
Russischer Angriffskrieg Ukraine warnt vor neuen Offensiven Russlands
Aus Sicht der Ukraine droht in den kommenden Wochen ein verstärkter russischer Vormarsch an der Front im Osten und Süden. Angesichts massiver Drohnenangriffe fordert Präsident Selenskyj die USA auf, den Druck auf Russland zu erhöhen.
Die Ukraine befürchtet, dass Russland seinen Vormarsch vor allem im Süden des angegriffenen Landes durch neue Offensiven vorantreiben könnte. Die ukrainische Regierung warnte, ein solches Vorgehen und die drohende Eroberung weiterer Gebiete diene dem russischen Präsidenten Wladimir Putin als Anlass, Verhandlungen über eine vollständige und langfristige Waffenruhe hinauszuzögern. Erneut warf die Ukraine dem Kreml vor, kein Interesse an einer dauerhaften Friedensvereinbarung zu haben.
"Sie ziehen die Gespräche in die Länge"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits beim Ukraine-Gipfel, der am Donnerstag in Paris stattgefunden hatte, eindringlich gewarnt, Russland bereite sich auf neue Vorstöße in den nordöstlichen Regionen Sumy, Charkiw und Saporischschja vor, um die eigene Position in weiteren Verhandlungen über eine Waffenruhe zu stärken.
"Sie ziehen die Gespräche in die Länge und versuchen, die USA in endlose und sinnlose Diskussionen über falsche Bedingungen zu verwickeln, nur um Zeit zu gewinnen und dann zu versuchen, mehr Land zu erobern", kritisierte Selenskyj. Er hatte Putin wiederholt mangelnde Bereitschaft vorgeworfen, einen Frieden in der Ukraine auszuhandeln.
Moskau meldet Eroberung weiterer Ortschaften
Die neuesten Meldungen aus dem russischen Verteidigungsministerium scheinen die Befürchtungen der Ukraine zu bestätigen. Angaben der Behörde zufolge konnten die eigenen Truppen sowohl im Süden der Ukraine als auch im Osten weiter vorrücken. In der südlichen Region Saporischschja habe das russische Militär das Dorf Schtschebraki unter seine Kontrolle gebracht, in der östlichen Region Donezk sei das Dorf Panteleimoniwka erobert worden. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete zudem unter Berufung auf die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass, dass in der Region Sumy auch der Ort Veselivka von russischen Truppen eingenommen worden sein soll.
Neben dem Vormarsch der Bodentruppen setzte Russland in der vergangenen Nacht auch seine Drohnenangriffe auf die Ukraine fort. Präsident Selenskyj sprach von mehr als 170 nächtlichen Drohnenattacken. Neben der Hauptstadt Kiew seien auch die Regionen Sumy, Charkiw, Chmelnytskyj und Dnipropetrowsk angegriffen worden.
Bei einem russischen Angriff auf die ukrainische Industriestadt Dnipro wurden lokalen Behörden zufolge vier Menschen getötet, 21 Menschen wurden demnach verletzt. 13 der verletzten Opfer hätten zur Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Es sei zu Explosionen und mehreren Bränden gekommen, es gebe schwere Schäden in der Stadt, teilte der Militärgouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Serhij Lyssak, mit. Mehrere Hochhäuser und öffentliche Gebäude seien beschädigt worden.
"Russland muss man zum Frieden zwingen"
Angesichts der massiven Drohnenangriffe der vergangenen Wochen rief Selenskyj die USA zum Handeln auf. Es brauche eine scharfe Reaktion Amerikas, Europas und all jener, die sich um ein Ende des Kriegs bemühen, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. "Russland muss man zum Frieden zwingen, nur Zwang hilft."
"Zu lange schon liegt das amerikanische Angebot eines bedingungslosen Waffenstillstands auf dem Tisch, ohne dass Russland darauf angemessen reagiert. Das sagt eine Menge aus. Es könnte bereits einen Waffenstillstand geben, wenn wirklich Druck auf Russland ausgeübt würde", so Selenskyj weiter. Er fordert etwa eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland.
UN berichten von Anstieg ziviler Opfer
Auch UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk kritisierte, die Kämpfe in der Ukraine hätten sich ungeachtet der Gespräche über eine mögliche Waffenruhe "intensiviert". Dabei würden "sogar mehr Zivilisten getötet und verletzt" als zuvor. Die Opferzahlen in den ersten drei Monaten des Jahres lägen um "30 Prozent höher" als im Vorjahreszeitraum, sagte Türk vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf.
In der vergangenen Woche hatte eine US-Delegation im saudi-arabischen Riad erneut mit Russland und der Ukraine über eine mögliche Waffenruhe verhandelt - in getrennten Gesprächen mit beiden Delegationen. Eine Waffenruhe wurde nicht erreicht, dafür soll es Kompromisse gegeben haben, Angriffe im Schwarzen Meer und auf Einrichtungen der Energieinfrastruktur vorübergehend zu stoppen. Während die Ukraine wiederholt ihre Bereitschaft betont hatte, eine vollständigen Waffenruhe auf den Weg zu bringen, hatte Russlands Präsident Putin sich dem entgegengestellt und einen solchen Schritt an umfassende Bedingungen geknüpft.
Gegenseitige Anschuldigungen wegen Angriffen auf Energieinfrastruktur
Doch auch bei dem vereinbarten Angriffsstopp auf die Energieinfrastruktur werfen sich Russland und die Ukraine gegenseitig vor, diesen nicht einzuhalten. In einer am Freitagabend veröffentlichten Videobotschaft prangerte Selenskyj einen gezielten russischen Drohnenangriff auf die Gasinfrastruktur in der Region Poltawa an, und dazu Artilleriebeschuss in Cherson, der die Stromversorgung beschädigt habe. Zudem habe durch einen russischen Angriff auf die Stadt Charkiw die Heizungsinfrastruktur dort Schaden genommen.
Doch auch Moskau beschuldigt die Ukraine weiterer Angriffe auf Energieanlagen. So habe das ukrainische Militär in den vergangenen 24 Stunden mehrmals das Stromnetz in der Region Belgorod attackiert. Dadurch seien etwa 9.000 Menschen in dem Gebiet zwischenzeitlich von der Stromversorgung abgeschnitten gewesen, teilte das Verteidgungsministerium in Moskau mit.