Menschen feiern in Tel Aviv mit israelischen Flaggen die Freilassung von drei Hamas-Geiseln
reportage

Rückkehr israelischer Geiseln Das Ende eines Albtraums

Stand: 20.01.2025 06:51 Uhr

In Israels Straßen liegen sich weinende Menschen in den Armen: Nach 471 Tagen Geiselhaft in Gaza kommen drei entführte Frauen endlich nach Hause. Doch in den Moment der Erleichterung mischt sich auch Sorge.

Von Anne Armbrecht, Tel Aviv

Ein paar Luftballons haben sich im Baum verfangen. Sonst ist auf dem Platz der Geiseln nicht mehr viel. Kamerateams packen zusammen, ein Pianist spielt noch Klavier. Nur zwei Freundinnen sitzen noch auf kaltem Stein am Rand. Sie seien an diesem Tag hergekommen, um mit allen zu feiern, sagt Noa. Jetzt, spät am Abend, wirken sie erschöpft.

Vor wenigen Stunden hatten sich hier im Zentrum Tel Avis noch Hundert Menschen weinend und jubelnd in den Armen gelegen. "15 Monate haben wir die Luft angehalten. Jetzt können wir zumindest ein bisschen atmen", sagt Carmel. Bis zuletzt hätten sie nicht glauben können, dass die Frauen wirklich heimkommen. Erst, als sie die Bilder der Armee sahen. Mit einer der Geiseln, Romi, seien sie früher zur Schule gegangen, sagen sie.

Physisch in relativ guter Verfassung

Romi Gonen, Doron Steinbrecher, Emily Damari: So heißen die drei jungen Frauen, die nach Hause gekehrt sind. Frei nach 471 Tagen Gefangenschaft in Gaza, wohin sie am 7. Oktober 2023 entführt wurden. Sie sind die ersten israelischen Geiseln, die im Rahmen eines Abkommens freigekommen sind. Weitere 30 sollen in den kommenden Wochen folgen.

Am späten Sonntagnachmittag übergab die Hamas die Freigelassenen in Gaza zunächst an das Internationale Rote Kreuz. Soldaten der Armee brachten sie schließlich nach Israel. Sie sollen nun im Sheba-Krankenhaus bei Tel Aviv behandelt werden. Ersten Angaben nach sollen sie trotz der langen Zeit in Gefangenschaft zumindest physisch in relativ guter Verfassung sein. Ein Video aus der Klinik zeigte das Wiedersehen mit den Familien.

"Heute ist ein Tag der Freude"

Familien und Unterstützer hatten lange für diesen Moment kämpfen müssen. "Heute ist ein Tag der Freude", sagt Rachel, die mit ihrem Mann gekommen ist. Die beiden seien mit dem Baby extra aus dem Norden nach Tel Aviv gereist, um an der Kundgebung auf dem Platz teilzunehmen. "Aber wir sind heute auch wütend. Wütend, dass es so lange gedauert hat. Und auf die Welt, die das Schicksal unserer Geiseln längst vergessen hat", sagt sie.

Er kenne keine der Entführten persönlich, sagt Yair. "Aber es ist, als hätte man Schwestern und Brüder von uns gerissen." Politik interessiere ihn nicht, sagt er. Er fühle in dieser Nacht mit den Familien der Entführten und den Palästinensern. "Wir wollen, dass unsere Leute heimkommen und der Krieg aufhört. Das Leiden auf beiden Seiten aufhört. Einfach nur Menschlichkeit - ist das zu viel verlangt?"

Das Bangen geht für die Familien weiter

Viele Israelis waren im vergangenen Jahr immer wieder protestieren gegangen. Plakate mit Gesichtern der Entführten säumen in Tel Aviv und anderen Orten viele Straßenzüge, sie kleben an Häuserfassaden und am Flughafen. Auch am Sonntagabend hatten Unterstützer wieder viele mit auf den Platz gebracht, neben großen israelischen Flaggen.

Das Ringen um einen Deal war über Monate immer wieder ins Stocken geraten. Erst am vergangenen Mittwochabend verkündeten die Vermittler aus den USA, Katar und Ägypten eine Einigung. Am Sonntagmittag trat nun zunächst mit Verspätung eine zeitlich begrenzte Waffenruhe in Kraft. In den kommenden sechs Wochen sollen insgesamt 33 Geiseln im Austausch gegen Hunderte palästinensische Häftlinge freikommen. In dieser Zeit soll auch mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangen.

"Danke, dass ihr Emily nach Hause geholt habt"

Das Bangen geht für viele Angehörige und Unterstützer der Geiseln in dieser Zeit weiter. Israel geht davon aus, dass sich nun noch 94 Entführte in der Gewalt der Hamas und verbündeter Terrormilizen befinden. Viele von ihnen sind nach israelischen Informationen bereits nicht mehr am Leben.

Die Familie der freigelassenen Emily Damari teilte am Abend ein Statement mit einem Bild von Mutter und Tochter in fester Umarmung. "Danke, dass ihr Emily nach Hause geholt habt", schrieb ihre Mutter darin und dankte Unterstützern weltweit, ehe sie an das Schicksal der anderen Geiseln erinnerte und deren Rückkehr forderte. "Während Emilys Albtraum vorbei ist, geht für zu viele Familien das unmögliche Warten weiter."

Angst, ob der Deal auch hält

Hält das Abkommen, sollen nach Angaben der Hamas am kommenden Samstag vier weitere Geiseln freikommen. Doch auf dem Platz der Geiseln mischt sich in der Nacht in den Anflug von Hoffnung auch Sorge. Carmel und Noa, die beiden Freundinnen, sind unsicher, ob die Hamas und Israels Regierung sich wirklich an das Vereinbarte halten. Oder schließlich doch der Krieg weitergeht.

"Die Terroristen haben uns heute bis zur letzten Minute gequält", sagt Noa. Und Netanjahus Leute? Wer wisse schon, was die wollten. "Der Deal ist so fragil", meint Carmel. "Wir haben Angst, dass er nicht hält."