Thüringen Zu spät und zu wenig - Wildnis-Ziele in Thüringen und deutschlandweit verfehlt
Deutschland braucht mehr Wildnis. Bis 2020 sollten nach dem Willen der Bundesregierung zwei Prozent der Landes Wildnis werden. Naturschützer belegen jetzt mit einer Studie: Bund wie Länder haben dieses Ziel nicht erreicht. Und tun auch künftig zu wenig dafür.
Zum deutschlandweiten nationalen Wildnis-Ziel trägt Thüringen bisher nur mit großen Waldflächen bei. Das dokumentiert eine Bilanz-Studie, die die Initiative "Wildnis in Deutschland" am Montag in Berlin vorgelegt hat. Danach bringt Thüringen mit Flächen im Hainich, in der Hohen Schrecke, im Possen und im Thüringer Wald insgesamt ein gutes halbes Prozent seiner Landesfläche in die deutsche Wildnis-Bilanz ein.
Die 2007 von der Bundesregierung beschlossene Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt hatte als Ziel formuliert, bis 2020 auf zwei Prozent der Landesfläche der Bundesrepublik großflächige Wildnis-Gebiete auszuweisen. 2024 hat Deutschland erst 0,62 Prozent erreicht.
Große Flächen für ungestörte Natur-Prozesse
Als Untergrenze für die Gebiete, die für das Zwei-Prozent-Wildnis-Ziel infrage kommen, hatten Bund und Länder eintausend Hektar festgelegt. Hintergrund der Festlegung ist, dass nur auf großen, unzerschnittenen Flächen natürliche Prozesse ohne Störungen und ohne Konflikte mit dem Menschen ablaufen können.
Bei Auen, Mooren, Küsten, Seen und Kernzonen von Nationalparks dürfen die Flächen auch kleiner sein. Um für das nationale Wildnis-Ziel gezählt werden zu können, muss auch rechtlich verbindlich geklärt sein, dass die Flächen nicht mehr vom Forst genutzt werden.
Kein Zuwachs in den nächsten zehn Jahren
Die Wildnis-Studie haben die Zoologische Gesellschaft Frankfurt, die Heinz-Sielmann-Stiftung und die in Erfurt ansässige Naturstiftung David gemeinsam erstellt. In der Bilanz wird auch aufgeführt, wo einerseits für die kommenden zehn Jahre und andererseits auch darüber hinaus Potenzial für neue, große Wildnis-Gebiete liegt. In Thüringen sehen sie Autoren keine solchen Flächen, die sich kurzfristig sichern lassen. Über diese Zeitspanne hinaus sei aber vorstellbar, dass weitere 2000 Hektar für das nationalen Wildnis-Ziel ausgewiesen werden.
Zum Aufklappen: Was ist Landschaftszerschneidung?
Mit Flächen- oder Landschaftszerschneidung wird die räumliche Trennung von Landschaftselementen und gewachsenen ökologischen Zusammenhängen zwischen räumlich verbundenen Landschaftsbereichen bezeichnet.
Ihre Ursachen sind hauptsächlich der Bau von Verkehrswegen (Straßen, Bahntrassen, Kanäle, Schienen). Diese sind für viele Tier- und Pflanzenarten Barrieren und verkleinern, zerteilen und isolieren deren Lebensräume. Zerschneidung und Fragmentierung der Landschaft gilt als wesentliche Ursache für den Rückgang von Tier- und Pflanzenarten und die Gefährdung der Artenvielfalt.
Pöllwitzer Wald als Wildnis-Kandidat
Der Geschäftsführer der Naturstiftung David, Adrian Jost sagte MDR THÜRINGEN, für diese gut zweitausend Hektar hoffe man auf eine Sicherung des Pöllwitzer Waldes. Das Gebiet in Süden des Landkreises Greiz gehört zum Nationalen Naturerbe. Ein großer Teil ist im Besitz der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.
Jost verwies darauf, dass dieser unzerschnittene Wald sich als Fläche, die sich künftig natürlich und ungestört entwickeln kann, gut eignet. Allerdings müsse der Wald dafür noch umgebaut werden, um Puffer zu weiter genutzten Nachbarflächen zu schaffen. Außerdem sei hier auch die großflächige Renaturierung eines Moores geplant. Die Umsetzung koste Zeit, in der der Wald noch nicht ungestört sein werde.
Mindestgröße überfordert Thüringen
Mit dem Förderprogramm Wildnisfonds und der Förderrichtlinie KlimaWildnis mache es die Bundesregierung inzwischen auch für Privatwaldbesitzer lukrativ, Wildnis-Flächen zu schaffen, so Johst weiter. Die wichtigsten Partner bei der Suche nach geeigneten Flächen seien aber Bund, Länder und Kommunen. Thüringen als kleinteiliges Bundesland bewegt sich beim Ausweisen von großflächigen Wildnis-Gebieten an der Grenze seiner Möglichkeiten.
Flächen ab eintausend Hektar, die sich dauerhaft schützen lassen, gibt es hier fast nur im Wald. Im internationalen Vergleich ist Deutschland mit dieser Größe eher im unteren Bereich unterwegs. So rechnet die Wild Europe Initiative, ein Zusammenschluss mehrerer europäischer Naturschutzorganisationen, mit Flächen ab dreitausend Hektar.
Verwirrendes Extra-Ziel für Waldwildnis
Ein Sprecher des Thüringer Umweltministeriums sagte, der Blick auf die großflächigen Wildnis-Gebiete in Thüringen biete nur ein unvollständiges Bild. Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt habe parallel als Extra-Ziel formuliert, fünf Prozent Waldwildnis zu schaffen. In Thüringen sei vereinbart worden, bis 2029 26.000 Hektar in 120 Waldgebieten nicht mehr forstlich zu nutzen.
Da der Bund für Waldwildnis keine Mindestgröße vorgegeben habe, werde man hier viele kleinere Flächen einbringen. Die in der Bilanz-Studie zu großen Wildnis-Flächen genannten Gebiete werden allerdings für das Waldwildnis-Ziel ebenfalls berücksichtigt.
MDR (jn)