Austausch untereinander und die Konzentration auf den Unterricht gefördert werden.
Tablets ab Klasse 7: Ab Klasse 7 soll jede Schülerin und jeder Schüler ein Tablet erhalten. Die Koalition will die Anschaffung unterstützen. Wie genau, wird nicht erklärt.
Unterricht statt Ausfall: Der Unterricht in Thüringen soll abgesichert werden und möglichst keine Schulstunde mehr ausfallen. Dafür wollen die Koalitionspartner auch weiterhin neue Lehrkräfte einstellen und Seiteneinsteiger unterstützen.
Was die Brombeer-Koalition im Bereich Wirtschaft, Arbeit und Energie vorhat
Gründungen erleichtern: Bürokratie soll abgebaut und Verfahren sollen vereinfacht werden. Gründer wollen die Koalitionäre zeitlich begrenzt von Dokumentations- und Berichtspflichten befreien.
Meisterausbildung kostenfrei: Die angehenden Regierungspartner wollen die Meisterausbildung in Thüringen kostenfrei machen.
Integration: Migrantinnen und Migranten sollen zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden. Die Begründung: Dies fördere den sozialen Zusammenhalt und eine erfolgreiche Integration.
Anwerbeoffensive: Ausländische Fachkräfte sollen gezielt angeworben, Verfahren beschleunigt und Anerkennungen vereinfacht werden.
Keine Windkraft im Wald: Ausnahmen von diesem Grundsatz sollen allein auf "drängenden kommunalen Wunsch hin" vor Ort genehmigt werden.
Mit der Brombeerkoalition gibt es keine neuen Windräder im Wald.
Neuerungen bei der Migration, Sicherheit und Justiz
Kommunen entlasten: Menschen mit geringer Bleibeperspektive sollen nicht auf die Kommunen verteilt werden. Stattdessen sollen sie schnell rückgeführt und bis dahin zentral untergebracht werden.
Zentrale Ausländerbehörde: Eine neue zentrale Ausländerbehörde soll die Aufnahme von geflüchteten Menschen, ihre Integration, die Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse und ihre Rückführung bündeln.
Eigene Abschiebehaftplätze für Ausreisepflichtige: In Thüringen soll es eigene Abschiebehaftplätze für Ausreisepflichtige geben.
Mehr Videoüberwachung und die Ausweitung von Messerverbotszonen: Um Maßnahmen wie mehr Videoüberwachung und die Ausweitung von Messerverbotszonen umsetzen zu können, sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Was soll sich bei Gesundheit, Pflege und sozialer Verantwortung tun?
Gesundheitsversorgung: Thüringen soll ein "20-Minuten-Land" werden, das heißt, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Apotheken nicht weiter als 20 Fahrtminuten entfernt sein sollen. Um dafür mehr Ärzte zu gewinnen, soll es mehr Medizin-Studienplätze in Thüringen geben. Die Niederlassung von Ärztinnen und Ärzten sowie Apotheken im ländlichen Raum soll gefördert werden.
Krankenhausstruktur: Der Krankenhausplan soll zügig überarbeitet werden. Krankenhäuser sollen stärker spezialisiert werden und nicht mehr alle medizinischen Bereiche vorhalten. Kliniken sollen miteinander kooperieren.
Schlussstrich Corona: In diesem Zusammenhang sollen beispielsweise noch offene Bußgeldverfahren nicht weiterverfolgt oder deren Einstellung angeregt werden.
Was in den Bereichen Landwirtschaft und Umwelt wichtig ist
Landwirtschaft: Landwirtschaftliche Betriebe sollen für Naturschutz ausreichend honoriert werden. Dafür will die Brombeerkoalition die Einführung eines "Naturschutzfeldblocks" prüfen.
Regionale Wertschöpfung: Die zukünftigen Regierungspartner wollen Planungssicherheit für Tierhaltungen und Investitionen garantieren. Zum Beispiel, indem sie kleine Schlachtbetriebe bei den Gebühren für die Schlachttier- und Fleischuntersuchungen entlasten.
Einkommensunterstützung für Landwirtinnen und Landwirte: Mittel der EU und des Bundes wollen die Koalitionäre vollständig kofinanzieren.
Waldumbau: Der Wald soll mit vorwiegend heimischen Baumarten umgebaut werden.
Der Wolf ist eine nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützte Tierart.
Wolf: Die Koalition will die rechtlichen Grundlagen für eine "Regulierung der Wolfsbestände" schaffen. Wie genau die Anzahl der Wölfe reguliert werden soll, wird nicht erklärt. Das Wort "regulieren" kann vieles bedeuten, etwa "prüfen" oder "regeln", aber auch "begleichen" oder "bereinigen". Der Wolf ist eine nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützte Tierart.
Ende August schrieb der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte einen Gastbeitrag in der "Zeit" und mutmaßte in der Überschrift: "Vielleicht wird's ja eine Brombeer-Koalition." Höchstwahrscheinlich war das die Geburtsstunde des Begriffs. Spätestens seit der Thüringer Landtagswahl am 1. September hat er sich als Bezeichnung für eine mögliche Regierung aus CDU, BSW und SPD etabliert. Die Farben der Parteien (Rot, Lila, Schwarz) zielen auf die Frucht in ihren unterschiedlichen Reifegraden ab.
Öffentlicher Nahverkehr, Radwegeausbau und Sozialwohnungen
ÖPNV: Die Brombeerkoalition setzt auf eine Mobilitätswende und will die Attraktivität und Sicherheit des öffentlichen Personennahverkehrs, des Radverkehrs und des Fußverkehrs steigern. Dafür will sie in das Bus- und Bahnangebot investieren. Konkret soll der ÖPNV ausgebaut, modernisiert, elektrifiziert und neue Fahrzeuge angeschafft werden.
Straßen: Investitionen in Landesstraßen, kommunale Straßen und Brücken sollen deutlich gesteigert werden, dabei steht Sanierung vor Neubau.
Radverkehr: Die Partner wollen die geltende kostenlose Fahrradmitnahme in der Bahn erhalten und mehr in den Ausbau und die Instandhaltung von Radwegen investieren.
Wohnen: Der Bau, der Kauf oder die Sanierung von Immobilien für Familien soll gefördert werden. Zinsgünstigen Darlehen und Zuschüsse sollen ihnen dabei helfen.
Sozialwohnungen: Der Bestand an Sozialwohnungen soll bis 2030 deutlich erhöht werden. Dafür will die Koalition die Mittel bereitstellen.
Friedensbildung an Schulen, Kritik an Mittelstreckenraketen und die Zukunft der Medienlandschaft
Friedensbildung: Die "Friedensbildung" soll in der Schule eine wichtige Rolle spielen. Dafür sollen schulische und außerschulische Angebote gefördert werden.
Die Landeszentrale für politische Bildung soll personell und finanziell an den bestehenden Bedarfen orientiert ausgestattet und deren gesetzliche Verankerung geprüft werden.
Zukunft der Medienlandschaft: Die Vielfalt an Medienformen soll gestärkt und weiterentwickelt und der Medienstandort Thüringen weiter ausgebaut werden. Die Brombeerkoalition bekennt sich zum Grundsatz eines staatsfernen und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR). Der ÖRR müsse eine zentrale Rolle in der Medienlandschaft spielen und daher auskömmlich finanziert sein.
Gedenkstättenfahrten: Die zukünftige Landesregierung will Gedenkstättenfahrten fördern, um die Erinnerung lebendig zu halten. Jede Thüringer Schülerin und jeder Schüler soll mindestens einmal einen Ort besuchen, der an die Schrecken der NS-Diktatur erinnert.
Mittelstreckenraketen: Eine Stationierung und die Verwendung von Mittelstreckenraketen ohne deutsche Mitsprache sieht die Brombeerkoalition kritisch. Zu diesem Thema soll eine breit angelegte Debatte gefördert werden. Die Meinung von Bürgerinnen und Bürgern soll in Bürgerräten gehört werden.
Sport: Für den kommunalen Bereich soll die jährliche Sportförderung erhöht werden. Kommunen sollen beim Erhalt und der Unterhaltung ihrer Sportanlagen und -vereine unterstützt werden.
Die Brombeerkoalition will die Sportförderung für die Kommunen erhöhen. (Archivfoto)
Weniger Bürokratie und schnellere Verwaltung
Maßnahmenpaket zum Bürokratieabbau: Die Bürokratie für Wirtschaft, Bürger und Vereine soll überprüft und reduziert werden. Etwa mit einer "Paragrafenbremse". Das bedeutet, dass für jede neue Regelung, die eingeführt wird, eine andere gestrichen wird.
Schnellere Verwaltung: Aufgaben und Abläufe in der Verwaltung sollen gestrafft, optimiert und effizienter gestaltet werden. Dafür soll zum Beispiel die Landesverwaltung reformiert werden. Das Thüringer Landesverwaltungsamt soll zu einer modernen Dienstleistungsbehörde fortentwickelt werden.
Förderungen: Förderprogramme sollen vereinfacht und gebündelt werden, etwa indem die Anzahl der Förderbehörden des Landes deutlich reduziert wird. Der Zugang zu Fördermitteln soll schneller und transparenter werden, indem beispielsweise Förderprozesse automatisiert und standardisiert werden.
Digitalisierung: Behördengänge sollen einfacher und schneller gemacht werden. Dafür sollen Verwaltungsleistungen digitalisiert werden. Dabei soll der analoge Zugang nicht ersetzt werden, das heißt, Bürgerinnen und Bürger sollen auch weiterhin ihre Anliegen persönlich vorbringen können.
Schuldenbremse bleibt
Die Schuldenbremse soll eingehalten, aber modernisiert werden. Für die Umsetzung soll eine Haushaltsstrukturkommission Leitplanken für die zukünftige Haushaltspolitik erarbeiten.
Alle vom Land finanzierten Strukturen sollen nach Kosten und Nutzen bewertet werden.
Steuersenkungen, die zulasten des Landeshaushalts gehen, sollen nur dann umgesetzt werden, wenn eine langfristige Gegenfinanzierung sichergestellt ist.
Förderungen, etwa die Wohnungsbauförderung, sollen auf eine Kreditfinanzierung umgestellt werden.
Keine Zusammenarbeit mit der AfD
"Wir verpflichten uns, den Regierungsvertrag in konkretes Regierungshandeln umzusetzen", heißt es im Koalitionsvertrag.
Kabinettsitzungen sollen regelmäßig im gesamten Land stattfinden. Damit wollen die zukünftigen Regierungspartner die Bürgernähe der Regierung stärken und sicherstellen, dass ihre Politik alle Regionen des Landes erreicht.
Das Parlament soll in die Regierungsarbeit eingebunden werden. Dazu soll ein "Prälegislatives Konsultationsverfahren" eingeführt werden. Dieses soll sicherstellen, dass der Landtag mit seinen Fraktionen über zentrale Vorhaben der Regierung informiert und einbezogen wird, bevor sich das Kabinett damit befasst.
Es soll keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Gespräche sollen nur zu notwendigen parlamentarischen Verfahren und Entscheidungen aufgrund der Sperrminorität geführt werden.
Mit der Linken soll es keine gesonderte Vereinbarung geben. Zu Sachfragen soll es Gespräche mit der Links-Fraktion geben.
MDR (caf)