Michel Barnier
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Regierung vor möglichem Aus Warum Frankreich in der politischen Krise steckt

Stand: 03.12.2024 17:28 Uhr

Frankreich steuert einer ungewissen politischen Zukunft entgegen. Premier Barnier droht ein Misstrauensvotum zu verlieren, weil linke und rechte Kräfte seinen Sparkurs ablehnen. Worum geht es in dem Streit und wie könnte es weitergehen?

Die Ausgangslage

Frankreich steckt wieder in einer Regierungskrise - und das nicht einmal drei Monate nach Antritt des gegenwärtigen Kabinetts von Premierminister Michel Barnier.

Auslöser ist ein eskalierter Haushaltsstreit, der dazu führte, dass sich Barnier vermutlich schon am Mittwoch im Parlament, der Nationalversammlung, einem Misstrauensantrag stellen muss.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ihm eine Mehrheit der Abgeordneten das Vertrauen entzieht, ist hoch. Denn sowohl linke Parteien als auch der rechtsradikale Rassemblement National (RN) wollen gegen ihn stimmen. Und seine Regierung ist ohnehin eine Minderheitsregierung - hat also keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung.

Worum geht es im Haushaltsstreit?

Barnier hat dem Land einen strikten Sparkurs verordnet, weil die Staatsfinanzen aus dem Ruder zu laufen drohen. Im Haushalt klafft eine Lücke in Höhe von 60 Milliarden Euro. Durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen soll das Defizit verringert werden. Sowohl das Linksbündnis NFP (Neue Volksfront) als auch der rechtsnationale RN laufen gegen diese Pläne Sturm.

Lange Zeit hatte Barnier versucht, auf den RN einzugehen und dessen Forderungen zu erfüllen. Beispielsweise willigte er ein, die Stromsteuer nicht zu erhöhen, auf höhere Zuzahlungen für Medikamente zu verzichten und die medizinische Versorgung von Migranten zu verringern.

Umstimmen konnte er die Partei um Frontfrau Marine Le Pen damit allerdings nicht. Die linke Opposition war mit den Haushaltsplänen generell unzufrieden.

Eine Mehrheit für seinen Haushalt sah er also nicht - und bediente sich daher eines speziellen Kniffs, den die französische Verfassung erlaubt: Mit dem Artikel 49.3 kann sich die Regierung über das Parlament hinwegsetzen - allerdings zu dem Preis, das sie ein möglicherweise folgendes Misstrauensvotum überstehen muss.

Per Dekret setzte Barnier also den Sozialetat ohne Abstimmung im Parlament durch. Die derzeitige Situation und Frankreichs wachsende Staatsverschuldung ließen ihm keine Wahl, lautete seine Begründung.

Wie wird das Misstrauensvotum gegen Barnier ablaufen?

Die Nationalversammlung wird heute über den Misstrauensantrag der Opposition entscheiden. Gewinnt Barnier das Votum, tritt auch der von ihm per Dekret eingesetzte Sozialetat in Kraft. Verliert er, ist das Gesetz vorerst gestoppt - und Barnier müsste bei Präsident Emmanuel Macron seinen Rücktritt einreichen.

Bislang setzte Barniers Minderheitsregierung, die sich auf das von Macron gegründete Parteienbündnis Ensemble und die konservativen Republikaner stützt, darauf, dass der RN die Regierung weiter duldet. Seit der Haushaltsstreit eskalierte, ist das aber nicht mehr der Fall.

Die Rechtsnationalen wollen gemeinsam mit dem linken Lager Barnier das Vertrauen entziehen. Gemeinsam kommen sie auf die nötige absolute Mehrheit von 289 Stimmen. Es wird daher damit gerechnet, dass sie Barnier und seine Regierung stürzen werden.

Wie würde es nach einem verlorenen Misstrauensvotum weitergehen?

Barnier müsste beim Präsidenten seinen Rücktritt einreichen. Macron steht dann vor der schwierigen Aufgabe, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu bestimmen - immer unter der Maßgabe, dass die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung kompliziert bleiben.

Denn Neuwahlen sind nach der Parlamentswahl in diesem Sommer erst wieder im Sommer 2025 möglich.

Macron müsste also eine Person finden, die sowohl vom rechten Lager als auch vom linken Lager gestützt wird, ohne dass er dabei die Republikaner verliert, wie die Zeitung "Le Parisien" schreibt.

In der Zwischenzeit dürften die Ministerinnen und Minister geschäftsführend im Amt bleiben, bis es eine neue Regierung gibt. Sie könnten sich dann um wichtige laufende Angelegenheiten kümmern, nicht aber neue Initiativen anstoßen.

In jedem Fall aber wäre Frankreich, die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, auf einen nicht absehbaren Zeitraum politisch gelähmt.