Olaf Scholz und Joe Biden
analyse

US-Präsident besucht Berlin Scholz und Biden - mehr als nur gute Verbündete

Stand: 17.10.2024 23:14 Uhr

Der Besuch Bidens ist mehr als eine pflichtschuldige Visite. Es ist auch eine Geste des vermutlich letzten großen US-Transatlantikers alter Schule. Und es ist der Abschiedsbesuch bei einem guten Freund.

Eine Analyse von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

Partner. Mentor. Väterlicher Freund. Kanzler Scholz würde bei dieser Beschreibung von Joe Biden vermutlich kaum widersprechen. "Joe Biden ist ein guter Freund Deutschlands und Europas. Ich habe mich immer gut mit ihm verstanden", sagte Scholz, als Biden im Juli nicht ganz überraschend seine Kandidatur für die anstehende Präsidentschaftswahl zurückzog.

Über zwei Jahre davor, im Januar 2022, war Scholz der Neue im Kanzleramt und der damals 79-jährige Joe Biden der alte Präsident im Weißen Haus. Es war der Antrittsbesuch des Kanzlers, rund 16 Jahre, nachdem der letzte sozialdemokratische Kanzler Gehard Schröder dort im Oval Office Platz nahm.

Scholz hatte Respekt. "Joe Biden ist jemand, der im Wahlkampf angetreten war als 'Middle Class Joe', als einer, der die Gesellschaft einen wollte", hat Scholz damals bewundernd über den Mann der Arbeiterklasse gesagt. Und dieser "Middle Class Joe" erwähnte im Vieraugengespräch im Oval Office, dass er den Scholz-Wahlkampf mit dem Motto "Respekt" kannte und mochte. Es war der Beginn von etwas, das weit über eine nützliche transatlantische Arbeitsbeziehung hinausging.

Abstimmung "immer und zu allererst" mit Biden

Wolfgang Ischinger, Ex-Botschafter in Washington, Ex-Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, beschreibt das Miteinander im ARD-Gespräch als ausnehmend vertrauensvoll. "Ein Verhältnis, bei dem sich Olaf Scholz stets darauf verlassen hat, sich immer und zu allererst mit dem amerikanischen Präsidenten Biden abzustimmen." Meistens noch vor den Europäern.

Bei der Ukraine-Hilfe machte dieser Scholz nichts, ohne dass er seinen Partner Biden nicht vorher um Rat fragte. Keine schwere Waffe, kein Panzer wurden geliefert, ohne dass nicht Biden sein Okay gab. "Joe Biden ist ein Mann, der genau weiß, was er tut", sagt Scholz, der wiederum weiß, was er und Deutschland an Biden haben: einen US-Präsidenten, der auf Multilateralismus setzt, Deutschland mag und kennt. "Lassen Sie mich als Präsident der Vereinigten Staaten sagen: Amerika ist zurück, die transatlantische Partnerschaft ist zurück", hatte Biden damals nach den düsteren Trump-Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz als frischgewählter Präsident Scholz und den anderen Europäern zugerufen.

US-Präsident Biden zu Kurzbesuch in Deutschland

Tina Handel, ARD Berlin, tagesschau, 18.10.2024 12:00 Uhr

Bidens Versprechen: "America is back"

Das war das Versprechen, als Biden ins Amt kam. Er hat es bis heute gehalten. 2022 war Biden beim G-7-Gipfel im bayerischen Elmau. Der US-Präsident stand neben einem doch sehr stolzen Gastgeber Olaf Scholz und griff damals amerikanisch cool das Scholzwort von der "Zeitenwende" auf und sprach von einem "Wendepunkt" der Geschichte. So nannte es Biden.

Drei Mal war Scholz insgesamt Gast im Oval Office. Beim letzten Besuch im Februar saß der Kanzler einem schon damals gebrechlich wirkenden US-Präsidenten gegenüber. Das Feuer im Kamin knisterte so laut, dass die leisen, lobenden Worte des US-Präsidenten über den "guten deutschen Freund Olaf " fast untergingen.

Biden lässt Happy Birthday für Scholz singen

Scholz und Biden sind zwei Politiker, die sich schätzen und mögen. G-7-Gipfel in Bari im Juni dieses Jahres: Der Kanzler hatte Geburtstag und Joe Biden lässt die Staatenlenker vor laufender Kamera "Happy Birthday" singen für seinen Olaf. "Das ist so üblich in der Biden-Familie", so der merklich gealterte Präsident.

Scholz wusste um Bidens Gebrechlichkeit. Aber er verteidigte ihn öffentlich, manchmal vielleicht sogar wider besseres Wissen. "Versprecher passieren", wiegelte der Kanzler einmal ab, nachdem Biden Putin und Selenskyj verwechselte und Länder durcheinanderbrachte.

Ischinger: Biden war ein Segen für Scholz

Die Loyalität von Scholz war groß, auch weil er wohl wusste, was Deutschland an diesem Biden hat, sagt der Ex-Diplomat Ischinger dem ARD-Hauptstadtstudio. "Das ist doch ein Segen für Olaf Scholz, die Bundesregierung, für Europa gewesen, dass man diesem Joe Biden nach Ausbruch des Ukraine-Krieges nicht auf der Karte zeigen musste, wo Kiew liegt."

Biden ist der vielleicht letzte große Transatlantiker in Washington, der seit Jahrzehnten - zuerst als junger Senator aus Delaware, später als Vizepräsident - regelmäßiger Gast auf der Münchner Sicherheitskonferenz war.

Höchster deutscher Orden für Biden

Jetzt also beginnt der 81-Jährige seinen zweiten und wohl letzten Besuch als US-Präsident in Deutschland. Einst hatte er seinem 15-jährigen Sohn hier in Berlin den Checkpoint Charlie gezeigt, jetzt ein gut 24-stündiger Blitzbesuch zum Abschluss seiner Politikerkarriere.

Es ist auch eine Geste des US-Präsidenten, dass ihm und den USA Deutschland weiter am Herzen liegt. Gerade erst hatte der US-Präsident im Gedenken an die Verdienste deutscher Auswanderer in den Vereinigten Staaten den 6. Oktober zum "Deutsch-Amerikanischen Tag" erklärt. Im Schloss Bellevue wird ihm im Gegenzug Bundespräsident Steinmeier den höchsten deutschen Orden überreichen, der Staatsoberhäuptern vorbehalten ist: die Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik. "Für Bidens Verdienste um die deutsch-amerikanische Freundschaft", heißt es vorab aus dem Bundespräsidialamt.

Wer kommt nach Joe Biden?

Olaf Scholz dürfte mit Wehmut seinen väterlichen Mentor im Bundeskanzleramt begrüßen. Der Ausgang der US-Wahlen im November ist völlig offen. Es scheint längst nicht mehr undenkbar, dass Kanzler Scholz es ab Januar wie einst Angela Merkel mit einem US-Präsidenten Donald Trump zu tun haben könnte.

Aber selbst wenn Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris das Rennen macht, wird sich das transatlantische Verhältnis ändern: Biden habe Europa, habe die meisten führenden Politiker teilweise seit vielen Jahren gut gekannt, sagt der Ex-Diplomat Ischinger. "Das Glück werden wir so schnell nicht mehr wieder erleben."