
Syrien Assads Folterknechte und die schwierige Aufarbeitung
Mit dem Sturz des Assad-Regimes endete auch die syrische Staatsfolter. Jetzt rückt die Strafverfolgung in den Fokus. Eine für heute geplante Konferenz zum Thema in Damaskus wurde allerdings kurzfristig abgesagt.
Amjad scannt Dokumente ein. In seinem Büro in Damaskus steht modernste Technik. Akten, die zu zerknittert oder halb zerrissen sind, fotografiert er. Es sind wichtige Beweise für die Gräueltaten in syrischen Gefängnissen. Taten, die unter Ex-Präsident Baschar al-Assad stattfanden.
"So können wir nachvollziehen, wie und wo die Opfer von Zwangsverschleppungen verschwunden sind. Danach überprüfen wir, wer für die Unterzeichnung der Hinrichtungen verantwortlich war", erklärt Amjad.
Der 35-Jährige ist nach dem Sturz des Assad-Regimes in seine Heimatstadt Damaskus zurückgekehrt. Eigentlich lebt er in Berlin, arbeitet dort für das Syrische Zentrum für Rechtsstudien und Rechtsforschung. Es ist eine Nichtregierungsorganisation, die sich seit mehr als zehn Jahren von Berlin aus für einen syrischen Rechtsstaat einsetzt.

Menschenrechtsanwalt Anwar Albuni geht davon aus, dass etwa 200.000 Menschen unter dem Assad-Regime durch Folter oder Hinrichtung zu Tode gekommen sind.
NGO-Leiter: 200.000 Todesopfer, 16.000 Täter
Gegründet hat die NGO der syrische Menschenrechtsanwalt Anwar Albuni. Für ihn ist die Strafverfolgung der Gräueltaten zentral. Es gebe rund 200.000 Opfer, die zu Tode gefoltert oder hingerichtet wurden. Taten, die etwa 16.000 Täter begangen haben, so Albuni.
Er saß selbst als politischer Häftling bis 2011 in einem syrischen Gefängnis, später floh er nach Deutschland. Sein größter Erfolg der letzten Jahre: Er unterstützte bei den weltweit ersten Strafurteilen zur syrischen Staatsfolter.
Die wurden in Koblenz gesprochen. Das dortige Oberlandesgericht verurteilte 2021 und 2022 zwei syrische Geheimdienstmitarbeiter wegen ihrer Taten im Rahmen der Staatsfolter zu mehrjährigen Haftstrafen. Nach dem Weltrechtsprinzip können deutsche Gerichte Menschenrechtsverletzungen verhandeln. Selbst dann, wenn die Taten von Syrern, auf syrischem Boden und an Syrern begangen wurden.
Weitere Strafverfahren auch in Deutschland möglich
Heute gelten die Koblenzer Urteile als Blaupause. Die Beweisführung des Gerichts war umfangreich und detailliert. Das kann die deutsche Justiz in künftigen Verfahren nutzen. Dass es in Deutschland weitere Strafverfahren geben wird, ist wahrscheinlich.
Die zuständige Bundesanwaltschaft führt seit Jahren ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren. Dabei kooperiert sie eng mit der Justiz aus Partnerstaaten wie Schweden oder Frankreich, sowie den Vereinten Nationen. Es ist gut möglich, dass die deutschen Ermittler auf weitere syrische Verdächtige stoßen, die mittlerweile in Deutschland leben.
"Die Bundesanwaltschaft hat durchgehend die Situation in Syrien im Blick", versicherte Generalbundesanwalt Jens Rommel Ende Januar. Ein Abkommen über Rechtshilfe gebe es aber nicht, so dass Ermittler des Bundeskriminalamtes nicht selbst in Syrien ermitteln könnten. Seine Behörde sei daher auf international zugängliche Beweise angewiesen.
Es sind Beweise, die seit einigen Jahren von den Vereinten Nationen erfasst werden. Eine eigene Institution, der sogenannte "International, Impartial and Independent Mechanism" (IIIM) der Vereinten Nationen, erfasst sie.
Rechtsstaatliche Strafverfahren profitieren davon. Mit den neuen Machthabern in Syrien stehe man seit der Machtübernahme in Kontakt, so IIIM-Leiter Robert Petit gegenüber der ARD-Rechtsredaktion. Ein formales Abkommen gebe es aber noch nicht.
Syrische NGO sichert tausende Beweisdokumente
Solche Beweismittel könnte der Syrer Amjad beim Scannen in Damaskus schon in den Händen gehabt haben. Die Dokumente scannt er mit Kollegen aus der deutsch-syrischen NGO im Justizministerium. Dabei kooperieren sie mit den neuen Machthabern.
Die Aufgabe ist gigantisch: Rund 150.000 Aktenordner müssen sie scannen. Nach mehr als einem Monat haben sie gerade mal knapp 300 Ordner geschafft.
Neue Machthaber laden zu Konferenz für Strafverfolgung
Albuni hofft, dass es gelingt, in Syrien eine unabhängige Justiz aufzubauen. Diese solle die Folterknechte und andere Beteiligte verurteilen - nach rechtsstaatlichen Maßstäben. "Mit Unterstützung von internationalen Richtern", beschreibt er seine Idee.
Für heute hatte er zusammen mit dem syrischen Justizministerium zu einer Konferenz mit verschiedenen Organisationen eingeladen. Internationale Ermittler sollten zu der nicht-öffentlichen Veranstaltung zugeschaltet werden. Das Thema: Die Strafverfolgung der Foltertaten. Doch die Konferenz in einem Hotel in Damaskus wurde nach ARD-Informationen kurzfristig vom Außenministerium verhindert.
Dass der neue syrische Staat eine wichtige Rolle bei der Verfolgung einnehmen sollte, ist bei Experten unstrittig. Die Internationale Strafjustiz ist darauf sogar angewiesen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag kann etwa derzeit gar nicht tätig werden, da er nicht zuständig ist. Syrien erkennt ihn nicht an. Ob die neuen Machthaber das Nachholen, ist eher fraglich.