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Cum-Cum-Aufarbeitung Es geht noch immer um Milliarden

Stand: 19.03.2025 06:52 Uhr

Die Cum-Cum-Geschäfte haben den Staat Milliarden gekostet. Nordrhein-Westfalen verschärft bei der Aufarbeitung den Kurs, anderswo hakt es noch. Experten machen nun Druck.

Von Arne Meyer-Fünffinger, BR

Fast 30 Milliarden Euro sind im Bundeshaushalt 2025 für Finanzierung der Schulden des Bundes eingeplant. Eine ähnliche Summe - etwa 28,5 Milliarden Euro - ist dem deutschen Staat in den Jahren 2000 bis 2020 nach Schätzungen von Christoph Spengel durch Cum-Cum-Aktiengeschäfte verloren gegangen. Spengel ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Themenkomplex.

Nach Urteilen des Bundesfinanzhofs und von Finanzgerichten zu Cum-Cum-Gestaltungen wäre es längst möglich, dass sich der Fiskus dieses Geld zurückholt. Bis heute hat er das allerdings nur sehr zurückhaltend getan.

Bei Cum-Ex, dem nach Spengels Worten "kleinen Bruder" von Cum-Cum, lässt sich eine genauere Schadenssumme angeben. Hier kommt der Wissenschaftler nach der Analyse von Transaktionsdaten auf 7,2 Milliarden Euro. Hinzu kommt: Bei Cum-Ex-Aktiendeals ist die juristische Aufarbeitung deutlich weiter vorangeschritten als bei Cum-Cum.

"Steuermilliarden zurückholen"

Ein Zustand, über den sich Anne Brorhilker vom gemeinnützigen Verein "Finanzwende" nach eigenen Worten "sehr aufregen kann", wie sie im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagt: "Es gibt überhaupt keinen Grund, dass die illegalen Steuergelder nicht zurückgeholt werden. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, dass sich der Staat ein bisschen anstrengt, Steuermilliarden zurückzuholen."

Jahrelang hat die Juristin bei der bundesweit federführenden Staatsanwaltschaft Köln zu Cum-Ex- und Cum-Cum-Fällen ermittelt. Im vergangenen Jahr verließ Brorhilker die Behörde und leitet jetzt bei "Finanzwende" den Bereich Finanzkriminalität. Der Kampf um die Steuermilliarden gehört inzwischen zu ihren Schwerpunkten.

In der vergangenen Woche hat die Ex-Oberstaatsanwältin eine Online-Petition gestartet. Sie befürchtet, dass Banken und Unternehmen schon bald Dokumente vernichten könnten, "die ihre Verwicklung in illegale Cum-Cum-Geschäfte beweisen". Wenn diese erstmal weg seien, seien auch die "Steuermilliarden unwiederbringlich verloren". Das im vergangenen Jahr von der Ampelkoalition verabschiedete 4. Bürokratieentlastungsgesetz hat dieses Problem ihrer Ansicht nach noch verschärft.

Während sich die Beteiligten bei Cum-Ex-Aktiendeals eine auf Dividenden fällige und nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach vom Staat erstatten lassen, sieht das Prinzip bei Cum-Cum - stark vereinfacht dargestellt - so aus: Wertpapiere ausländischer Aktionäre werden kurzzeitig über den Dividendenstichtag an Geschäftspartner in Deutschland verliehen. Diese können sich dann die fällige Kapitalertragsteuer erstatten lassen. Den Erlös teilen sich die Akteure, der Staat geht leer aus.

Bundesländer gehen unterschiedlich mit Rückforderungen um

Abermals hat der BR bei einigen Länder-Finanzministerien angefragt, wie viel Geld sie sich aus den missbräuchlichen Cum-Cum-Gestaltungen zurückgeholt haben. Hessen, das Bundesland mit dem bundesweit größten Bankensektor, beziffert die Summe auf rund eine Milliarde Euro.

Die "umfangreichen und komplexen Prüfungen in den weiteren bislang identifizierten Cum-Cum-Verdachtsfällen" liefen weiter, betont das Ministerium. Insgesamt geht das Ministerium von zwei Milliarden Euro durch entsprechende Aktiengeschäfte aus. Die hessische Finanzverwaltung stelle durch entsprechende Maßnahmen sicher, dass eine Verjährung von Steueransprüchen nicht eintrete. Nach eigenen Angaben kooperiert das Bundesland eng mit der Staatsanwaltschaft Köln, die aktuell gegen 1.700 Beschuldigte in Cum-Cum und Cum-Ex-Fällen ermittelt.

In Bayern haben die Behörden ebenfalls Geld zurückgefordert, eine Summe nennt das Landesamt für Steuern auf BR-Anfrage allerdings nicht. Andernfalls könnten "Rückschlüsse zu Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden". Dabei hatte der Freistaat im Juli 2024 in einer parlamentarischen Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Tim Pargent das "potenzielle Gesamt-Steuerausfallrisiko" durch Cum-Cum-Deals noch mit fast 222 Millionen Euro beziffert. 34 Millionen Euro davon sind nach Angaben des Ministeriums zurückgeflossen.

Baden-Württemberg hat 479 Millionen Euro aus unrechtmäßigen Cum-Cum-Geschäften identifiziert, die größtenteils auch schon zurückgezahlt worden seien. Sie stammen vor allem aus Deals der Jahre 2007 bis 2015, schreibt ein Sprecher des Finanzministeriums. Auch hier laufen weitere Ermittlungen und Maßnahmen.

Nordrhein-Westfalen verschärft Kurs

Das Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen gibt sich zugeknöpft - "aufgrund noch laufender Verfahren". Allerdings hat das Bundesland seinen Kurs in der Sache verschärft: Eine elfköpfige Cum-Cum-Ermittlungskommission ist gegründet, zudem werde derzeit ein eigenes Sachgebiet im Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (LBF) mit zusätzlichem Personal eingerichtet. 

Ende August 2024 verschickte die Oberfinanzdirektion Münster (OFD) nach BR-Recherchen zudem einen internen Vermerk an die zuständigen Finanzbehörden. Das achtseitige Papier skizziert mögliche Ansätze für Ermittlungen: Es könne sich bei Cum-Cum-Gestaltungen um Steuerhinterziehung handeln, "wenn gegenüber den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden und dadurch Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden".

Sollten Steuerpflichtige in ihren Erklärungen Cum-Cum-Transaktionen nicht offengelegt haben, könnte im Umkehrschluss der Tatbestand der Steuerhinterziehung vorliegen. Aus diesem Grund hat die OFD eine "Vernichtungssperre" für bestimmte "Altakten" verhängt, außerdem sollen die Behörden Cum-Cum-Fälle priorisieren.

Experten fordern größere Bemühungen

Trotz dieser positiven Schritte fordert Christoph Spengel von der Universität Mannheim "mehr Ressourcen, um diese Fälle vor Gericht zu bringen". Der Experte wird das heute im Rechtsausschuss des NRW-Landtags darlegen. Dort ist eine Anhörung mit dem Titel "Effizientere Bekämpfung von Cum-Cum-Geschäften" angesetzt.

Nach Überzeugung von Brorhilker sollte die kommende Bundesregierung das Thema zur Chefsache machen und mit den ihr unterstehenden Behörden wie dem Bundeszentralamt für Steuern die Länder unterstützen. Schließlich gehe es um Milliardenschäden, und die Zeit renne davon.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. März 2025 um 05:26 Uhr.